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Der Rahmen hängt schief

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Und hier hört das Bild des „Kardinals zwischen Hitler und Rom“ auf, bei dessen Zeichnung Reimann durchaus Geschick bewies, und es beginnt der breit ausgeführte zeitgeschichtliche Rahmen dieses Porträts, mit dem man sich nicht ohne weiteres einverstanden erklären kann. Hier tritt nämlich der Chronist Reimann einen Schritt zurück und überläßt die Federführung dem Apologeten der Gesinnungsgemeinschaft seiner eigenen Jugend. Es wird deutlich, was unlängst ein Kritiker meinte, als er überspitzt tormuMerite: jjQas tot weniger eine Biographie von Kardinal Innitzer, das ist in Wahrheit eher eine Biographie von Dr. Viktor Reimann.“

Der Verfasser studierte Geschichte bei Srbik, dessen „gesamtdeutsche Geschichtsauffassung“ nicht wenige junge Studenten den wahren Aufgaben ihres Vaterlandes entfremden sollte. Sie machte sie außerdem in keiner Weise immun gegen die Versuchungen des aufkommenden Nationalsozialismus. Im Gegenteil. Dabei fühlten sich diese jungen Menschen durchaus als gute Patrioten.

So mag auch dem Verfasser sowie anderen „katholischen Nationalen“ 1938 der Anschluß als die Verwirklichung des „Traumes vom Reich“ erschienen sein. Doch das Reich, das sich hier ausformte, unterschied sich gewaltig von jenem, das man in jugendbewegten Zirkeln ersonnen und ersungen hatte. So war auch Reimann erneut sehr bald in Opposition — ja, er tat den mutigen Schritt zum aktiven Widerstand. Es ist bezeichnend, daß die Gruppe, deren Zentralfigur der Klosterneu-burger Chorherr Karl Roman Scholz war, zunächst als „Deutsche Freiheitsbewegung“ antrat, sehr bald aber, der allgemeinen Stimmung Rechnung tragend, sich in „österreichische Freiheitsbewegung“ umbenannte. Die „Vaterländischen“ hatten gegenüber den „Nationalen“ — ihren früheren Gegnern und jetzt mitunter Bundesgenossen — Recht behalten. Viktor Reimann bezahlte sein Engagement nach der Aufrollung der Scholz-Gruppe durch die Gestapo mit jahrelanger Haft. Nach 1945 erleben wir aber, was die Person des Autors betrifft, einen neuen Szenenwechsel. Der ehemalige Häftling des Dritten Reiches, der zunächst als stellvertretender Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“ arbeitet, wird zum Mitbegründer des VDU, der die Konkursmasse des ehemaligen nationalen und nationalsozialistischen Lagers wieder politisch aktiviert. Als Chefredakteur der „Neuen Front“ und Abgeordneter zum Nationalrat führt Reimann eine scharfe Sprache. Den Schritt vom VDU zur FPÖ macht er allerdings nicht mehr mit.

Warum wir so breiten Raum dem Lebenslauf des Verfassers gewidmet haben? Wir mußten es tun, ist doch sein Buch nur verständlich, wenn man weiß, daß es aus der Sicht eines „enttäuschten Nationalen“ geschrieben wurde. Von dem Verdacht der Sympathien für Hitler und sein Regime ist er zwar frei, aber irgendwo blüht in seinem Garten noch die (korniblumen-)blaue Blume einer deutsch-katholischen Romantik, die in unserem Land eine spezielle Ausformung gefunden hat. Das verführt dann leicht zu einer bestimmten Geschichtsschau — und mitunter sogar zu einer souveränen Ignorierung historischer Tatsachen.

So hämmert Reimann dem unkritischen Leser die Meinung ein, die Mehrheit des österreichischen Volkes hätte den Anschluß ersehnt, Hitler wäre nur der Vollzugsbote eines historischen Wildensaktes gewesen. Zu dumm, daß er so ungeschickt war, alles zu verpatzen.

Das beginnt schon in der Einleitung, wo die Rede davon ist, daß nach dem ersten Weltkrieg „ein Großteil der Bevölkerung“ (S. 7 ff.) den Anschluß forderte und kehrt fast mit denselben Worten in vielen Variationen wieder. Einige Proben:

„Das Leben in einem vereinten Deutschen Reich schien ihnen besser als das Dahinsiechen oder gar Sterben unter dem Banner rot-weiß-rot“ (S. 85).

„Natürlich war das konservative Österreich katholischer und monarchistischer Prägung, waren ein Teil der Sozialisten und die, welche die Gefängnisse füllten oder gar in Dachau weilten, empört und erschüttert. In ihren Augen mußten die Bischöfe Verräter sein. Die so empfanden, waren jedoch zweifellos in der Minderheit, denn die Mehrheit der Österreicher wollte den Anschluß“ (S. 116).

„Die Unabhängigkeit als ein Geschenk Italiens, Frankreichs und der Tschechoslowakei zu erhalten, womöglich auch noch durch einen Krieg gegen Deutschland, das lehnte die überwiegende Mehrheit der Österreicher ab“ (S. 144).

Dieser Tenor wird buchstäblich bis zur letzten Seite durchgehalten, wo es heißt: „ ... weil 80 Prozent der Österreicher ebenfalls den Anschluß herbeisehnten.“

Eine Legende wird nicht wahrer, auch wenn sie hundertmal wiederholt und abgewandelt wird. Es wäre unsinnig, zu leugnen, daß es vornehmlich in den Jahren nach dem Zusammenbruch Altösterreichs inmitten der allgemeinen geistigen Verwirrung eine nicht unbeträchtliche Strömung für einen Anschluß an die deutsche Republik gegeben hat. Diese Strömung war aber nicht so allgemein, wie es mitunter heute auch von anderen Autoren als von Reimann behauptet wird. Der Historiker Reimann hätte einen unverdächtigen Zeugen befragen können. Es ist dies niemand anderer als Otto Bauer, der als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten 1919 diesen Anschluß betrieb, aber vor der wahren Stimmung resignierend in seinem Buch „Die österreichische Revolution“ notieren mußte:

„Wir suchten die Staatsmänner der Entente zu überzeugen, daß das ganze deutsch-österreichische Volk den Anschluß wolle. Die französischen Diplomaten konnten uns leicht widerlegen, indem sie beinahe die ganze bürgerliche Presse Wiens und die Stimmungen in einem großen Teil der Alpenländer gegen uns als Zeugen führten. Frankreich konnte in den Pariser Verhandlungen nunmehr darauf verweisen, daß dem Anschluß in Deutsch-Österreich doch nur die Sozialisten und die Alldeutschen wünschten. Bürgertum und Bauernschaft wünschten ein selbständiges Österreich und hielten ein selbständiges Österreich für durchaus lebensfähig... Wir hatten die Absicht, eine Volksabstimmung über den Anschluß zu veranstalten, um die Sieger von der Einheitlichkeit und Festigkeit des Anschlußwillens des deutschösterreichischen Volkes zu überzeugen ... Wir konnten sie nicht wagen, da die heftige Gegenpropaganda der Anschlußgegner die Gefahr hervorrief, daß starke Minderheiten, in einzelnen Ländern vielleicht sogar die Mehrheit der Stimmberechtigten, gegen den Anschluß gestimmt hätten“ (S. 150).

Auch mißt Reimann mit zweierlei Maß. An den Männern des „christlichen Ständestaates“ — wir gehören nicht zu ihren Apologeten um jeden Preis — läßt er kein gutes Haar. Abneigung, mitunter sogar durch Jahrzehnte konservierter Haß führt hier die Feder. Daraus entstehen sogar Widersprüche. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß einmal zu lesen steht: „Österreich fehlten einfach die Diktatoren“ (S. 48), während sechs Seiten vorher Schuschnigg als „Diktator auf verlorenem Posten“ (S. 42) apostrophiert wurde. „Sie wagten nicht einmal Plebiszite“ (S. 50) heißt es an anderer Stelle — dafür wird der verzweifelte Versuch Schuschniggs, eine Volksabstimmung der NS-Pro-paganda entgegenzusetzen, völlig verschwiegen. Warum? Weil diese Volksabstimmung, wir dürfen hier der Zeugenschaft Friedrich Funders („Als Österreich den Sturm bestand“) wohl vertrauen, eine Mehrheit bis zu 65 Prozent für ein unabhängiges Österreich erwarten ließ. Das paßt eben nicht in das Geschichtsbild des Verfassers, der dafür den 99 Prozent der Hitlerschen Volksabstimmung auch heute noch völlig unkritisch gegenübersteht.

Die Rolle der „Katholisch-Nationalen“ zwischen Papen und Seyss-Inquart, die verhängnisvoller war als das Rabaukentum eines Hauptmann Leopold und seines Gefolges, erfährt rücksichtsvolle Schonung. Sie hätten eine „Nacht der langen Messer“ verhindert. Und Staatssekretär Zehner, die langen Züge nach Dachau, das Haberfeldtreiben gegen die Juden? Wir halten es schon lieber mit dem Nuntius Sibilia, der Papen klipp und klar als „Wolf im Schafspelz“ (S. 74) erkannte.

Eines der interessantesten Kapitel bildet ohne Zweifel jenes, das unter dem Titel „Die Friedenspriester“ den kollabonationiswilligen Priestern und Laien, die sich in der „Arbeitsgemeinschaft für den religiösen Frieden“ ein Forum gaben und auf den Kardinal einen Druck ausübten, gewidmet ist. Reimann setzt sie in Parallele mit ähnlichen Erscheinungen im kommunistischen Machtbereich der Gegenwart. Ohne Sympathien für diese oft sehr armseligen Existenzen in unserer Nachbarschaft muß festgehalten werden,daß die NS-Friedenspriester noch ein gutes Stück weiterzugehen bereit waren als ihre „Kollegen“ im kommunistischen Machtbereich. Sie akzeptierten nicht nur vorbehaltlos das System, sondern auch die Weltanschauung. Nicht umsonst trugen die „Weisungsblätter“ dieser Organisation, zu der bedauerlicherweise auch eine Zeitlang die Volksliturgische Bewegung gestoßen war, das Hakenkreuz auf ihrem Briefpapier. Wenn „Die Reichspost“ als Sprachrohr dieser Kreise apostrophiert wird, so ist dies ein typisches Beispiel für jene „halben Wahrheiten“, vor denen wir schon im Titel warnen mußten. Der Verfasser hat leider „vergessen“ zu erwähnen, daß zu diesem Zeitpunkt die legale Führung dieser Redaktion längst hinter Schloß und Riegel saß.

Non abbiamo paura. Das sagen wir nicht nur als Katholiken, das ist auch unsere Meinung als Österreicher. Deshalb scheuen wir kein historische Konfrontation mit den Massen auf dem Heldenplatz am 13. März, wir dürfen aber erwarten, daß das „andere Österreich“ nicht als „patriotisches Märchen und Geschichtslüge“ abgetan wird. So betrübt es auch, daß der ehemalige politische Häftling des Dritten Reiches nicht ausführlicher der Blutzeugen des katholischen Österreich gedenkt. Zwei knappe Seiten inmitten von 376. Man könnte bei einem anderen Autor den Eindruck eines Pflichtpensums haben.

Die „Neue Jugend“ ist ein anderer Abschnitt überschrieben. Unter dieser versteht der Verfasser die aufgeputschte und brutalisierte HJ des Sturmes auf das Erzbischöfliche Palais im Oktober 1938. Mag unter diesen möglicherweise auch ein 1967 in Diskussion gestandener Kandidat für den Vorsitzenden einer großen Partei gewesen sein, so schiene uns der Titel bezeichnender für jene jungen Katholiken, an denen als erste die Seelenmassage der totalen Propaganda abglitt und die einige Tage vorher endlich ein Ventil für ihr wahres Denken und Fühlen gefunden hatten. Nebenbei bemerkt: Ganz so „unpolitisch“ war diese Kundgebung nicht. Die Vorhut des neuen Österreich, die damals auf dem Stephansplatz das erste Mal in Erscheinung trat, hat deshalb auch ein Recht, darüber zu wachen, daß das Bild „ihres Kardinals“, den sie trotz seiner Schwächen liebte, nicht 30 Jahre später in einen schiefen historischen Rahmen gehängt wird.

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