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Der Märtyrer

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Die Wahlen vom März 1970 werfen ihre Schatten voraus. Es steht für alle Parteien viel auf dem Spiel. Die ÖVP kann fürchten, die absolute Mehrheit zu verlieren, die SPÖ möchte einen möglichst großen Stimmengewinn erreichen, wenn es auch innerhalb der SPÖ so manche Stimme gibt, die sagt, ein gnädiges Geschick möge diese Partei davor bewahren, die absolute Mehrheit zu gewinnen, denn dann müßte sie die Last der Verantwortung allein'trage. Die kommenden Wahlen machen die Parteien jetzt schön: netVös, und so geschehen Dinge, die nicht geschehen sollten. Der eine Fäll ist die Manipulierung des jungen Dr. Krainer, die noch eher die Form einer heiteren Groteske hat. Ärger ist die gewaltsame Entfernung Franz Olahs aus dem Wiener Rathaus.

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Die Wahlen vom März 1970 werfen ihre Schatten voraus. Es steht für alle Parteien viel auf dem Spiel. Die ÖVP kann fürchten, die absolute Mehrheit zu verlieren, die SPÖ möchte einen möglichst großen Stimmengewinn erreichen, wenn es auch innerhalb der SPÖ so manche Stimme gibt, die sagt, ein gnädiges Geschick möge diese Partei davor bewahren, die absolute Mehrheit zu gewinnen, denn dann müßte sie die Last der Verantwortung allein'trage. Die kommenden Wahlen machen die Parteien jetzt schön: netVös, und so geschehen Dinge, die nicht geschehen sollten. Der eine Fäll ist die Manipulierung des jungen Dr. Krainer, die noch eher die Form einer heiteren Groteske hat. Ärger ist die gewaltsame Entfernung Franz Olahs aus dem Wiener Rathaus.

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Der Tatbestand ist bekannt: Olah wurde im Frühjahr dieses Jahres wegen Betruges von einem Wiener Schöffengericht verurteilt und berief gegen dieses Urteil. Als Spitzenkandidat der DFP wurde er am 27. April in den Wiener Magistrat gewählt und genoß die Privilegien eines immunen Abgeordneten. Auf Grund des schwebenden Verfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft die Auslieferung von Franz Olah, die dieser selbst begrüßte. Der Immunitätsausschuß des Wiener Landtags hob seine Immunität auf, womit das Strafverfahren gegen ihn wieder in Gang kam.

Nun sieht die Wiener Stadtverfas-sung vor, daß Abgeordnete ihr Mandat nicht ausüben dürfen, wenn gegen sie wegen einer Strafhandlung ein Verfahren läuft. In der Sitzung des Wiener Landtages vom 13. Juni 1969 stützte sich der Wiener Bürgermeister auf diese Bestimmung und forderte, daß Olah den Gemeinderatsitzungssaal verlassen solle. Olah weigerte sich und verlangte, seine Verweisung aus “ dem Gemeinderatsitzungssaal möge ihm schriftlich gegeben werden. Der Bürgermeister weigerte sich, dies zu tun, und Meß Franz Olah durch vier Rat-hauspolizisten gewaltsam aus dem Saale schleppen.

Seit Jahren verweisen Juristen darauf, daß Teile der'Wiener Stadtverfassung der Bundesverfassung widersprechen und aufgehoben werden sollten. Die Wiener ÖVP stellte schon mehrere Anträge für die Verbesserung der noch auf Lueger zurückgehenden Stadtverfassung. Soviel steht fest, daß der Verfassungsgerichtshof jenen Paragraphen aufheben würde, den der 'derzeitige Bürgermeister als Grundlage seiner Aktion gegen Olah benützte. Wenn es genügt, gegen ein Mitglied des Wiener Gemeinderates eine Voruntersuchung einleiten zu lassen, um einen Mandatsverlust herbeizuführen, dann könnten durch gezielte Anzeigen Tatbestände aller Art konstruiert werden, um unliebsame Abgeordnete mundtot zu machen, ohne daß deren Schuld auch im entferntesten durch ein Gerichtsurteil bestätigt werde. Aber 'es gehört zu den Fundamenten eines Rechtsstaates, daß jeder so lange als unschuldig gilt, bis er durch ein Urteil in letzter Instanz als schuldig erklärt wird. Im Nationalrat wurden ebenfalls die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, gegen die von Strafgerichten ein Ermittlungsverfahren anhängig gemacht wurde. Der letzte Fall war Franz Prinke: Gegen ihn wurde im Zusammenhang mit dem sogenannten Bauskandal ein Verfahren eröffnet. Aber Prinke wurde nicht eine Minute an der Ausübung seines Mandates gehindert, da er nicht rechtskräftig verurteilt war.

Der herangezogene Paragraph der Wiener Verfassung fet somit offensichtlich verfassungswidrig. Diese Verfassungswidrigkeit, mußte den Ratgebern des Bürgermeisters klar gewesen sein. Warum wurde nun trotzdem die Wache „mobilisiert“? Denn der Paragraph 14 der Wiener Stadtverfassung reichte auch nicht aus, um die Verweisung aus dem Gemeinderatsitzungssaail auszusprechen. Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, also kann jeder Bürger daran teilnehmen. Der Verlust des Abgeordnetenmandates bedeutet natürlich auch den Verlust des Rechtes, an Abstimmungen teilzunehmen und sich zu Wort zu melden — aber er bedeutet wohl noch lange nicht ein Verbot der Anwesenheit im Saal.

Der Rat der Ratgeber des Bürgermeisters, Olah gewaltsam aus dem Saal entfernen zu lassen, war nicht klug. Höchstens hätte man sagen dürfen, er habe kein Recht, am der Sitzung teilzunehmen, abzustimmen und sich zu Wort zu melden. Die Entscheidung der Ratgeber des Bürgermeisters, denen er leider folgte, ist nur aus der Nervosität der Vorwahlzeit erklärlich. Durch diese Tat wurde Olah neuerlich zum Märtyrer gestempelt und seiner DFP mehr Wert zugeschrieben, als sie hat. Gerichte aller Art werden sich mit dem Fall Olah beschäftigen und eine unbezahlte, aber höchst wirksame Propagandawaffe für Olah liefern. Der „Hinauswurf“ war allein schon eine sehr wirksame Propaganda. Der Österreicher ist durch seine Erlebnisse in den letzten Jahrzehnten sehr hellhörig geworden. Und wenn er etwas verabscheut, dann ist es jede Form von Gewalt in der Politik. Die ÖVP hätte ihren großen Wahlsieg am 6. März 1966 nicht errungen, wäre vorher nicht der Gewaltakt gegen die „Kronen-Zeitung“ abgerollt. Solche Geschehnisse wie die gewaltsame Entfernung Olahs machen den Österreicher nur noch mißtrauischer gegenüber seinen Parteien. Jetzt schon dürfte aus allen diesen Ereignissen zu „errechnen“ sein, wie sich der Österreicher am 1. März 1970 entscheiden wird. Keine der beiden Parteien wird als der große Sieger aus der Wahl hervorgehen. Und das wird wahrscheinlich eut sein.

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