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Der Philosoph auf dem Hradschin

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Vor zehn Jahren — am 14. September 1937 — schloß der Gründer und erste Präsident der tschechoslowakischen Republik Thomas Garrigue Masaryk die Augen für immer. Die Aufbahrung am Hradschin, in der Burg der Könige, war eine wahrhaft königliche, und ebenso glich sein Leichenbegängnis der Triumphfahrt eines Herrschers durch seine Stadt. Hunderttausende säumten vom Hradschin bis zum Wilson-Bahnhof die Straßen, durch die die Lafette mit den sterblichen Überresten des Präsidenten fuhr. Vor dem Bahnhof trug man die Fahnen aller tschechoslowakischen Regimenter am Sarg vorbei; langsam setzte sich • dann der Zug in Bewegung, um den Toten durch die Landschaft nach I.ana, dem langjährigen Sommeraufenthalt des Präsidenten, zu führen. Die Schatten des Abends lagen schon über dem Dorf, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde.

Genau ein Jahr später, am 19. September 1938, mußte die tschechoslowakische Regierung unter dem Druck der noch nicht gerüsteten Westmächte sich zu Gebietsabtretungen an Deutschland bereit erklären, und in der Konferenz von München wurde am 29. September 1938 mit kurzen Worten das Urteil gesprochen, das die Schöpfung Masaryks vernichten sollte. Die böhmischen Länder verloren ihre jahrtausendealte Grenze, tief schnitten die neuen Gemarkungen in das Land, sie umfaßten einen verstümmelten Rumpf. Ein ungeheurer Schock ging durch das Volk. Die Masarykbilder verschwanden plötzlich von den Wänden, seine Bücher aus den Auslagen, sein Name wurde nicht mehr genannt. So weit ging dieser Umschlag der Stimmungen, daß ausbrechender Haß sogar die Ruhe des Grabes störte: Militär mußte den stillen Dorffriedhof von Lana besetzen, da die letzte Ruhestätte des Präsidenten von Frevlern besudelt worden war.

Durch zwanzig Jahre, von 1918 bis 1938, war Masaryk ein ungekrönter König gewesen, jetzt war der Haß zu seiner Person zurückgekehrt. Denn vierzig Jahre lang, von seinem Bekanntwerden in der Öffentlichkeit im Jahre 1880 bis 1918, war sein Weg begleitet von Abneigung, Mißverständnis und Haß. Sein Weg war ein sehr einsamer gewesen und begleitet von Kritik. Wie sollte es auch anders sein, da sein Leben voll Widersprüche schien? Er war als Slowake geboren worden und hatte seine Abstammung aufgegeben, um ganz im tschechischen Volkstum aufzugehen. Als er, •der in Wien maturiert, die Wiener Universität besucht und sich hier auch habilitiert hatte, im Jahre 1882 nach Prag auf die Hochschule kam, sprach er die tschechische Sprache so mangelhaft, daß es Demonstrationen von Seiten seiner tschechischen Hörer gab. Als er gar im berühmten „Handschriftenstreit“ die Echtheit dieser Urkunden bekämpfte, galt er als „von den Deutschen bestochen“. Die Historiker lehnten seine geschichtsphilosophischen Werke ab und wiesen ihm eine Menge Fehler nach, und die Philosophen wußten mit seinen Werken überhaupt wenig anzufangen, da sie der herrschenden Richtung widersprachen. Denn lange vor Sigmund Freud und Jung hatte er sich mit dem Problem der Psychosen und Neurosen beschäftigt und die Begriffe der psychologischen Analyse und der seelischen Therapie in seinen Werken verwendet. Ähnlich rging es ihm auf anderen Gebieten: die Liberalen, deren antikirchliche Forderungen er teilte, verwarfen ihn, d.i er wieder in merkwürdiger Gegensätzlichkeit ihre religiöse Indifferenz tadelte, die Marxisten sahen ihn, trotzdem er mit den sozialdemokratischen Arbeitern demonstriert hatte, mit scheelen Blicken an, da er die Lehre von Marx und insbesondere dessen Klassenkampfdogma für falsch erklärte. Von den Katholiken hatte er sich 1880 durch seinen Austritt aus der katholischen Kirche selbst ausgeschlossen, bei den Protestanten, denen er sich zugewendet hatte, galt er als kein Gewinn, da er am Kirchenlebcn nicht teilnahm und erklärte, daß das Christentum sich im Katholizismus besser bewahrt habe. Aus der jungtschechi-schen Partei trat er aus, da er deren staatsrechtliche Politik — die einen böhmischen Staat innerhalb Österreichs forderte — ablehnte und eine „reale“ Politik verlangte und andererseits ebenso deren Hinneigen zu Rußland und die panslawistische Politik verwarf.

Er hatte mehr Feinde als Freunde. Erst der große Erfolg seines Auftretens an der Seite der Entente während des ersten Weltkrieges ließ seine Feinde verstummen, sie meldeten sich wieder, sobald der Erfolg geschwunden zu sein schien. Der Schlüssel zum Verständnis Masaryks liegt in der Erkenntnis der Einflüsse, die aus seiner Herkunft und seinem Bildungsgang seine Persönlichkeit formten. Der Geburt nach Slowake, war Masaryk der Bildung nach Tscheche. In ihm begegneten sich zwei verschiedene Zonen. Zeitlebens hat er eine seltsame Mystik gegenüber Gott, als Mensch freisinniger tschechischer Bildung, gewinnt er den eigenartigen Realismus des Skeptikers gegenüber der Welt. Er bleibt sein ganzes Leben hindurch stark religiös bestimmt und hat doch den Glauben an die Kirche verloren. In der Person dieses ersten und vielleicht einzig wirklichen Tschechoslowaken tritt i uns weltanschaulich ein Phänomen, eine Synthese gegenüber. Niemals kam sein Glauben an Gott ins Wanken, seine Gedanken kreisten ständig — wie Rilke es im Studienbuch sagt — „um Gott, um den uralten Turm“. Es war kein pantheistischer Gott, sondern ein persönlicher Gott, an dem sein Glauben hing. Und mit ebensolcher Überzeugung glaubte er an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und an die Notwendigkeit der Religion,' die der „Mensch brauche wie die Luft zum Atmen“, wobei er das Wesen der Religion genau erkannte und sie nicht mit Moral und Sittlichkeit verwechselte. Aber das Geistesguf, das er in sich aufnimmt, raubt ihm den Glauben an die Offenbarung und an Christus. Christus bleibt Vorbild und Lehrmeister, aber nicht Erlöser. An der Universität Wien, aus der H-nd Franz Brentanos, nimmt er eine rebellische Philosophenreligion in sich auf, wird mit Plato bekannt, arbeitet sich durch den Skeptizismus Humes, den Subjektivismus Kants, wird beeinflußt von Comte und Mill. Der Einfluß, den Franz Brentano auf ihn ausübt, ist überragend: es ist dem Einfluß dieses ehemaligen Priesters zuzuschreiben, daß Masaryks Denken sich entchristlicht und er die katholische Kirche schon bald verläßt. Jene, die den Glauben dieses ehemals glühenden Katholiken zerstörten, zerstörten damit auch gleichzeitig seinen Glauben an Österreich. Wäre Masaryk Katholik geblieben, er wäre schwerlich der große Zerstörer der alten habsburgischen Monarchie geworden, sondern hätte zwischen ihren Fehlern und Mängeln ihre unersetzbare Mission für den Frieden erkannt. Auch so noch schwankte er lange zwischen Loyalität und Kampf, bis er sich endgültig zum Kampf entschloß. Noch 1895 hatte er dem t.-.chechisdien Volk gesagt, es möge sich nie den Untergang Österreichs wünschen, denn dann geriete Böhmen zu Deutschland und was dies für das tschechische Volk bedeute, könne sich jeder ausmalen. Mit der Gegnerschaft gegenüber Österreich verband er dann seine starke Abneigung gegenüber der katholischen Kirche, die er als die stärkste Stütze der Monarchie ansah. Nach dem ersten Weltkrieg sprach er einmal das scharfe Wort: „Wir haben mit Habsburg abgerechnet, wir werden mit Rom abrechnen.“ Aber der Realist in ihm erkannte bald, daß diese Abrechnung mit Rom nicht so einfach war, ja, daß diese „Konkursmasse“, als welche der Katholizismus für viele schon galt, erstaunlich zäh war. Diese „Abrechnung“ mußte einem „Modus vivendi“ PJatz machen, um schließlich gar in ein recht freundschaftliches Verhältnis zu münden. Möglicherweise haben auch seelische Gründe mitgespielt. Es wurde bald ein offenes Geheimnis, daß Masaryk sich in den letzten Jahren seines Lebens wieder stark der Kirche näherte, die er in seiner Jugend verlassen hatte. Der Prager Kanonikus Antonin Borzek-Dohalsky (später von den Deutsdien im Konzentrationslager ermordet) war durch viele Jahre ein ständiger Gast des alten Präsidenten. Wechsclvoll haben Haß und Liebe das Leben Masaryks begleitet. Aber zur Zeit des. Protektorats stieg heimlich wieder die große Liebe seines Yolks zu ihm auf. Die Springflut, die seit 1938 über Europa hinwegging und es bis ins tiefste umwandelte und erschütterte, hat die Gestalt Masaryks in die Ferne gerückt, sie“ schon historisch werden lassen. Neue Männer, neue Kräfte, neue Ideen ringen um die Gestaltung Europas. Aber es bleiben unvergeßliche Weisheit und Mahnung an

Europa die Worte, die Masaryk sprach: sein Aufruf zur absoluten Wahrhaftigkeit, die immer gesucht werden muß und die zu bekennen jeder den Mut haben soll, seine Mahnung, daß das Grundübcl unserer Zeit die Irreligiosität weitester Massen ist, von der alle anderen Übel ihren Ausgang nehmen, und auch seine Aufforderung, in dem Gang der Geschichte die Ideen Gottes zu erkennen und alle unsere Kräfte daranzusetzen, daß die ,Cr'itas Dei“ hier auf Erden verwirklicht^ werde.

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