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Der Philosoph mit Illusionen

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Am 7. März waren es 120 Jahre, daß Tomäi Masaryk in Göding im südmährischen Winkel zwischen Slowakei und Österreich geboren wurde. Wenn er mit 64 Jahren an einer Operation gestorben wäre, wäre er als unbekannter Politiker und um-käimpfter Wahrheitsfanatiker der Vergessenheit anheimgefallen. So aber ging der pensionsreife Universitätsprofessor in die Emigration, wo er seine publizistischen Verbindungen und familiären Beziehungen zur anglo-amerikanischen Welt spielen ließ. In der Unabhängigkeitsbewegung war er zwischen dem unbeliebten Tschechen Benes und dem eleganten Salonlöwen, dem slowakischen Astronomen Stefanik, eigentlich der einzige „Tschechoslowake“ trotz deutsch-hanakischer Mutter und eventuell unehelich-jüdischem Vater Redlich. Ohne ihn, der kraft seiner professoralen Vergangenheit und perfekter Englischkenntnisse Zugang zu Professor Wilson fand, wäre die Verselbständigung der Tschechoslowaken nie nachträglich in die Wilsonischen Punkte aufgenommen worden, wo sie ursprünglich nicht war.

Der sonst so rationell denkende Philosoph Masaryk hatte drei Wahnvorstellungen: Mit dem Siege der westlich-östlichen Allianz würde die Demokratie siegen, Habsburg sei trotz der österreichischen Schlamperei die

ärgste Tyrannei der Welt, die Böhmischen Brüder werden mit dem Hus-Schlagwort: „Die Wahrheit siegt“ die katholische Kirche mit dem Papst beseitigen. Ihm schwebte dabei eine Großtschechoslowakei vor mit etwas Preußisch-Schlesien zur besseren Verbindung mit Polen, dessen Paderetoski auch eine Art Phüosoph auf dem Klaviersesselthron sein sollte, und mit einem Bürgenland-korridor zum Nachbarn Jugoslawien, das die CSR nie im Stich lassen sollte.

Rechnung ohne Wirt ...

Er rechnete nicht damit, daß Politik auch von Gewaltmenschen gemacht wurde und werden wird. Nach seiner Veranlagung war es ungesetzlich, daß Diktatoren von Mussolini bis Stalin und Hitler zur Macht gelangen dürften. Sein grundsätzlicher Fehler für die eigene Staatsgründung: Er forderte Selbstbestimmung nur für seine Nation, nicht für die Millionen anderer Sprache, die in Schullehrbüchern mit dem Satz abgetan wurden: „In der csl. Republik lebten auch etliche Deutsche, Ungarn und andere Nationalitäten.“ Die lokale Majorität der Tschechen in den böhmischen Ländern war seine Legitimation, eine Majorität, die im Krisenstand nur sehr fadenscheinig war, weil sie nicht viel über 50 Prozent hinausreichte. Er sah

nicht über die Grenzen, er betrachtete die Republik als wunderschöne blühende Pflanze, die in einem isolierten Glashaus aufwuchs, zur Zeit, als aus dem kriegsgeschwächten Deutschland und Rußland keine stürmischen Winde wehen konnten. Die französische Militärmission besorgte die Zentralheizung dieses Glashauses, die dann im Jahre 1938 nicht funktionierte. Er war gegen auffällige Tschechisie-rung, für Toleranz, für ewigen Frieden, der der herrschenden Nation die nationale Ausbreitung vom Böhmerwald bis zur Tatra sichern werde. Deutsche und Ungarn wie Polen, csl. Staatsbürger, könnten sich ja in ihren eigenen Nationalstaaten ausleben, hier seien sie nur Kolonisten! Das Wort Minderheitsnation hat etwas Minderwertiges in sich, und das Wort Kolonisten wurde abwertend gebraucht. Der greise Masaryk hat seine eigene Tragödie noch miterlebt. Als Hitler zur Macht kam, sagte er: „Wenn sich unser Staat noch 30 Jahre hält, wird er bestehen, 20 Jahre sind zuwenig!“ Er hat Österreich vernichtet, konnte aber seinen eigenen Staat nicht entÖsterreichern. Der Papst-Gegner mußte mit Rücksicht auf die katholische Bevölkerung ein Konkordat abschließen, slowakische Unabhängigkeitsbewegungen unterdrücken. Er verbesserte seinen Ausspruch

über Kolonisten, indem er zu spät die Deutschen zur zweiten Staatsnation ernannte. Der Bekämpfer des Habsburger Hofes schuf um sich eine „Burg-Gruppe“ auf dem Hradschin, wo Benes-Kritiker keinen Zugang hatten: anstatt Erzherzögen bekamen seine Kinder Jan und Alice Großämter: Jan wurde Botschafter in London ohne Revirement, Alice Präsidentin des Roten Kreuzes. Hoch anrechnen muß man, daß er selbst einfach und genügsam blieb, in dieser Funktion gewissermaßen ein Nachkomme des alten Franz Joseph mit Feldbett und Militär-parade hoch zu Roß trotz Greisenalters. Natürlich unterschied den Universitätsprofessor vom Bücherxeind Franz Joseph eine große Bibliothek, und stetes Interesse für neue Philosophie und Literatur. „Wenn er 1914 geschwiegen hätte, wäre er Philosoph geblieben!“ So hatte er, der stets das Gute wollte und doch das Schlechte mitschuf, einen traurigen Anteil an der Balkanisierung des Donaubereiches, und hat damit Hitler und Stalin Vorarbeit zur Beherrschung Mitteleuropas geleistet. Seine Nation sehnt sich heute zurück nach seinen Zeiten, wo die CSR eine Brücke zwischen Ost und West war. Man darf aber auf einer Brücke kein Wohnhaus errichten, dort marschieren oft MUitärstiefel oder Tanks. Sein Wohnhaus muß man auf einer Seite bauen und nicht von beiden Flußseiten die Vorteile wählen: Vom Osten den Schutz der slawischen Großbrüder und vom Westen die Vorteile eines freien Verkehrslebens in die Weite der westlichen Welt mit Freiheit, Freizügigkeit, technischem und Konsum-Eldorado. Und wer wie

Benes sich der russischen Umarmung und Kußbegrüßungen hingegeben hat, darf sich nicht beklagen, daß diese Liebesumarmungen zu stark sind. Stalin änderte die Marshall-plan-Bereitschaft Jan Masaryks mit einem Wort, und Breschmjew hat dies mit mehr Worten dennoch lapidar ausgedrückt: „Ihr gehört zu uns und damit Basta!“ Der Mann, der die Tschechoslowakei selbständig und groß gemacht hat, wurde mit Recht verehrt. Plätze und Straßen wurden nach ihm benannt, Denkmäler wurden ihm gesetzt, Institute nach ihm getauft. Nach München wurde die offizielle Erwähnung getilgt, aber im Herzen der Nation blieb der Name Masaryk: nach 1948 wurden die neuerstandenen Benennungen und Denkmäler beseitigt, weil die Kommunisten es vorzogen, diese nach Gewaltverbrechern wie Gottwald und Stalin zu benennen. Nur im Ausland wird noch der Name Masaryk geehrt, in Amerika, im Tito-Staat und in . . . Israel: Dort heißt ein ihm zu Ehren gepflanzter Wald noch immer so, und ein Dorf Masaryk-Kfar! Sein einfaches Grab auf einem Dorffriedhof wird immer noch besucht, während Bene&s Grab im Garten seiner Privatvilla bei Täbor — Berne! war im Unterschied zum bibelfrommen Masaryk ein Atheist) — nur von dessen Witwe besucht wird. Frau Benes schleicht mit einer schwarzen Brille verdeckt durch die Straßen des Hradschin, von Masaryks Familie lebt bis auf eine Enkelin niemand mehr.

Offiziell ist der Name Masaryk in Prag getilgt und verpönt.

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