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Der Mythos vom „Triebverbrecher”

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Oft wird es dem Strafvollzug oder der Therapie angelastet, wenn Sexualtäter rückfällig werden. Die Verantwortung, meint hingegen die Wiener Psychotherapeutin Rotraud Perner, liege letztlich beim Täter.

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Oft wird es dem Strafvollzug oder der Therapie angelastet, wenn Sexualtäter rückfällig werden. Die Verantwortung, meint hingegen die Wiener Psychotherapeutin Rotraud Perner, liege letztlich beim Täter.

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In Österreich und Deutschland sind gesetzliche Maßnahmen zum besseren Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern geplant, war kürzlich der Tagespresse zu entnehmen: Die Lösung, die für Osterreich angepeilt werde, bestünde darin, Sexualstraftäter ein oder zwei Monate vor Ende der vollen Haftzeit zu entlassen unter der Weisung, einmal wöchentlich zum Psychiater zu gehen. (Deswegen vor Haftende, weil danach keine Weisungen mehr erteilt werden dürfen.) Vorsorglich sollten die Sicherheitsbehörden informiert werden, daß der Delinquent wieder auf freiem Fuß und in Behandlung sei. Bestimmte Täter könnten sogar in sogenannten „halboffenen Wohnungen” unter Betreuung und Kontrolle von Sozialarbeitern auf ein „normales Leben” vorbereitet werden.

Diese Ankündigung deutet einerseits daraufhin, daß Gewalttaten, die auf Demütigung und Zerstörung der sexuellen Selbstachtung hinzielen, im „Männerstaat” nicht mehr nur als Kavaliersdelikte gesehen werden, und daß andererseits erkannt wurde, daß die derzeitigen Persönlichkeits-veränderungsangebote in den Haftanstalten nicht ausreichend oder anders formuliert, verbesserungsbedürftig sind.

Gewalt gehört eindeutig geächtet, wenn wir uns als Gesellschaft darauf geeinigt haben, daß wir Gewalt ablehnen.

Immer wieder beobachte ich, welche Faszination die sogenannten Sexualstraftäter ausüben im Gegensatz zu anderen Delinquenten, die weder solcherart sprachlich als Gruppe mit vielen Untergruppierungen zusammengesetzt werden (die Wirtschaftsverbrecher? Die Eigentumsdelinquenten?), noch von der Begrifflich-keit.Jch definiere „Sexualdelikte” als Gewalttaten, die an oder mit Genitalien durchgeführt werden”; es gibt kein Pendant etwa im Sinne von „Augendelikten” wie Blenden, Ausstechen oder Blauschlagen.

Mit diesem Sprachgebrauch wird bereits von der Gewalttat abgelenkt; es wird der „Mythos vom Triebverbrechen” aufgebaut, der der Verteidigung des Täters dient, nicht aber dem Schutz der Gesellschaft vor Gewalt. Hinter der Konstruktion eines sogenannten Triebtäters steckt unausgesprochen die Vorstellung, die betreffenden Menschen hätten eine biologische Veranlagung zum Sexualverbrecher.

Nun läßt sich kaum bestreiten, daß menschliches Verhalten und Erleben auf einem komplexen Zusammen spiel biologischer, kultureller und individuell-historischer Faktoren beruht - diese Möglichkeiten aber rein auf eine Biologie des Stammhirndenkens zu reduzieren, heißt, die Selbst-reflexion und Selbststeuerungsfähigkeiten des cortikalen Großhirndenkens zu mißachten.

Wenn also die Bevölkerung vor Gewalttätern geschützt werden soll, die ihre Gewalttätigkeit als Entgleisung der Sexualkraft entschuldigen wollen, erhebtrsich die Frage: von weT** chen Gewaltakten sprechen wir? Vom Exhibitionismus? Von Pädophi-lie? Von der Sexuellen Kindesmißhandlung? Oder von Vergewaltigung? Von sexuell gefärbter Folter? Von Sexualmorden?

Wo setzen wir als Volk (und damit mehrheitlich Frauen), von dem bekanntlich laut Bundesverfassung alles Recht ausgeht, die Grenze, wovor wir uns wie schützen wollen? Welcher Schutz ist der Tat dann adäquat?

Ich warne vor einer romantisch-verklärten Sicht der therapeutischen Möglichkeiten: Gewalt und insbesondere sexuelle Gewalt zum individuellen Problem eines Täters zu machen, verleugnet, daß wir in einer gewalt-überfluteten und dazu noch frauenfeindlichen Gesellschaft leben: Gewalt wächst in der Heimlichkeit des „trauten Heims”, bietet schon kleinsten Kindern ein Vor -Bild, wer das Sagen hat, auch wenn er oder sie sprachlos vor Wut nur mehr die Fäuste sprechen läßt, wer wen ein-teilt, wer die Freiheit und Freizügigkeit beansprucht und durchsetzt. Die Medien liefern mit ihren Bildern nur mehr 'doppelte Bestätigung. Wir sind aber alle gefordert, solidarisch mit den Opfern den Tätern Grenzen zu setzen.

In der Therapie dauert es meist, bis sich eine Situation bietet, in der es um Grenzen geht und in der auch Grenzen aktuell gesetzt werden können (die Grenzen des Arbeitsbündnisses werden aller Voraussicht nach ohnedies auch bearbeitet werden). Die einfachste Art, Grenzen zu setzen und damit Beziehungsfähigkeit aufbauen zu beginnen, liegt darin, dem Täter voll Achtung seiner Person mitzuteilen, daß sein Verhalten nicht gebilligt wird. Daß er nunmehr des Vertrauens in sein Wohlverhalten verlustig gegangen ist und daher Kontrolle einsetzt, nicht um ihn zu demütigen, sondern um sich selbst zu schützen. Und diese Kontrolle ist konsequent einzuhalten. Sie muß mehr sein als nur das wöchentliche Vorsprechen bei Polizei oder Gendarmerie oder gar bei einem Psychiater/Psychotherapeuten.

Sozialarbeiter werden dazu ausgebildet, bei der Organisation von .Arbeit, Wohnen und Sozialkontakten behilflich zu sein. Zur Organisation korrekten Sexualverhaltens werden sie nicht unterrichtet. Zum Lehren des bedächtigen Umgangs mit Hemmungen, Verbitterungen und Haß auch nicht. Und Frauenfeindlichkeit baut man auch nicht durch Appelle ab.

Wenn man die Bevölkerung besser schützen will, braucht man die Durchsetzung eines komplexen Präventionsprogramms: zusätzlich zu Bildungsangeboten zur Entwicklung einer gewaltverzichtenden Persönlichkeit erforderlich ist eine klare staatliche Meinungsbildung und -äußerung gegen Gewalt, eindeutige Vor-Bilder in den Medien und Anleitungen für Eltern und alle anderen Erzieher, Geschlechtergerechtigkeit und eine Sprache, die hilft, Konflikte friedlich zu regeln. Für die Menschen, die sich nicht an diese Spielregeln halten, braucht man Bäume der Besinnung, der Erkenntnis und der Umkehr. Das Gefängnis ist es nicht mehr.

Statt Unfreiwillige zu ambulanten Therapiesitzungen zu vergattern, die mangels Motivation und Einsicht nichts bringen außer Forschungsergebnissen und nur kosten, scheint es mir sinnvoller, beziehungsbehinderten Straftätern den Weg in (die Stille der Selbstreflexion zu ermöglichen, nicht gleich die Integration in die Normal weit mit ihrer Beizüberflutung und Hetzerei. Ahnlich wie 11 <l( &#9632; 11 12-Punkte -Programmen der Anonymen Selbsthilfegruppen könnte die spirituelle Identifikation mit einer „größeren, steuernden Kraft” die Ideologie des Herrenmenschentums, für das keine Gesetze gelten, unnötig werden lassen.

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