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Der Papst zwischen den Zeiten

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Mitten im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde er zum Papst gewählt: Paul VI. vollendete, was er nicht begonnen hatte. Und wurde - trotz aller Kritik - der erste Papst der Moderne.

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Mitten im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde er zum Papst gewählt: Paul VI. vollendete, was er nicht begonnen hatte. Und wurde - trotz aller Kritik - der erste Papst der Moderne.

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Als Johannes XXIII. am 3. Juni 1963 starb, war das von ihm einberufene Konzil noch voll im Gang, noch weit vor entscheidenden Beschlüssen. Sein Nachfolger, der Erzbischof von Mailand, Giovanni Montini, war bereits im vorhergegangenen Konklave nach dem Tod Pius XII. 1958, als Papabile gehandelt worden, hatte er doch mit diesem durch Jahre hindurch im Staatssekretariat eng zusammengearbeitet. Nun erhielt der 65jährige im fünften Wahlgang die nötige Mehrheit der Kardinäle -schon unter dem Aspekt, daß das Konzil vollendet werden sollte.

Montini nahm den Papstnamen Paul VI. an, nach dem Apostel Paulus, in dem er - wie aus seinen Gesprächen mit dem französischen Philosophen und Freund Jean Guitton hervorgeht - das große Vorbild sah. In ihm fand er die großen Anregungen für die Neuerungen, die er in der Kirche für nötig sah.

Paul VI. stand zwischen den Zeiten. Die lange Zusammenarbeit mit Pius XII., der damals in der Kirche als Idealbild eines Papstes verehrt worden war, hatte ihn geprägt - und doch öffnete er Wege und Ausblicke, die selbst einem Johannes XXIII. noch verstellt waren und die erst der Papst aus Polen weitergehen sollte.

Am 26. September 1897 in Conce-sio bei Brescia geboren - der Vater war Zeitungsverleger und Politiker - studierte er in Mailand und Rom, erwarb zwei Doktorate, besuchte die päpstliche Diplomatenakademie und arbeitete seit 1922 im Staatssekretariat, wo er bis 1954 zum Prostaatssekretär aufstieg. Sein Aufgabenbereich waren die innerkirchlichen Angelegenheiten; erst als Erzbischof von Mailand stieg er aktiv in die Seelsorge ein - in einer der rötesten Diözesen Italiens.

Johannes XXIII. erhob ihn ins Kardinalskollegium. Der Südtiroler Kirchenhistoriker Josef Gelmi schildert ihn so:

„Paul VI. besaß weder die Ausstrahlung seines Vorgängers noch die suggestive Wirkung seines Nachfolgers. Geschwächt durch Alter und Krankheit bot er besonders in der Spätphase des Pontifikats immer mehr ein Bild der Hilflosigkeit ... Doch in der Rückschau zeichnet sich mehr und mehr ab, daß er durch seinen Verzicht auf äußere Effekte und Show sowie durch sein Ernstnehmen des Menschen und seiner Probleme zu den modernsten Päpsten des 20. Jahrhunderts zählt.”

Die erste Aufgabe lag in der Fortsetzung und dem Abschluß des Konzils, im Sinn des „aggiornamento” seines Vorgängers. In seiner Krönungsansprache kündigte Paul VI. aber auch an, die Kirche gegen alle Irrtümer verteidigen zu wollen: „Erneuerung - ja, willkürliche Änderungen -nein!” (Gelmi)

Zaudern und weitertreiben

Wenn dem zweiten Nachfolger Mon-tinis, Johannes Paul II. heute von konservativen Kirchenvertretern vorgeworfen wird, er entschuldige sich zu oft für frühere Vorgänge in der Kirche - Paul VI. begann die zweite Sitzungsperiode des Konzils mit dem Schuldbekenntnis den getrennten

Brüdern gegenüber, die er um Verzeihung bat, wenn sie sich verletzt fühlten. Bei der Eröffnung stellte er dem Konzil vier Aufgaben: die lehramtliche Darstellung des Wesens der Kirche, die innerkirchliche Erneuerung, die Förderung der Einheit der Christen und den Dialog mit der Welt.

Johannes hatte keine Zeit mehr gehabt zu erleben, wie die Welt auf seine Initiativen, auf die Beschlüsse des Konzils reagieren würde. Paul mußte fortführen, auch manches, was schon lief, aber seinem Naturell, seiner Erziehung widersprach. Sein Wille zu vermitteln, vorwärts zu treiben, ohne sich zu überstürzen, mußte Konservative wie Progressive zugleich befriedigen und enttäuschen.

Anders als Johannes griff Paul selbst in das Konzilsgeschehen ein -was etwa 1964 zur schärfsten Krise des Konzils führte: Bei der Diskussion um die Kollegialität des Episkopats ließ er dem Papier eine erklärende Anmerkung beifügen, die „jede Beeinträchtigung des päpstlichen Primats verhindern sollte” (Gelmi) - unter Protest etlicher Konzilsväter. Manche Theologen waren der Meinung, der Papst sei damit über die Aussagen des ersten Vatikanums zur Unfehlbarkeit noch hinausgegangen. Unter den Dekreten der fünften Sitzungsperiode ragen jenes über die nichtchristlichen Beligionen mit der Verurteilung des Antisemitismus und jeglicher Bassendiskriminierung, dann das über die Religionsfreiheit hervor. Hier sagte sich die Kirche von der Auffassung los, die weltliche Macht müßte das Heilswerk der Kirche auch mit ihrer Gewalt unterstützen.

Erster reisender Papst

Johannes XXIII. war als erster Papst seit dem Verlust des Kirchenstaates aus dem „Gefängnis im Vatikanum” ausgebrochen; er hatte Loreto und Assisi besucht.

Paul VI. war der erste Papst, der Amerika besuchte, vor der Generalversammlung der UN sprach, der Reisen nach Afrika und Asien unternahm - neun in 15 Jahren. Die wichtigste war zweifellos jene nach Jerusalem, sein Zusammentreffen mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Athenagoras, mit der nachfolgenden Aufhebung des gegenseitigen Bannspruchs von 1054 der erste Schritt in Bichtung auf eine Aussöhnung mit der orthodoxen Kirche -auch wenn selbst mehr als 30 Jahre später die Erfolge noch beschränkt sind.

Umstritten blieb auch die Ostpolitik Pauls VI. Pius XII. hatte die strenge Trennung zwischen Kommunisten und Christen bis zur Exkommunikation ausgesprochen, den Widerstand der Bischöfe im kommunistischen Osten gefördert.

Paul VI., Patriarch Athenagoras: Mei-lenstein der Ökumene gesetzt Foto Abchu

Johannes begann aufzulockern - er empfing Nikita Chrutschtschows Schwiegersohn in Audienz. Paul kam während der UN-Generalversammlung in New York mit dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromy-ko zusammen; er empfing den sowjetischen Staatschef Nikolai Podgor-nyi im Vatikan. Er veranlaßt, daß der ungarische Primas Jozsef Mindszenty aus seiner selbstgewählten Gefangenschaft in der US-Rotschaft in Budapest auszog und in Wien Asyl fand, um den Wirkungsmöglichkeiten der Bischöfe im Osten mehr Raum zu geben.

Sozial fortschrittlich -moralisch bewahrend

Erste Kontakte, die die DDR-Regierung zum Vatikan anzuknüpfen versuchte, um eine Anerkennung der ostdeutschen Kirchengrenzen zu erlangen, endeten mit dem Tod des Papstes - der (zweite) Nachfolger hatte andere Vorstellungen von Ostpolitik. Die Kurienreform mit der Abschaffung des Index der verbotenen Bücher, die Festlegung von Altersgrenzen für Bischöfe und Kardinäle, die Erweiterung des Kardinalskollegiums, Laienrat und Bischofsynode - vor allem seine große Sozialenzyklika „Populorum progressio” stehen für Neuerung. Auf der anderen Seite stießen sein Bund-schreiben über den Zölibat und vor allem die Enzyklika „Humanae vitae” zur Ehemoral auf den intensiven Protest der Progressiven. Die stark verkürzte Aufnahme von „Humanae vitae” in den Medien hat dazu beigetragen, daß der Name Paul VI. vor allem mit der „Pillenenzyklika” assoziiert wird.

Paul VI. „hat um die Liebe und das Verständnis der Menschen gerungen wie kaum ein Papst vorher, sagte Kardinal Franz König anläßlich seines Todes. Seine zögernd und schüchtern ausgebreiteten Arme waren ein Symbol. Auch die Liebe seiner Mitmenschen ward ihm nicht von Haus aus in dem Maß zuteil wie seinem Vorgänger. Erst in den letzten Jahren hat die Welt begriffen, was sie an diesem Papst hatte.”

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