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Der Polyp

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Nach der größten Transaktion in der kontinentaleuropäischen Verlagsgeschichte hat es sowohl der Bonner Regierung als auch der Bonner Opposition die Sprache versehlagen. Während Bundeskanzler Brandt auf die Nachricht, das Gütersloher Verlagshaus Bertelsmann habe ein Drittel des Aktienkapitals der Hamburger Axel-Springer-AG. erworben, immerhin noch meinte: „Da müssen wir aufpassen“, konnten sich die oppositionellen Unionsparteien nicht einmal zu einer Anfrage im Bundestag aufraffen. Da selbst Deutschlands Journalisten, die sonst auf Fragen der Pressekonzentration und der Meinungsfreiheit stets allergisch reagiert hatten, diesmal nur vorsichtige Warnungen ausstießen, witterten die Berteismänner in Gütersloh Morgenluft Nachdem sie sich 1968 fast unbemerkt über eine gemeinsame Tochtergesellschaft mit Frankreichs zweitgrößtem Verlag Presses de la Cite (Umsatz: rund 250 Millionen Francs) verbunden hatten, legten sie durch ihre Viertelbeteiligung beim Verlagshaus Gruner + Jahr im Mai 1969 und durch ihre Drittelbeteiligung an der Axel-Springer-AG. (die erst 1972 offiziell übertragen werden soll) im Februar 1970 die Grundlage für ein Verlagsimperium mit nahezu 2,5 Milliarden D-Mark Umsatz. Jetzt können sie darangehen, den europäischen Markt für Bild, Ton und Wort vollends zu beherrschen.

Gestützt auf ihre Buchklubs, Druk-kereien und Verlage in Spanien, Österreich (Donauland), Italien, den Niederlanden, der Schweiz und Südamerika, verhandeln sie mit

■ der Pariser Librairie Hachette, dem mit einem Umsatz von annähernd zwei Milliarden Francs größten Verlag Frankreichs;

■ dem Mailänder Haus Mondadori, dem mit einem Umsatz von etwa 66 Milliarden Lire größten Verlag Italiens;

■ dem Europäischen Buchklub in Salzburg, einem österreichischen Lesering.

Was von der Gütersloher Erklärung zu halten ist, Bertelsmann werde künftig nur noch stiller Teilhaber bei Gruner + Jahr sein, beleuchtet eine Presseerklärung seiner Filiale in den USA: Yvonne Luter, Amerika-Korrespondentin des „Stern“, wird künftig auch als Repräsentantin der Bertelsmann Publishing Group in New York fungieren und sich um die deutschen Rechte amerikanischer Autoren bemühen. Da der Umsatz von Bertelsmann & Companie selbst den der Time/Life-Gruppe (550 Millionen Dollar) In den Schatten stellt, wird der Ankauf lukrativer Lizenzen auf dem Weltmarkt für andere deutsche Verlage beinahe unmöglich gemacht.

Schon mit der Bertelsmann-Beteiligung bei Gruner + Jahr war die deutsche Verlagsbranche in eine Gewitterzone geraten, denn neben diesem Koloß mit mehr als 1,3 Milliarden D-Mark Umsatz konnte nur der Springer-Konzern bestehen, der etwa 900 Millionen umsetzt. Der Verkauf von einem Drittel der Springer-Anteile an Bertelsmann genügte, um in der Bundesrepublik eine publizistische Götterdämmerung heraufzubeschwören, da sich neben dem neuen Imperium die nächstgrößten Verlagshäuser Burda und Bauer mit ihrem rund 500- beziehungsweise 400-Millionen-Umsatz wie Mittelbetriebe ausnehmen. Sollten sich nun Gerüchte bewahrheiten, nach denen Bertelsmann, Hachette und Mondadori eine eigene Kooperation anstreben, dann bricht für die abseitsstehenden Kulturproduzenten zwischen Flensburg und Palermo, zwischen Wien und Gibraltar bald eine Sonnenfinsternis an. Um wenigstens in der Bundesrepublik gegen Bertelsmann & Companie bestehen zu können, müßten alle renommierten Verleger kooperieren, die noch unabhängig sind.

Damit würden Bertelsmann-Inhaber Reinhard Mohn & Sohn und sein neuer Geschäftsfreund Axel Springer genau das ausgelöst haben, was seit Jahren sowohl die Politiker als auch das Publikum fürchten: eine weitere Runde von Konzentrationsverhandlungen, an deren Ende möglicherweise zwei oder drei Verlagsgiganten stehen, die zusammen mit den Fernseh- und Ruindfunkanstal-ten die öffentliche Meinung beherrschen. Wer sich an die aufgeregten Debatten über die vergleichsweise harmlose Pressekonzentration des vergangenen Jahrzehnts und die hysterische Kampagne gegen das Verlagshaus Springer erinnert, muß sich fragen, was die Bonner Politiker veranlaßt haben mag, der „Hochzeit zweier Elefanten“ (so „Der Spiegel“) derart gelassen zuzusehen?

Die Antwort darauf gibt Aufschluß über Wunschvorstellungen, die seit geraumer Zeit von den Undonspar-teien und Axel Springer auf der einen und von Sozialdemokraten, Freien Demokraten und Springer-Gegnern auf der anderen Seite genährt werden:

■ Die regierende Koalition sieht in Springer einen Störenfried, der es wagt, anderer Meinung zu sein, und der seine Ansichten dem Publikum mittels Manipulation aufdrängt. Der Einfluß, den er jetzt dem Verlagshaus Bertelsmann in seinem Presse-reich eingeräumt hat, scheint für sie geeignet, die Springer-Blätter zu entpolitisieren und ihre Unversöhn-lichkeit gegen Sozialdemokraten und Freie Demokraten abzubauen.

■ Die Unionsparteien glauben felsenfest daran, daß Springer ihre politischen Interessen fördert und daß ihre Ziele im Grunde auch seine Ziele sind. Da ihr Umgang mit der öffentlichen Meinung nur in der Vor-Metternich-Zeit Beispiele hat, können sie sich kaum vorstellen, wie sie ohne die Springer-Blätter operieren sollen. Deshalb schenken sie auch Springers Versicherung, seine Verbindung mit Bertelsmann habe allein geschäftliche Gründe und ändere nichts an der politischen Richtung seiner Zeitungen, absolutes Vertrauen.

Kein Wunder, daß unter diesen Umständen die Bertelsmann-Beteiligung bei Springer eher die Diskussion über den Hamburger Pressezar erneut anheizte als Maßnahmen gegen den Käufer Mohn auslöste. Wer von einem „Fall Bertelsmann“ spricht und die Freude über Springers Machteinbuße nicht teilt, wird denn auch für völlig unrealistisch gehalten und als Kassandra behandelt.

Die oppositionellen Unionsparteien wiederum möchten ihren Gönner Springer nicht kränken und haben sich deshalb politische Enthaltsamkeit auferlegt, zumal Mohn nicht gerade als Soziallst gilt. Seinen Financier Ludwig Poullain von der Westdeutschen Landesbank rechnen sie, trotz seines Plädoyers für die Aufwertung der D-Mark, sogar zu ihren Anhängern, obwohl die Bank zu einem Drittel im Besitz des sozialdemokratisch regierten Landes Nordrhein-Westfalen ist, das auch (mit dem SPD-Finanzminister Hans Wertz!) den Vorsitzenden ihres Verwaltungsrats stellt. Auf solche Weise ist es den Berteismännern bisher gelungen, nach den Gruner + Jahr-Anteilen auch das Springer-Paket unter allenfalls skeptischen Kommentaren der Öffentlichkeit gefahrlos in ihre Scheuern zu fahren. Sie sitzen damit als Spinne im Netz einer Verlagsgruppe, mit der verglichen Alfred Hugen-bergs Scherl-Konzenm ein publizistischer Zwerg war, zumal in den zwanziger und dreißiger Jahren immerhin so potente Häuser wie Ullstein und Mosse im Wettbewerb mit den Unternehmen des deutsch-nationalen Parteiführers standen. Da heutzutage der Vertrieb für die Einführung einer Zeitschrift beim Publikum entscheidend ist, dürften Bertelsmann & Companie künftig darüber bestimmen, was der Deutsche neben seiner Lokalzeitung' liest. Auch die Lokalzeitungen sind freilich auf die Dauer bedroht, weil längst die technische Möglichkeit besteht, Nachrichten über ein Fern-schreibsystem aus besonders dafür konstruierten Fernsehapparaten zu beziehen. Da eine solche Nachrichtenversorgung ungeheure finanzielle Investitionen erfordert, ist hier der Gütersloher Verlagsgigant ebenfalls im Vorteil: Er wäre in der Lage, Deutschlands Tageszeitungen das örtliche Monopol streitig zu machen. Anscheinend spielt Bertelsmann-Chef Mohn aber bereits mit dem Gedanken, aus Gütersloh nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas geistige Hauptstadt zu machen. Gegenwärtig beziehen schon mehr als eine halbe Millionen Spanier Bildung und Unterhaltung über die Bertelsmann-Buchklubs Circulo de Lectores und Circulo internacional in Barcelona, Tausende von Holländern sind Mitglied des Europaclub voor Boeken en Grammofoonplaten NV de Meern, an dem Bertelsmann ebenso beteiligt ist wie an der Wiener Buchgemeinschaft Donauland und am schweizerischen Europaring in Bern. Großdruckereien in Barcelona und an Bergamo stellen eine ideale Ausgangsbasis dar, um auf dem Freizeitmarkt weiterzumar-schieren. Und damit die Deutschen Im Urlaub treue Berteismänner werden, hat sich Gruner + Jahr an der Radio-Maritim-GmibH. beteiligt, deren Studio Alemän von Mallorca aus die Ferienreisenden an Spaniens Küsten mit heimatlichen Klängen versorgt.

Daß auch die Wirtschaft in Abhängigkeit geriet, weil sie ohne Werbung nun einmal nicht mehr auskommt und auf Public Relations in Bertelsmann-Produkten nicht verzichten könnte, versteht sich dabei von selbst: sogar Großunternehmen müßten sich die Insertionspreise diktieren lassen. Ganz zu schweigen von den Journalisten, die ihre Meinung den Konzernwünschen anzupassen hätten, weil der Wechsel von einer Zeitung oder Zeitschrift zur anderen nur noch unter finanziellen Opfern möglich wäre. Die nicht von Bertelsmann beherrschten Verlage würden gar nicht in der Lage sein, journalistische Leistung entsprechend zu honorieren. Nicht zuletzt den öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten drohte damit die Gleichschaltung. Denn wer nur die Wahl zwischen Gütersloh auf der einen und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rundfunkanstalten sowie dem Zweiten Deutschen Femsehen auf der anderen Seite hat, der wird sich hüten, den Konzerninteressen allzu sehr ins Gehege zu kommen.

Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller wußte ebenfalls Bescheid. Über seine Motive, der Transaktion zuzustimmen, muß nicht lange gerätselt werden, denn der Minister meint, allein Großunternehmen seien dem internationalen Wettbewerb gewachsen. Er beschleunigt den Konzentrationsprozeß sogar, indem er mit staatlicher Fusionskontrolle droht und damit die Unternehmer anspornt, rechtzeitig alles unter Dach und Fach zu bringen. Sein Ziel ist es, mehr staatlichen Einfluß auf wenige Großunternehmen auszuüben, um auf diese Weise die Konjunktur besser dirigieren zu können. Daß die Bertelsmann-Beteiligung mit der angestrebten Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kollidieren würde, geht aus einer Übersicht hervor, die das Bundeswirtschaftsministerium Mitte Februar veröffentlichte. Nach dieser Ubersicht, welche die neuen Vorstellungen zur Kartellgesetznovelle wiedergibt, ist das Kriterium für die Untersagung eines Zusammenschlusses „die Erlangung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung“ oder die Beseitigung der Voraussetzungen für einen weentlichen Wettbewerb auf andere Weise“.

Daß Ministerpräsident Kühn in Kenntnis dieser Überlegungen dem Bertelsmann-Plan sein Placet gab, wäre dann zu verstehen, wenn er sich einen beherrschenden Einfluß seiner Partei auf die neue Gruppierung oder eine Prämie für sein Wohlverhalten ausrechnete. Eine Andeutung in dieser Richtung hat denn auch Kuhns Parteifreund Ulrich Lohmar, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft, bereits gemacht: Nicht an sich die Größe eines Konzerns, so orakelte der sozialdemokratische Professor, sondern sein Standort sei „das eigentliche politische Problem“. Lohmars Hinweis signalisiert die Hoffnung, mit Hilfe von Bertelsmann die den Unionsparteien nahestehenden Springer-Blätter auf Regierurogskurs zu bringen. Finanziell hat die SPD über die Westdeutsche Landesbank ohnehin ihre Finger im Spiel. Daß im Sommer in Nordrhein-Westfalen eine Landtagswahl und im Jahre 1973, ein Jahr, nachdem Springer ein Drittel seiner Aktiengesellschaft endgültig an Bertelsmann übertragen will, eine Bundestagswahl stattfindet, könnte also durchaus mit der Schweigsamkeit der SPD/FDP-Regierung in Bonn und Düsseldorf zusammenhängen. Vor diesem Hintergrund wirkt es um so unverständlicher, daß die Opposition nicht Alarm schlägt und die regierende Koalition daran erinnert, wie lautstark sie ehedem die Pressekonzentration beklagt hat. Rücksicht etwa auf Axel Springer ist schon deshalb nicht am Platz, weil er durch seinen Verkauf an Bertelsmann einen der Grundsätze, die er in der Satzung seiner Aktiengesellschaft verankert hat, selbst desavouierte: die soziale Marktwirtschaft, die sich mit marktbeherrschenden Monopolen nun einmal nicht vereinbaren läßt, zumal es sich im Falle Gütersloh um ein sowohl vertikal als auch horizontal durchkonstruiertes Gebilde handelt.

Weder Regierung noch Opposition, weder Wirtschaft noch Publikum können ein Interesse daran haben, in publizistische Abhängigkeit zu gelangen. Deshalb muß entweder

■ der Verlagsgigant in eine Publikumsgesellschaft umgewandelt werden, deren Anteile breit zu streuen sind, oder

■ die Kartellgesetzmovelle sofort verabschiedet werden, damit der Mo(h)n-olith entflochten werden kann.

Es ist jedenfalls an der Zeit, daß „Das Superding“ (so „Die Zeit“) im Bundestag endlich zur Sprache kommt — ehe Politiker wie Industrielle, Leser wie Journalisten zu Berteismännern umfunktoniert sind.

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