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Der Philosoph der Revolution

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An den Tod Andrej Shdanows, des Sekretärs im Zentralkomitee der kommunistischen Partei der UdSSR, der schon als Anwärter des Stalinschen Erbes betrachtet wurde, haben sich viele Fragen geknüpft, auch die eine, ob das Verseh winden dieses mächtigen Mannes einen Kurswechsel der russischen Außenpolitik herbeiführen könne. Es ist bekannt, daß alle Maßnahmen der sowjetischen Staatsführung, gleich, ob sie sich auf das wirtschaftliche oder kulturelle Leben oder eben auf den außenpolitischen Sektor beziehen, im Zentralkomitee der Partei beraten und beschlossen werden; dort führte neben Stalin Shdanow das maßgebliche Wort, aber auch Molotow hatte als Außenminister — im Gegensatz zu seinem Vorgänger Litwinow — in diesem Tribunal Sitz und Stimme. Zwar pflegte Shdanow, ausgenommen bei der letzten Kominformsitzurtg in Bukarest, nie vor einem außenpolitisch wichtigen Forum Erklärungen abzugeben, doch wäre es falsch, anzunehmen, daß sich sein Einfluß auf innenpolitische Fragen beschränkt hätte.

Er war von Stalin zum Hüter der ideologischen Reinheit aller Gebiete des öffentlichen Lebens bestellt und er erfüllte diese Aufgabe streng, mit leidenschaftlicher Hingabe und offensichtlich ohne jede Rücksicht auf Wohlwollen oder Mißgunst seiner Umgebung. Es gehörte zu seiner Aufgabe — und sie entsprach seinem dogmatischen Rigorismus —, das Verhältnis der Sowjetunion zu der übrigen „bürgerlich-kapitalistischen“ Welt stets der kritischen Analyse zu unterziehen. Wenige Tage, nachdem im Spätherbst 1946 Stalin dem Direktor der „United Press“ das berühmte Interview gegeben hatte, in dem er die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens der kommunistischen und der kapitalistischen Staaten bejahte, sprach Shdanow vor dem Moskauer Sowjet über dasselbe Thema: er lobte die Weisheit und die Friedensbereitschaft Stalins, um dann fortfahrend zu schildern, wie wenig Hoffnung bestehe, die Amerikaner aus der tiefen Verstrickung ihres reaktionären Kurses zu lösen und eine ehrliche Annahme des sowjetischen Angebotes zu erreichen. Zu jeder Zeit betonte Shdanow die theoretische und reale Kluft, die den kommunistischen Staat vom bürgerlichen unterscheide. Das Feld, auf dem sich sein Feuergeist mit Vorliebe tummelte, war die Interpretation der dialektischen Geschichtsdeutung. Man kann sagen, daß ihn die Dialektik in der Geschichte und die Ausarbeitung der dialektischen Methode des Handelns mehr interessierte, als die materialistische Deutung dieser Dialektik. Mit anderen Worten: er war der eifrigste Bekenner des von Hegel aufgestellten Prinzips der Geschichtsbewegung in Gegensätzlichkeiten und Widersprüchen (in These, Antithese und Synthese), jenes Prinzips also, das anstatt der Annahme einer kontinuierlichen Evolution in der Menschheitsentwicklung die Revolution als die einzige v o r w ä rt s t r e i b e n de Kraft anerkennt.

Shdanows Leistung innerhalb des russischen Kommunismus ist es, dem Denken des echten Sowjetmenschen die revolutionäre Prägung bewahrt zu haben. Diese revolutionäre Geistesgestaltung war zwangsläufig in dem Augenblick gefährdet, da die Kommunisten aus der Opposition zur Staatspartei wurden; wie sollten sie sich den revolutionären Schwung bewahren, wie kämpferisch bleiben? Shdanow fand den Weg. Seine Losung hieß: erstens die oppositionelle Stimmung gegenüber der noch nicht kommunistischen Welt wachhalten, das Ziel der Weltrevolution nicht aus den Augen verlieren („Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“); zweitens im Inneren des Landes gegen die dogmatische Erstarrung kämpfen, das Vorläufige, notgedrungen Improvisatorische jeder Staats- und Parteimaßnahme offen aussprechen, das ständige Wachstum der menschlichen Erkenntnis und damit das ständige Veraltern einmal getroffener Entscheidungen jedem Sowjetbürger überzeugend klar machen und ihn selbst zur verbessernden Kritik aufrufen. Shdanow verfocht wie kein zweiter in Rußland das „Prinzip der mutigen Kritik und Selbstkritik“ und war Anreger und geistiger Führer der seit 1946 laufend stattgefundenen philosophischen und kulturpolitischen Diskussionen in Moskau und L e n i n g r a d, die zur Verurteilung des Existentialismus, zum Sturz einiger liberaler Literaten, zur vernichtenden Kritik an dem Historiker, KP-Propaganda- chef und Stalinpreisträger Alexandrow und zur Maßregelung der bekanntesten Sowjetkomponisten führte.

Auf die Außenpolitik angewendet, bedeutete Shdanows hier beschriebenes, revolutionäres Konzept, daß er jedes Verwischen der (dialektischen) Gegensätzlichkeiten zwischen Kommunismus und Kapitalismus bekämpfte. So hat er gegen Wallace, den Stalin später' persönlich einer Antwort auf seinen bekannten „Offenen Brief“ würdigte,

sehr polemische Worte gesprochen und auf die Verfangenheit auch dieses USA-Bürgers in die kapitalistische Denkweise hingewiesen. Vor allem aber hat er gegen jene junge Doktrin gekämpft, die eine friedliche, schrittweise Überführung bisher kapitalistischer Staaten in sozialistisch-kommunistische für möglich hält. Eine derartige Verleugnung des dialektisch-revolutionären Prinzips der Geschichtsbewegung aber stellt das volksdemokratische Konzept dar, das nach den Volksfrontversuchen vor dem zweiten Weltkrieg von dem chinesischen Kommunistengeneral Mao Tse-tung in philosophischen Essays gleichsam zu einer neuen Spielart des Marxismus entwickelt wurde.

Die Verurteilung des Tito-Regimes durch die Kominform, die nach einem langen Vortrag Shdanows vor den in Bukarest versammelten Kommunistenführern erfolgte,

war der letzte Triumph des revolutionären Kämpfers. Es war mindestens ein ideologischer Triumph für ihn, wenn schon kein politischer für Rußland.

Man muß sagen, daß mit Shdanow einet der unerbittlichsten und bedeutendsten Widersacher des Westens dahingegangen ist. Im Hauptquartier der sowjetischen politischen Führung wird der starke Opponent eines konzilianteren, diplomatischeren Konzepts fehlen. Man wird aber aus einem solchen Wandel nicht auf eine prinzipielle Auflockerung des Kommunismus schließen dürfen.

Was Shdanow offen verfocht, vertreten und verbergen die anderen mit List und Geschicklichkeit, die schließliche Liquidierung jener Welt, die sie als die kapitalistische bezeichnen, aber noch die ist, die sie als die christliche hassen.

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