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Der Mann, der PANAMA erfand

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Philippe Bunau-Varilla war einer der eigenwilligsten und tatkräftigsten Franzosen die je lebten. Am 25. Juli 1859 wurde er in Paris geboren, als er am 18. Mai 1940 dort starb, stieß die deutsche Wehrmacht über die französischen Grenzen vor.

Von seinem zehnten Lebensjahr an, als sein großer Landsmann Ferdinand de Lesseps den Bau des Suezkanals vollendete und man in den Pariser Salons von ähnlichen Projekten für Zentralamerika zu sprechen begann, war Bunau-Varilla nur von einer Idee besessen: Dem Plan zum Durchstich des Isthmus von Panama.

1884, sechs Jahre nachdem er die Ecole Polytechnique absolviert hatte, zog ihn Lesseps für das langfristige Vorhaben in Panama heran, das damals unter französischer Leitung in Angriff genommen wurde. So viele seiner Kollegen starben an Gelbfieber, daß Bunau-Varilla bereits mit sechsundzwanzig Jahren zum Chefingenieur des Gesamtprojekts aufstieg. Demoralisierungserscheinungen begegnete er dadurch, daß er alle Zweifler rücksichtslos davonjagte, wenn diese nur Bedenken äußerten. In seinen Augen war Zweifel gleichbedeutend mit Verrat. Dann erkrankte auch .er, fast raffte ihn das Gelbfieber dahin, doch er wehrte sich gegen das Sterben, wehrte sich solange, bis er eines Tages wieder genas. Trotz seiner eisernen Willenskraft und Zähigkeit scheiterte allerdings das französische Projekt an den Auswirkungen der Pariser Politik, an finanziellen Fehlentscheidungen und bürokratischen Schikanen.

1889 stellte die französische Baugesellschaft ihre Tätigkeit völlig ein, und fast alle, die daran beteiligt gewesen waren, gaben auf — nicht so Bunau-Varilla. Er verfaßte etwa 20 Memoranden und Druckschriften, er reiste um die ganze Welt, unablässig bemüht, von privater oder öffentlicher Seite Unterstützung für die Wiederaufnahme der Arbeiten zu mobilisieren. Es gelang ihm, Rußland für einen Partnerschaftsvertrag mit Frankreich zu gewinnen, aber bevor der Plan spruchreif wurde, trat das Kabinett in Paris zurück, und Zar Alexander • III. fiel einem Attentat zum Opfer. Großbritannien war zu sehr mit dem Burenkrieg beschäftigt, , . .

Blieben als einzige Hoffnung für Bunau-Varilla die USA, allerdings tendierte dort die öffentliche Meinung zugunsten des Kanalbaues auf dem Territorium von Nicaragua. Die Amerikaner wollten völlig von allen Projekten abrücken, aus denen sich der Fehlschlag der Franzosen ergeben hatte.

Energisch plädierte Bunau-Vairilla für Panama, in allen größeren Städten der USA hielt er Vorträge, schließlich konnte er sich einen Rückhalt bei jener Sonderkommission sichern, die der Kongreß gebildet hatte, um eine Entscheidung über die Frage „Nicaragua oder Panama" zu fällen. Doch am 7. Jänner 1902 stimmte das Repräsentantenhaus fast einmütig für Nicaragua. Bunau- Varilla ließ nicht locker, im Gegenteil, er verbohrte sich dermaßen in seine Idee, daß der französische Außenminister, der gerade in Washington weilte, an den Bruder des ungebärdigen Ingenieurs nach Paris telegraphierte, Philippes Verhalten sei äußerst befremdend, grenze ans Manische und gebe zu dem Verdacht Anlaß, daß er geistesgestört sei. Der Bruder, ein Mitinhaber der Zeitung „Le Matin“, reiste mit dem nächsten Schiff über den Atlantik, merkte aber sehr bald, daß das einzige Befremdende war, daß Bunau- Varilla nur um so hartnäckiger sein Ziel verfolgte, wenn das Spiel bereits verloren schien.

Am 9. Mai 1902 brach auf der westindischen Insel Saint Vincent ein Vulkan aus, mehrere Tausend Personen wurden getötet. Zwei Tage vorher hatte auf Martinique der, wie man annahm, erloschene Vulkan Fount Pelee plötzlich wieder Lavamassen ausgespieen, und auch bei dieser Katastrophe waren Hekatomben von Menschen umgekommen.

„Dies war das sensationelle Ereignis, das mir in der letzten Viertelstunde des Ringens den Lorbeer des Sieges brachte“, schrieb Bunau- Varilla später mit gallischem Pathos in seiner Autobiographie. Denn auch das geologische Geschehen Nicaraguas hatte häufige vulkanische Störungen zu verzeichnen, zum Unterschied von Panama. Der Tag der Abstimmung im Senat kam heran, hinter den Kulissen setzten intensive Machenschaften ein. Alle vertraulichen Mitteilungen wiesen darauf hin, daß die Mehrheit trotz der folgenschweren Eruptionen dennoch für Nicaragua war.

In diesem kritischen Moment verhalf eine beiläufige Erinnerung Bunau-Varilla zu einem Königsgedanken. Sofort lief er in den nächsten Laden, der Briefmarken führte. Und dort fand er die nicaraguanische 5-Peso-Marke, auf welcher der rauchende Vulkan von Momotombo abgebildet war. Der Ingenieur kaufte 90 Marken, klebte sie auf seine Briefbögen und schrieb dazu: „Ein offizieller Beweis für die vulkanische Tätigkeit im Isthmus von Nicaragua.“

Drei Tage vor der Abstimmung erhielt jeder Senator in Washington einen solchen Brief. Resultat: der Senat erklärte sich, bei nur acht Gegenstimmen, für Panama. Wohl kam es noch zu weiterem Tauziehen zwischen dem Repräsentantenhaus und dem Senat, aber zu jenem Zeitpunkt hatte der schlaue Franzose bereits wieder Marken gekauft und verschickt. Es blieb bei der Entscheidung für Panama.

Da traten in einem anderen Bereich Schwierigkeiten auf. Der Isthmus gehörte damals noch zu Columbien, und dieser Staat wollte plötzlich das Durchfahrtsrecht nicht zugestehen. Unter Bunau-Varillas massivem Druck überlegten es sich die columbianischen Behörden wieder anders, und ein Vertrag wurde abgeschlossen. Die nächste Hürde: im August 1903 weigerte sich der colum- bianische Senat, das Abkommen zu ratifizieren, ungeachtet geheimer Warnungen, die vor allem Bunau- Varilla selbst lancierte, daß die Panamesen einfach eine Sezession von Columbien vollziehen würden. Bogota ließ sich nicht durch Drohungen einschüchtern.

Bunau-Varilla hatte nur noch einen Schachzug offen: diesen Drohungen die Tat folgen zu lassen. Also begann er zu schüren, um in Panama eine Revolution zu entfesseln.

Zunächst mußte er sich vergewissern, ob die USA dem neuen Staat Beistand gewähren würden, wenn der Aufstand tatsächlich die Lostrennung bewirken sollte.

„Ich stattete Präsident Theodore Roosevelt einen Besuch ab und fragte ihn rundheraus, ob ein amerikanisches Kriegsschiff nach Panama entsandt würde, um dort .amerikanische Bürger und amerikanische Interessen zu schützen, falls eine Revolte ausbräche. Mr. Roosevelt blickte mich wortlos an. Natürlich konnte ein Präsident der USA keine solche bindende Erklärung abgeben, am allerwenigsten gegenüber einem Ausländer und Privatmann wie ich es war.

der neuen Republik ernannt. Unter seiner Mithilfe entstand ein Vertragsinstrument, das den USA die dauernde Benützung und Kontrolle eines bestimmten Gebietsstreifens am Isthmus sicherte. Am 18. November 1903 unterzeichneten der damalige amerikanische Außenminister John Hay und der Pariser, nunmehr Repräsentant Panamas, das Abkommen.

Aber sein Blick sagte mir genug. Ich wagte das Spiel.“

Ein einzelner vermag keinen Umsturz herbeizuführen, doch immerhin gab es Scharen von unzufriedenen Panamesen, die bereit waren, loszuschlagen, und so kam es zu mehreren Unterredungen ihrer Exponenten mit Bunau-Varilla in dessen Appartement im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria. Die Panamesen forderten sechs Millionen Dollar, vor allem zur Finanzierung ihrer bunt zusammengewürfelten und schlecht ausgerüsteten Guerillas. Sie hatten nicht mit der überlegenen Verhandlungstaktik des eleganten, schnurrbärtigen Parisers gerechnet. Bunau- Varilla rühmt sich in seinen Memoiren, er habe die Forderung bis auf 100.000 Dollar herabgedrückt, und die habe er aus eigener Tasche bezahlt.

Dann beschäftigte er sich sofort damit, eine Unabhängigkeitserklärung und Verfassung für Panama auszuarbeiten. In einem New Yorker Warenhaus kaufte er scgar Seide für die panamesische Flagge, die er selbst entworfen hatte. Seine Frau und deren Freundin nähten sie eigenhändig.

Die Verschwörer in Colon depeschierten Alarmrufe: ein Columbia- nisches Kontingent ging zum Landungsmanöver über. Einige Soldaten arbeiteten sich auf dem Strand vor, doch dies unter den drohenden Geschützrohren des amerikanischen Kreuzers „Nashville“, der bereits in die Küstengewässer eingelaufen war. Diese Rückendeckung bestärkte die Bevölkerung in ihrer aggressiven Haltung gegen das Häuflein Invasoren. Die Columbianer warfen ihre Waffen weg.

Bunau-Varilla, nach wie vor französischer Staatsbürger, wurde zum ersten Bevollmächtigten Minister

Hatte der dynamische Mann von seinen immensen Anstrengungen finanziellen Gewinn? Nun, gerade darüber erwähnt er nichts in seiner Autobiographie.

Als ich ihn kurz vor seinem Tod kennenlernte und interviewte, war er Einundachtzig, ein alter Herr, getragen vom Stolz auf seine Leistungen und nicht ohne ein gerüttelt Maß an Eitelkeit. Vielleicht betonte er seine persönliche Rolle in der Geschichte des PanamakanaJs etwas zu stark, aber sie hatte unbedingt ihr Gewicht, ebenso wie sein Eingreifen in den Fall Dreyfus.

Dreyfus war sein Jahrgangskamerad in der Ecole Polytechnique gewesen. Zwei Jahre nach dessen Verurteilung und Deportation veröffentlichten die Brüder Bunau-Varilla in „Le Matin“ ein Faksimile jenes belastenden Briefes, den der Offizier an den deutschen Militärattache in Paris geschrieben haben sollte. Daneben war ein anderer Brief wiedergegeben, den Dreyfus einige Jahre vorher an seinen alten Freund Philippe gerichtet hatte. Die beiden Handschriften wiesen kaum Ähnlichkeit miteinander auf, und diese Demonstration trug zur Wiederaufnahme des heftig umstrittenen Verfahrens bei. Mehr noch, es war ein wesentlicher Schritt zur Rehabilitierung von Dreyfus.

Bei Kriegsausbruch im August 1914 befand sich Bunau-Varilla auf dem ersten großen Dampfer, der durch den Panamakanal geschleust wurde. Ein Jahr später war er bei der Französischen II. Armee an der Front in der Champagne. Als Mängel in der Wasserversorgung die geplante Septemberoffensive zu vereiteln drohten, entwickelte der Unermüdliche an Ort und Stelle ein Klärsystem, dem er die Bezeichnung „Verdunisation“ gab, da es während der Kämpfe um Verdun verwendet wurde. Im Trommelfeuer riß eine krepierende Granate dem Zivilisten ein Bein weg. Man sollte meinen, dies sei eine der tiefsten Zäsuren seines abenteuerlichen Daseins gewesen, aber in seiner Autobiographie schildert Bunau-Varilla das schreckliche Erlebnis nur in wenigen kurzen Absätzen, der „Verdunisation" hingegen widmet er ein ausführliches Kapitel. Seine historische Perspektive war richtig — das Wasserklärsystem wurde später von vielen Städten der ganzen Welt übernommen.

Er beteiligte sich am Bahnbau im Kongo und in Spanien. Unablässig und erbittert griff er unfähige französische Regierungen an. Nur einer seiner großen Träume ging nicht in Erfüllung: Ein Tunnel unter dem englischen Kanal. Und selbst dieser Traum ist nicht begraben.

In meiner langen, journalistischen Laufbahn bin ich selten einer so zwingenden Persönlichkeit begegnet wie Bunau-Varilla. Als sich im Sommer 1959 sein Geburtstag zum hundertsten Male jährte, war ich in Spanien. Am 25. Juli kaufte ich einige amerikanische und französische Zeitungen, um nachzusehen, ob Gedenkartikel erschienen waren. Ich fand — nichts. Keine Zeile, kein Wort über den Mann, der Panama erfunden hatte.

Aus dem Englischen übersetzt von Gunther Martin Copyright by AMERICAN HERITAGE

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