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Der Minister und das „Ei des Kolumbus“

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Es war kurz vor den politischen Sommer-ferien. Vor der großartigen historischen Kulisse des Heeresgeschichtlichen Museums im Arsenal stellte sich Ferdinand Graf das erste Mal in seinem neuen verantwortungsvollen Amt als Minister für Landesverteidigung der in- und ausländischen Presse. Die Diskussion war rege. Kurz vor dem Abschluß interpellierte ein Korrespondent ausländischer Blätter auch noch den verantwortlichen Leiter der österreichischen Landesverteidigung, welche Stellung sein Ressort zu der Frage des Tragens der von Oesterreichern im zweiten Weltkrieg erworbenen Kriegsauszeichnungen einnehme. Man könnte nicht behaupten, daß diese Frage dem Minister überraschend ' gekommen wäre — dennoch gab er keine klare Antwort. Minister Graf berief sich zuerst auf die bisher vom Innenministerium geübte Praxis, dort, wo mit dem Tragen deutscher Orden keine Provokation verbunden wird, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Er kam dann auf verschiedene einander entgegengesetzte Vorschläge zu sprechen, um schließlich seufzend zu schließen: „Wer mir dieses Ei des Kolumbus finden helfen kann, dem werde ich wirklich dankbar sein.“

Inzwischen sind mehrere Monate vergangen. Aus der Deutschen Bundesupublik kam inzwischen die Nachricht, ein neues Ordensgesetz werde hier vorbereitet, das grundsätzlich das Tragen aller im zweiten Weltkrieg erworbenen Kriegsauszeichnungen gestattet. Doch nicht die echten Orden dürfen getragen werden, sondern Nachbildungen, auf denen das Hakenkreuz durch ein Eichenlaub ersetzt ist.

Was liegt näher, als es in Oesterreich ähnlich zu halten: so die Meinung einiger Kreise, denen wir zum Teil die gute Absicht nicht absprechen wollen. Versuchsballone wurden da und dort losgelassen, Leserstimmen in einigen Zeitungen, in denen neben scharfer Ablehnung auch die Meinung zu hören war, Oesterreich und sein Heer solle zur Lösung dieser offenen Frage den gleichen Weg einschlagen.

Deshalb scheint es an der Zeit, hier einmal ein leidenschaftsloses klärendes Wort zu sprechen, bevor Initiativen eingeleitet werden, die letztlich das neue Heer, das in diesen Tagen seine ersten Rekruten empfangen hat, mit einem schweren „Traditionsstreit“ belasten müßten, den niemand, dem das ruhige Wachstum einer kleinen, aber schlagkräftigen österreichischen Armee am Herzen liegt, wünschen darf.

Zugegeben: der Vorschlag der Deutschen Bundesrepublik ist einfach. Er ist aber zu einfach, um in Oesterreich übernommen und gar für dessen Heer angewendet zu werden.

Warum eigentlich?

Eine kurze historische Erinnerung macht den grundlegenden Unterschied deutlich. Die Ereignisse des Jahres 1938 sind bekannt. Damals hörte Oesterreich auf, ein eigener Staat zu sein. Es gab also auch im zweiten Weltkrieg keine österreichischen Soldaten, von österreichischen Truppen oder auch nur Truppenteilen ganz zu schweigen. Wohl aber ging unser ganzes Volk und vor allem seine männliche Jugend — teils von einem irregeleiteten Idealismus beseelt, zum Großteil aber unter hartem Zwang — in einen Krieg, der nicht der des Österreichischen Vaterlandes war. Ja, immer klarer wurde es schließlich, daß der Weg zu einem freien Oesterreich nur über die Niederlage eben jener Wehrmacht1 führen konnte, in der die Masse der Oesterreicher diente. Welche Konflikte hier in der Brust jedes einzelnen entstehen mußten, liegt klar auf der Hand. Die kleine Schar, die bis zu guter Letzt im Banne der Phrasen nationalsozialistischer Führung standen, war wegen ihrer Problemlosig-keit beinahe glücklich zu nennen. Dennoch waren die Oesterreicher auch in fremder Uniform tapfere Soldaten. Teils weil es eben ihrer Natur entsprang, teils auch — jeder, der wie der Schreiber dieser Zeilen Frontsoldat des zweiten

Weltkriegs war, wird dies bestätigen — weil eben der Soldat und Offizier sich in der Regel seinem Haufen Männer, mit denen ihn das Schicksal nun einmal zusammengeführt hat, viel mehr verantwortlich fühlt, als einem imaginären Leitbild, mag das nun „Führer“ oder „Großdeutschland“ geheißen haben. Der überwiegende Teil der Oesterreicher in der Deutschen Wehrmacht hat — das sei ausdrücklich festgehalten — seine wegen persönlicher Tapferkeit erhaltenen Auszeichnungen in Ehren erworben. Ebenso nachdrücklich aber darf angemerkt vverden, daß diese Ehrungen natürlich nichts mit Verdiensten für Oesterreich zu tun hatten — haben konnten. Den Veteranen und Trägern hoher Dekorationen des ersten Weltkriegs wird diese Unterscheidung vielleicht reichlich kompliziert vorkommen. Sie sollen sich glücklich schätzen. Sie hatten es einfacher. Einfacher hatten es auch noch die deutschen Soldaten in der Hitler-Wehrmacht. Mögen auch Zweifel an einer verderblichen Führung, die sich bis zur Tat des Oberst Stauffenberg verdichteten, sehr stark gewesen sein: im Hintergrund stand doch für sie Deutschland.

Deshalb haben wir auch Verständnis für die Lösung, die die Deutsche Bundesrepublik jetzt bei der Aufstellung ihrer neuen Truppe in der Frage der Orden und Ehrenzeichen des zweiten Weltkrieges trifft. Der Kommentar der neuen Gesetzesvorlage allein aber müßte allen Verantwortlichen in Oesterreich, vor allem aber der Führung des österreichischen BundesheeTes und der Leitung des Ministeriums für Landesverteidigung aufzeigen, daß gleichlautende Entscheidungen ausgeschlossen sind: In der Begründung des Bonner Gesetzes heißt es: „Durch die Entfernung des Hakenkreuzes soll auch zum Ausdruck gebracht werden, daß die Verdienste der Taten, für die die Auszeichnungen verliehen wurden, nicht für das nationalsozialistische Regime, sondern für das deutsche Vaterland geleistet worden sind.“

Welche Folgerungen ergeben sich daher für Oesterreich?

Wer immer im zweiten Weltkrieg als Soldat der Deutschen Wehrmacht Orden erworben hat — und welcher Frontsoldat hat das nicht —, möge sie — sofern er sie nicht, was auch vorgekommen sein soll, gegen ein Päckchen Camel-Zigaretten eingehandelt hat — als Erinnerung an schwere Zeiten und auch als Mahnung zu Hause verwahren. Es sei ferner dem politischen Geschmack jedes einzelnen überlassen, ob er, wenn in irgendeinem Marktflecken Schützenfest ist und der Großvater die „Große Silberne“ am

Rock befestigt, auch sein EK I an den Steirer-anzug steckt. Dabei scheint es uns wirklich schon eine Frage zweiten Ranges, ob er sich der „erneuerten“ Form bedient oder aber auf seinen Originalorden zurückgreift. (Ordens„retuschen“ erscheinen immer etwas dubios: auch der eingefleischteste Republikaner ist nach 1918 nicht auf die Idee gekommen, etwa alle Orden, die das Bild des Kaisers Franz Josef I. zeigten, in solche mit dem Profil von Bundespräsident Hainisch ummünzen zu lassen. Orden trägt man, wie sie verliehen werden — oder man läßt es bleiben.)

Wenn keine Provokation damit verbunden wird, erblicken wir also durchaus keine Staatsgefahr, wenn irgendwo in der Obersteiermark oder im Salzburgischen an einem Sonntag einmal ein Original-EK auftaucht Soweit stimmen wir der vom Innenministerium bisher gehandhabten Praxis im großen und ganzen zu.

Etwas ganz anderes aber ist es mit den offiziellen Waffenträgern des österreichischen Staates. Ein österreichisches Bundesheer, dessen Offiziere und Unteroffiziere sich im schwarz-weißroten Ordensschmuck einer fremden Armee vorstellen, ist undenkbar. Wir denken hier nicht so sehr in erster Linie an die ungünstige Aufnahme, die ein solcher Schritt im Ausland finden müßte oder an die heftigen Auseinandersetzungen im Inland. Wie uns in diesen Erwägungen überhaupt weniger Fragen der Opportunität als der Grundsätze bewegen. Gewiß, die heutige Zeit ist einer Grundsatzpolitik nicht sehr günstig gesinnt. Aber es muß dennoch Grenzen geben. Orden und Fahnen gehören zu den unveräußerlichen Symbolen eines Staates und seiner Armee. So wie niemand auch nur im Schlaf auf die Idee kommt, österreichische Bataillone mit den Fahnen und Standarten der Wehrmacht des Dritten Reiches zu belehnen, ebenso untragbar ist die LIebernahme der deutschen Kriegsauszeichnungen aus dem zweiten Weltkrieg, in welcher Form immer, in das österreichische Bundesheer.

Wir möchten bei diesem ernsten Thema nicht ins Burleske abgleiten. Allein auch ein solcher möglicher Fall sei erwähnt Da gab es auch die sogenannte „Ostmark-Medaille“. Sie wurde, wie schon ihr Name sagt, zur Erinnerung an Hitlers Einmarsch in Oesterreich verteilt Es könnte also durchaus der Fall sein, daß irgendein Oesterreicher, der damals auf der anderen Seite stand — wir wollen hier keine alten Wunden aufreißen —, noch im Besitz dieser Medaille ist.

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Möglicherweise trägt er eines Tages wieder Uniform — eine österreichische Uniform. Wie apart, wenn er sich mit einem Ehrenzeichen vorstellt, das die Auflösung seines Vaterlandes feiert.

Der Fall ist kraß. Merkt man aber daran, wohin geistig der Weg geht, wenn man die Frage der deutschen Orden ernstlich zur Debatte stellen würde?

Wir haben Vertrauen zu unseren Offizieren. Unser Vertrauen geht sogar so weit, daß aus ihrer Mitte heraus an zuständiger Stelle Schritte unternommen werden mögen mit dem nachdrücklichen Wunsch, die Frage der deutschen Auszeichnungen für das Bundesheer und für die übrige Exekutive nie und nimmer zur Diskussion zu stellen. Sie ersparen damit unserem Land und seiner Armee eine ernste Auseinandersetzung, die, wie immer sie ausgeht, tiefe Wunden zurücklassen müßte.

Die österreichische Regierung aber könnte diese Geste ihrerseits erwidern. Sie stifte — wie es auch nach dem ersten Weltkrieg geschehen ist — eine Gedächtnismedaille, die den schon im Feuer gestandenen Offizier oder Soldaten vor den jungen Rekruten auszeichnet.

Wir wissen nicht, ob wir mit diesen Zeilen das, was Minister Graf das „Ei des Kolumbus“ nannte, gefunden haben. Wir wollen auch keinerlei Dank beanspruchen. Ebensowenig wie wir es scheuen, ein solches „Heißes Eisen“, wie es der mit Sentiment und Ressentiment geladene Komplex der Orden und Auszeichnungen der Deutschen Wehrmacht für Oesterreich nun einmal ist, anzufassen. Allein es ging, wie schon so oft in den Spalten dieses Blattes, wiederum darum, offen auszusprechen, was über die scheinbare Opportunität des Tages hinweg aus staatspolitischen Gründen zu tun — oder in diesem Fall: zu lassen ist.

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