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Der Musterknabe hat es schwer

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Die heikle Operation der „Linksöffnung“ in Italien hat es ratsam erscheinen lassen, daß die Parteiführer selbst in die Regierung eintreten und die Verantwortung für ihre Parteien anderen überlassen. Außenminister Saragat hat sich bei den Sozialdemokraten durch den treuen Tanassi ablösen lassen, Nenni bei den Sozialisten durch ■ den ebenso treuen De Martino, nachdem ein Versuch Lombardis, sich an die Stelle des alten Bosses zu drängen, abgeschlagen worden war. Auch der Republikaner Reale ist zurückgetreten, aber die Frage der Nachfolge wird erst durch einen Kongreß endgültig entschieden werden. In keiner Partei ist jedoch die Wachablösung unter so schwierigen und zum Teil dramatischen Umständen erfolgt wie in der Demo-crazia Cristiana, die als größte Partei immer noch die Grundlage und das Gerüst für jede Politik in Italien liefert.

Nach viertägigem Verhandeln und Feilschen, nach Intrigen und Uberlistungsversuchen ist schließlich der Kompromiß erreicht wor-| den. Er hat zur Erhöhung . des 49jährigen einstigen Gymnasiallehrers aus dem norditalienischen Vi-cenza, Mariano Rumor, zum Nachfolger Aldo Moros und neuen politischen Sekretär der christlichdemokratischen Partei geführt. Rumor, Vorzugsschüler in der Klasse De Gasperis, aber kein „Wunderkind“ wie Moro, ist somit auf den einflußreichsten und inoffiziell mit der größten Machtfülle verbundenen Posten gerückt, den ein italienischer Politiker einnehmen kann. Der in den mit kühler Eleganz ausgestatteten Räumen des neuen Parteisitzes auf Mussolinis Weltausstellungsgelände zusammengetretene Nationalrat der DC hat ihn mit 127 von den insgesamt 137 abgegebenen Stimmen gewählt, woraus man auf eine seltene Einmütigkeit schließen müßte.

In Wirklichkeit ist die katholische Massenpartei Italiens, innerlich zerwühlt von konkurrierenden Gruppen, eigentlich ein Parteienkonglomerat, denn jede der anerkannten Strömungen besitzt Führer und Gefolgschaft, ein eigenes Presseorgan, einen eigenen Informationsdienst, einen eigenen Apparat. Und natürlich vor allem eine eigene Politik. Die Zeiten sind lange vorbei, da ein Parteisekretär, es war Guido Gonella gewesen, mit seinem Rücktritt drohte, weil Attilio Piccioni eine Zeitschrift gegründet hatte, um die sich die anderen Notabein der Partei scharten — um die auftretenden Strömungen zu bekämpfen.

Die größte Überraschung, ein wirklicher Coup de scene, ist die Wiederversöhnung zwischen Fan-fani und der Mehrheitsgruppe des Zentrums, den „Dorotheern“, gewesen, und nur durch sie ist die Wahl Rumors zustande gekommen. Der Kontrast zwischen dem dynamischen und autokratischen einstigen Ministerpräsidenten, der nach De Gasperi als einziger Regierungs- und Parteiführung in einer Person vereinen durfte, hat die italienische Innenpolitik seit 1959 maßgeblich bestimmt. Im Jänner 1959 hatten sich die Anhänger des klassischen Zentrums De Gasperis im Kloster der Dorotheerinnen in Rom versammelt und gegen Fanfani verschworen. Bei der nachfolgenden Sitzung in einem anderen Kloster, in der „Do-mus Mariae“, sah sich Fanfani in die Minderheit gedrängt und demissionierte. Seither ist der Kampf zwischen den beiden Richtungen mit wechselndem Glück geführt worden. Der schlechte Wahlausgang 1963 ist dem Regierungschef in die Schuhe geschoben worden; Moro hatte sich mit Saragat verständigt und Fanfani liquidiert, wobei dessen Absicht, die angeblich die kommunistische Druchdringung fördernden Gesetze für die regionale Aufteilung Italiens vors Parlament bringen zu wollen, als Vorwand diente. Fanfani revanchierte sich dann während Moros erstem Versuch, im Juni 1963 eine Regierung der linken Mitte mit Nenni zustande zu bringen, indem er sich hinter Lombardi steckte, der auch prompt die Operation seines Parteichefs Nenni scheitern ließ. Nach Moros zweitem — geglückten — Versuch stellte sich Fanfani vorübergehend in den Schmollwinkel, weil Moro ohne Zögern die früher abgelehnten Regionalgesetze in sein Regierungsprogramm aufgenommen hatte.

Die aktuell gewordene Frage der Ablösung Moros in der Partei erschien Fanfani als eine Gelegenheit, sein Comeback einzuleiten. Wenn Moro vielleicht geglaubt hatte, der Zwiespalt zwischen den einzelnen Gruppen werde es gestatten, das Parteisekretariat nebenher zu behalten, so ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung, da keine Richtung Einwendungen gegen die von den „Dorotheern“ vorgebrachte Kandidatur eines ihrer Exponenten, Mariano Rumor, erhob, nur um die Dinge in Fluß zu bringen. Auch Fanfani erklärte sich einverstanden. Um sich wieder in den Sattel zu schwingen, konnte er auf keine Hilfe von außen mehr rechnen. Saragat ist gegen ihn allergisch, und die Spaltung bei den Sozialisten hat auch Lombardi seines Einflusses beraubt. Innerhalb der Partei war eine Verbindung mit den Linksgruppen der Gewerkschafter und der „Basis“ von geringem Nutzen, da immer noch die Unterstützung der Anhänger Moros notwendig gewesen wäre, also jenes Mannes, den er aus der Rolle des permanenten Schiedsrichters zwischen rechtem und linkem Flügel verdrängen wollte. Es blieb nur ein einziger Weg offen, ein Ausgleich mit der bisher hart bekämpften Mehrheit der „Dorotheer“, die sich den jungen und tüchtigen apulischen Wirtschaftsfachmann Emilio Co-lombo zu ihrem Sprecher gewählt hat

Die „Aussöhnung“ zwischen Fanfani und den „Dorotheern“ ist bei den oppositionellen Gruppen in und außerhalb der DC als skandalös betrachtet worden. Die Liberalen sprechen von einem „Transformismus als Kampfmittel“; Saragat hat gegen Fanfani den Vorwurf des „katholischen Integralismus“ erhoben; ätzende Kommentare finden sich in der linkssozialistischen Presse und süffisante Ironie bei der Rechten, Inbegriffen der Pella-Wochenzeitung „DomiTOi'Jfc Aldo Mono,,jedoflto, ..gegen..: den sich a Fani'anis Ruf nach. ,;Einheit, Einheit, Einheit!“ richten konnte, hat mit unerwarteter Energie den Stoß pariert. Es bedeutete die zweite große Überraschung auf der Tagung des DC-Nationalrates, daß der Abgeordnete Corrado Belci in einer kurzen und bündigen Erklärung mitteilte, rund 40 Mitglieder des Nationalrates hätten ihn beauftragt, die Konstituierung einer neuen Gruppe Moro bekanntzugeben, die sich als von den „Dorotheern“ autonom betrachte. Die Spaltung ihrer Kräfte hat diese ziemlich eingeschüchtert, und es drückt sich das in der starken Vertretung der neuen Gruppe der „Morotheer“ in der Parteidirektion aus. Von den 23 Mitgliedern (bisher sind es 20 gewesen) sind sieben Anhänger Fanfa-mis, sieben „Dorotheer“ (aber einer davon, Evangelisti, gehört der Gruppe „Primavera“ des Verteidigungsministers Andreotti an), fünf Anhänger Moros, zwei der Gewerkschaftsgruppe und zwei der Basis.

Es fehlt, wie man sieht, die auf den Exministerpräsidenten Mario Scelba hörende Gruppe des „Cen-trismo popolare“. Scelba, Mann der rechten Mitte, hat seine Opposition durch Stimmenthaltung sichtbar gemacht. Die ihm angebotene Vertretung in der Direktion war so kümmerlich, daß er sich als fünftes Rad am Wagen hätte betrachten müssen. Er bleibt auch, im Gegensatz zu dem Beschluß des Nationalrates, der dem Ministerpräsidenten alles Gute auf dem dornigen Weg der „Linksöffnung“ wünscht, der einzige wirkliche Opponent der Koalition der linken Mitte: „Die Pflicht der Partei, die Regierung loyal zu unterstützen, findet ihre natürliche Grenze in der entsprechenden Pflicht der Regierung, nur im Rahmen der von der Partei vorgezeichneten Linien zu operieren.“

Mit der Wahl Rumors ist es also auch mit der Einheitdirektion zu Ende, in der alle Richtungen vertreten waren. Neben dem „Dorotheer“ Rumor stehen zwei Vizesekretäre, der Fanfanianer Forlani und der „Morotheer“ Scaglia. Diesem fällt aber die Aufgabe zu, sich um die internationalen Verbindungen und die Rechtsangelegenheiten zu kümmern und vor allem die der Leitung des Parteiorgans „II Popolo“. Moro hat seinen Einfluß auf das Sprachrohr der Partei auch dadurch gesichert, daß kein Leitartikel veröffentlicht werden darf, der nicht vom Ministerpräsidenten abgezeichnet ist. Der Mann der „Basis“, Gra-nelli, wird die kulturellen Angelegenheiten der Partei leiten und der Gewerkschafter Vittorino Colombo (nicht der Minister Emilio Colombo) sich um die Wirtschaft und die Arbeitsprobleme kümmern. Der Nationalrat hat ferner bestimmt, daß der DC-Kongreß vom 27. bis 30. Juni stattfinden soll und bei den Wahlen in den neuen Nationalrat nicht mehr das Mehrheitssystem, sondern das proportioneile angewendet wird. Damit ist, einem Wunsch Fanfanis nachgebend, jenes System verlassen worden, das die Einheit der Partei bisher mehr oder weniger aufrechtzuerhalten half. Die Voraussagen gehen allgemein dahin, daß auf dem Kongreß die Dinge in neuen Fluß geraten werden und die gegenwärtige Konstellation nicht endgültig ist, mag auch der Nationalrat bekräftigt haben, daß er „überzeugt von der dauernden Gültigkeit der Politik der linken Mitte ist, von ihrem Inhalt der Erneuerung, von ihrer Fähigkeit, mit vollem Erfolg die Herausforderung des Kommunismus in demokratischer Weise anzunehmen“.

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