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Der Prager Maiaufstand 1945

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Eine Revolution ist kein Schauspiel für Ästheten. Der Prager Volksaufstand war es auch nicht. Trotz seiner kurzen Dauer von kaum fünf Tagen hatte er alle schrecklichen Kennzeichen einer Revolution an sich.

Strategisch hatte diese Prager Mairevolution tatsächlich keinen Sinn. Sie war vielmehr ein Prestigeakt. Einen Monat vorher war in Kaschau von der dort vorübergehend ansässigen tschechoslowakischen Regierung verkündet worden, daß der neue Staat auf der breiten Masse des Arbeiterstandes seine Macht aufbauen werde. Dieser Arbeiterstand hatte die Schreckensherrschaft der Nazi verhältnismäßig gut überstanden. Der schrankenlose Terror hatte nur die tschechische Intelligenz vernichtend getroffen. Akademiker waren es, die zu Hunderten, zu Tausenden in die Todeskammern der Gestapo gegangen waren, Studenten, Professoren, Geistliche, Schriftsteller. Ihre Ausrottung war ein Kernpunkt äes nationalsozialistischen Programme in den Ländern der Wenzelskrone gewesen. Sie wurden hingerichtet, nicht weil sie eine persönliche Schuld zu sühnen hatten, sondern weil sie einem Sunde angehörten, der prinzipiell gegen den Nationalsozialismus eingestellt war. Dagegen wurden Arbeiter nur hingerichtet, wenn sie tatsächlich reichsfeindlicher Handlungen überfuhrt wurden. Der große Teil von ihnen hatte den ganzen Krieg hindurch in den Rüstungswerken für den Endsieg Deutschlands arbeiten müssen, hatte dafür Schwerarbeiterzulagen erhalten und war auf wochenlange Erholungsaufenthalte in die besten Kurorte Böhmens und Mährens geschickt worden. In den amtlichen deutschen Berichten wurde immer wieder der Intelligenzler alsr Urheber aller deutschfeindlichen Handlungen beschimpft, während der tschechische Arbeiter ob seiner Loyalität zum Deutschen Reich oft ein gewiß ungewolltes und abgelehntes Lob erntete.

Dem Beobachter, der Prags Lage kurz vor Ausbruch der Revolution betrachtete, kamen die Ereignisse des fünften Mai überraschend. Einige Tage vorher war Prag zur Lazarett-stadt erklärt worden. Man atmete auf. Die zwei Bombenangriffe hatten mir unbedeutende Schäden angerichtet, und so glaubte man gut davongekommen n sein. Mit

leisem Erschauern gedachte man des Schicksals von Wien, Budapest, Berlin, die dem noch lange nach zwölf Uhr fortgeführtem Kriege zum Opfer gefallen waren. In Prag ging man ruhig schlafen. Der Krieg war überstanden. So gut überstanden wie kaum in einer anderen europäischen Großstadt. Schon war mit Zustimmung des deutschen Staatsministers Frank eine tschechische Abordnung nach Pilsen gefahren, um hier mit den Westmächten über eine friedliche Übergabe des Protektorates in die Hände der neuen tschechoslowakischen Regierung zu verhandeln. Prag war Lazarettstadt. Die deutschen Kampftruppen zogen gegen Süden und Westen ab. Nur die Lazarette in der Stadt blieben mit deutschen Soldaten gefüllt. Schwache Abteilungen der deutschen Schutzpolizei sowie kleine SS-Verbände bildeten die Nachhut.

1 Die Revolution hatte jetzt freie Bahn.

Das Ganze setzte damit ein, daß die tschechischen Kaufleute von ihren zweisprachigen Firmenschildern die deutschen Aufschriften entfernten, tschechische Nationalflaggen gehißt und Fenster eingeschlagen wurden. Die deutschen Polizeitrupps waren sich ihrer Schwäch* bewußt und wichen Kampfhandlungen aus, weil sie dabei den kürzeren ziehen mußten. Da brach der Aufstand in seiner ganzen Wucht um die Mittagszeit des fünften Mai aus. Tschechien Freiheitskämpfer erstürmten beinahe Wut bloßen Fäusten den Senderaum des tschechischen Rundfunks und bekamen somit eine wichtige Stellung für das Gelingen ihres Unternehmens in die Hand. Sie forderten die noch in der Stadt verbliebenen deutschen Truppenteile auf, sich zu ergeben und gelangten so in den Besitz einiger Waffen. Die SS-Truppen dagegen verschanzten sich m ihren Unterkünften und leisteten Widerstand. Am Abend des ersten Tages war der größte Teil der Stadt im Besitze der tschechischen Erhebung.

Am darauffolgenden Sonntag wurde zwischen den beiden Parteien verhandelt. Die Abordnung des Internationalen Roten Kreuzes, die seit einigen Tagen in der Stadt weilte, vermittelte ein Zusammentreffen zwischen K, H. F r a n k und einer Abordnung des Revolutionsausschusses unter Füh-rung von Albert P r a z 4 k. Frank erklärte

SereJt, die Staatsgewalt m die Hände

der provisorischen Revolutionsregierung zu legen, verlangte aber freien Abzug für seine Truppen, damit diese sich der Armee Schör-ner anschließen und gegen die heranrückenden Russen kämpfen könnten. Ober diesen Punkt konnte keine Einigung erzielt werden. Trotzdem wurden die Verhandlungen immer wieder erneuert.

Für die Zeit der Verhandlungen war ein “Waffenstillstand vereinbart worden. Die beiden Prager Rundfunksender, von denen einer noch den Deutschen zur Verfügung stand, beschuldigten sich gegenseitig, die Waffenruhe nicht eingehalten zu haben. Dabei wurde wenig Wert auf logisches Vorgehen gelegt. So wurde von tschechischer Seite ein flammender Aufruf zum Kampf bis zum Letzten erlassen, der in den Worten „Tod den deutschen Okkupanten“! gipfelte, um im nächsten Augenblick die Freiheitskämpfer zu beschwören, den vereinbarten Waffenstillstand auf jeden Fall zu halten. Diese Akrobatik wurde solange wiederholt, bis niemand mehr wußte, ob er schießen oder abwarten sollte.

Di Situation änderte sich grundlegend, als am Abend des sechsten Mai starke deutsche Truppenteile, die fünf Tage vorher Prag verlassen hatten, am südlichen Stadtrand wieder erschienen. Es waren die SS-Verbände, die damals in Abmarsch gesetzt worden waren und im Augenblick, als sie der Hilferuf Franks erreichte, bereits hinter Tabor, hundertzwanzig Kilometer von Prag entfernt, standen. Sie waren in Eilmärschen zurückgekehrt und gingen am Stadtrand in Stellung. Gleichzeitig stießen starke SS-Verbände vom Westen und Norden gegen Prag vor.

Am Montagmorgen, am 7. Mai, um fünf Uhr früh, begann der Angriff. Von Süden her gelang es den SS-Truppen, gegen die sich wie die Löwen wehrenden Tschechen um einige Kilometer vorzustoßen. Die in der Nacht errichteten Barrikaden im vierzehnten Bezirk hielten sie jedoch auf. Dagegen gelang es anderen Verbänden, von Nordwesten her bis in den Stadtkern vorzudringen. Am Graben und am Altstädter Ring wurde schwer gekämpft. Dabei wurde das berühmte Prager Rathaus von den SS-Truppen in Brand geschossen. Es war vor dem Gebäude schwer gekämpft worden. Tschechische Streitkräfte beschossen aus den Fenstern mit Maschinengewehren und Panzerfäusten die heranrollenden Tanks. Es gelang ihnen, einen deutschen Panzer zu vernichten, worauf ein zweiter. Tank das Rathaus unter Feuer nahm, das bald darauf in Flammen aufging.

Die Lage der tschechischen Kämpfer- verschlimmerte sich aber an diesem Tage von Stunde zu Stunde. Ihre Waffen waren denen der SS unterlegen und ihre Munition ging zu Ende. Fünf oder sechs Flugzeuge, die den Deutschen zur Verfügung standen, versuchten, das tschechische Rundfunkgebäude zu zerstören. Sie trafen aber nur die umiegenden Wohnhäurer, Geschosse der deutschen Artillerie krachten in einige Krankenhäuser.

Am Dienstag schien die Lage für die tsche-Aischen Kämpfer hoffnungslos. Vormittag ▼erstärkte sich das deutsche Artilleriefeuer auf die Stadt. Fremdländische Hilfstruppen, die unter deutschem Kommando gestanden hatten, und zur Entlastung der Tsdiechen herangerückt waren, konnten zu deren Unterstützung nicht verwendet werden, da dies politische Verwicklungen ergeben hätte. Die Hilferufe an die Alliierten wurden immer verzweifelter. Für fünfzehn Uhr dreißig war der deutsche Generalangriff angesetzt.

Es kam nicht mehr dazu. Um fünfzehn Uhr wurde bekannt, daß die deutschen Streitkräfte auf Grund der Kapitulationsverhandlungen zwischen den Alliierten und dem deutschen Oberkommando bereit waren, den Kampf einzustellen. Im Bad Podiebrad, fünfzig Kilometer östlich von Prag, Vereinbarte der deutsche Stadtkommandant Toussaint mit dem Befehlshaber der Freiheitskämpfer, General Kuttel-wascher, die Bedingungen des Waffenstillstandes. Um achtzehn Uhr dreißig verkündete der Rundfunk, daß der Kampf zu Ende sei. Den deutschen Truppen wurde freier Abzug nach Westen gewährt und der Zivilbevölkerung freigestellt, mit den Abziehenden die Stadt zu verlassen oder in Prag unter dem Schutze des Internationalen Roten Kreuzes zu bleiben. Leider erwies es sich später, daß eine achtköpfige Abordnung vierzigtausend Zivilisten keinen zureichenden Schutz gewähren kann.

Ungefähr dreitausend Tschechen waren gefallen. Der unparteiische Beobachter kann nur mit Achtung feststellen, daß sie ohne ausreichende Bewaffnung, ganz auf sich gestellt, des Kampf gegen eine ansehnliche

Truppenmacnt ttl Knife gefocfitefi ftAtlen.

Als am neunten Mai die , ersten russischen Panzer in die Stadt einfuhren, ohne einen

Sdhnß afengeben, da Sefanäl sicfi Prag

bereits zwölf Stunden lang in einem Siegcs-taumel.

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