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Der Name ist hier Programm

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Als und der hier veröffentlichte Bericht unseres römischen Korrespondenten uns erreicht hatte, war die kurze redaktionelle Stellungnahme zur Persönlichkeit des neuen italienischen Staatsoberhauptes bereits erschienen. Der Artikel aus Rom

enthält jedoch weitere, bisher unbekannt gewesene Aspekte, die allesamt verdienen, den Lesern zur Kenntnis gebracht zu werden.

Sobald bei der letzten, der 21. Abstimmung in der italienischen Nationalversammlung für die Wahl des neuen Staatspräsidenten der Name des sozialdemokratischen Außenministers Giuseppe Saragat die schicksalhafte Zahl der erforderlichen Mehrheit von 482 Stimmen überschritten hatte, erhob sich im Sitzungssaal ein langer, brausender Beifall. Der Vorsitzende, Bucciarelli Ducci, war gezwungen, die Auszählung zu unterbrechen und mehrmals energisch die Tischglocke ertönen zu lassen. Man hätte meinen mögen, daß die Versammlung nie etwas anderes im Sinn gehabt hat, als Saragat zu wählen.

Im gleichen Augenblick haben sich die geübten berufsmäßigen Verfasser von Heiligenleben, die Hagio-graphen, in Bewegung gesetzt, um vor den Augen der Bevölkerung Italiens ein Idealblid ihres Staatsoberhauptes aufzubauen und auch die kleinste Falte von seinem politischen Antlitz wegzuretuschieren, auf daß es den Kleinen in der Schule und den Großen draußen im Leben als würdiges Symbol der Einheit der Nation gewiesen werden könne. Wenn die kommunistische „Vnitä noch zwei Tage zuvor Saragat hämisch als den Kandidaten der „Dorotheer“ , des konservativen Flügels der Democrazia Ohristiana, bezeichnet hatte, so ist er nach erfolgter Wahl für den kommunistischen Parteisekretär Luigi Longo ein sicherer Antifaschist und ein Leuchtturm für „die Erreichung der weitesten Ziele in Frieden und Freiheit der Gerechtigkeit und des Fortschritts“ . Auf der Gegenseite hat Parteisekretär Mariano Rumor von der DC seine tiefe Befriedigung über die Wahl Saragats erklärt, an der die katholische Partei entscheidend mitgewirkt habe, weil sie in ihm einen der besten Männer der italienischen Demokratie erblicke, einen steten Kämpfer gegen die Volksfront

Alles gut also. Tatsächlich hat die christlichdemokratische Partei zum Schluß einiges gutgemacht, was sie in zwanzig Abstimmungen verdorben hatte. Bis zu dem Punkt, daß sie, wie der bürgerliche „Messagero schrieb, ihre Funktion als Bollwerk der Demokratie zu verlieren und ein Element der Verwirrung im politischen Lebens Italiens zu werden schien. Hätte die DC, die sich ihrer Schwäche bewußt sein mußte, von Anfang an auf Saragat gesetzt, vielleicht darauf verweisend, daß die Partei gar nicht so integralistisoh ist, wie man ihr unterstellt, und auch einem laizistisch eingestellten Mann den Präsidentenstuhl gönne, sie hätte gute Figur gemacht. So aber, da die kommunistischen Stimmen entscheidend zu Saragats Wahl beigetragen haben, kommt sie im Ansehen des Volkes schlecht weg.

Ein Mann der Volksfront ist Saragat deswegen in keiner Weise geworden. Pietro Nenni wäre es gewesen, dessen Kandidatur die

Kommunisten vorgeschlagen hatten, wenn die DC oder ein Teil von ihr ihm die Stimmen gegeben hätte. Saragat ist aber, wenn auch spät und mit Widerwillen und weil wirklich kein anderer Ausweg mehr vorhanden war, von der DC vorgeschlagen gewesen, und die Kommunisten waren es, die dann mitgestimmt haben. Daß ihnen Saragat im Grunde in keiner Weise lag, zeigt auch die Tatsache, daß die Sozialproletarier, sonst treue Schleppenträger der Kommunisten, sich nicht entschließen konnten, deren Beispiel zu fogen, und lieber weiße Zettel abgaben. Eine chinesische Haltung. Die Christlichdemokraten haben am Ende die Kandaditur Saragats, ihres langjährigen Verbündeten, vorgebracht, weil sie statt zweier Übel nur eines wählen wollten: die Wahl eines Mannes, den sie schätzen, zwar mit Hilfe der Kommunisten, auch wenn er nicht Christlichdemokrat ist. Sie hätten auch Amintort Fanfani als ihren offiziellen Kandidaten hinnehmen können, aber auch er hätte die kommunistischen Stimmen gebraucht, sie würden entscheidend geworden sein, und außerdem hätten sie einen Präsidenten bekommen, der der Mehrheit in seiner Partei verhaßt ist.

Saragats politische Vergangenheit ist eine einzige Negation aller Volksfrontideen. Der gebürtige Piemontese, heute 66jährig, ist in dem gleichen Jahr politisch hervorgetreten, in dem die lange Periode des Faschismus begann, aus Opposition gegen die Diktatur und aus dem Glauben an Demokratie und Freiheit. Diesen Glauben hat er mit Exil und Gefängnis bezahlt. Als er 1923 der Sozialistischen Partei beitrat, galt er bald als deren Wunderkind. Schon 1925 wurde der Bankbeamte und spätere Journalist in das Exekutivkomitee gewählt. 1926 beginnt mit der Flucht ins Exil ein für seine politische Bildung entscheidender Abschnitt seines Lebens. Er wendet sich zuerst nach Österreich, mit dem sein Schicksal immer in einer merkwürdigen Weise verbunden blieb. In Wien lernt er die führenden Köpfe des Austromarxismus kennen, Otto Bauer, Julius Deutsch, Viktor Adler, Karl Seitz, Karl Renner. Später übersiedelte er nach Frankreich, aber der melodramatische Sozialismus eines Jaures lag ihm weit weniger als der deutsche und österreichische. Sein Sozialismus ist der eines Schumacher, Ollenhauer, Gaitskell und Attlee. Viel später, nach einem Emigrantendasein in niederdrückender Armut, nach der Erfahrung in deutscher und faschistischer Haft, hat er seiner Partei in dem Augenblick den Rücken gewendet, als er merkte, daß sie, seine Ideale von Demokratie und Freiheit aufgebend, sich einem anderen Totalitarismus zuneigte, dem kommunistischen. Der Entschluß zur Spaltung im Jahre 1947 bezeichnete den traurigsten Tag in seiner politischen Karriere, aber er wurde zur Geburtsstunde der italienischen Sozialdemokratie, das heißt jener sozialistischen Richtung, die „recht behalten hat“ , während der mit den Kommunisten verbliebene Nenni erst sehr spät den falschen Weg erkannte. Daß Saragats neue Partei klein blieb, und die Nennis die bedeutendere, hat nichts zu sagen. Die Mehrheit ist nicht immer auf Seiten dessen, was Recht ist. Aber Saragat blieb unbeirrt sozialdemokratisch trotz allen Anwürfen und Beleidigungen. „Labo-rista! rief man ihm einmal als Schimpfwort in einer Versammlung entgegen. Er erwiderte dem Zwischenruf er ruhig: „Für Italien wird es ein großer Tag sein, wenn wir, wie Attlee, behaupten können: wir haben den Sozialismus verwirklicht und dennoch niemand ins Gefängnis gesteckt!

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