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Der Rat Rußlands

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Drei Wochen nach der Annexion weilte Ministerpräsident Pasic in Petersburg. Am 29. Oktober 1908 hatte er eine lange Unterredung mit Außenminister I s w o 1 s k y. In seiner eigenhändigen Aufzeichnung („Die auswärtige Politik Serbiens 1903 bis 1914“ — Geheimakte aus serbischen Archiven von Dr. M. Boghitschewitsch) schildert Pasic den Verlauf dieser Unterredung, in der Iswolsky kein Hehl daraus machte, daß Rußland, schwer angeschlagen durch die Niederlage im russisch-japanischen Krieg, für eine etwaige kriegerische Auseinandersetzung in Europa jetzt nicht gerüstet sei; sehr bestimmt warnte er Serbien vor scharfmacherischen Abenteuern, zu denen um so weniger Anlaß sei, als Oesterreich durch die Annexion von Bosnien und der Herzegowina den bisherigen Zustand praktisch nicht verändert habe. „Serbien“, fuhr Iswolsky fort, „kann die Annexion nicht verhindern. Es kann aber, wenn es sich widersetzt, nur erreichen, daß es dabei zugrunde geht. Serbien erschwert durch seine Haltung, durch seine Demonstrationen, durch das Zerschlagen von Wappenschildern unsere Arbeit, um ihm zu helfen. Rußland wird tun, was möglich ist. Mehr kann es aber nicht er reichen, denn es kann und will jetzt nicht kriegführen. Man muß sich aber mit dem begnügen, was erreichbar ist, und das Uebrige der Zukunft überlassen Schauen Sie, Oesterreich hat dem Sandschak Novipazar entsagt, und das ist ein großer Vorteil.’ Oesterreich hat früher Montenegro und Serbien entzweit und konnte weiter vorgehen, jetzt verzichtet es darauf, und das kommt dem serbischen Volke zugute.“

Die Antwort, die diesem Zuspruch folgte, ist kennzeichnend. Der Sprecher Serbiens zeigte die geballte Faust:

„Das serbische Volk meint, durch die Annexion sei es um seine ganze Zukunft betrogen, der Fortbestand Serbiens und Montenegros bedroht und der Augenblick gekommen, wo man alles einsetzen müsse zur Verteidigung der Zukunft, auch wenn man besiegt würde, weil es glaubt, daß das für seine Brüder und seinen Fortbestand vergossene Blut gute Früchte tragen wird. Die Bosnier und Herzegowiner können und werden die Annexion nicht ruhig hinnehmen; daß sie jetzt schweigen, geschieht nur, well sie hoffen, Rußland wird alles auf der Konferenz wieder gutmachen. Aber wenn sie sehen werden, daß ihnen von keiner Seite Hilfe zuteil wird, dann werden sie im Bandenkampf Zuflucht suchen in der Hoffnung, daß ihnen Serbien und Montenegro beispringen werden. Und wahrlich, wenn das serbische Volk und Montenegro hören werden, daß seine Brüder sich schlagen, um sich zu verteidigen, wird es niemand zurückhalten können, ihnen zu Hilfe zu kommen.“

In dieser und anderen Unterredungen des serbischen Ministerpräsidenten und der serbischen Gesandten bei den Großmächten wurde das Begehren Belgrads auf „territoriale Konzessionen“ gerichtet, die Oesterreich gewähren müsse, um eine gemeinsame Grenze zwischen Serbien und Montenegro herzustellen. Die dabei gebrauchte Sprache ließ an Schärfe nichts zu wünschen übrig. So, wenn der Minister des Aeußeren Milovan Milova-

novic dem Außenminister Grey trotzig am 29. Oktober 1908 in London erklärte: „Wir müssen den Krieg vorbereiten, der in Zukunft unvermeidlich i s t, wenn sie uns diese Entschädigung (die Uebergabe des zwischen Montenegro und Serbien liegenden Sandschak Novipazar) verweigern.“

Diesem Verlangen schien zustatten zu kommen, daß eine gewisse Brüchigkeit des Dreibundes in der Haltung Italiens neue Bestätigungen erfuhr. So meldete in einem Geheimbericht der serbische Außenminister Milovanovic aus Rom an das Belgrader Außenministerium am 10. November 1908 über eine Unterredung mit dem italienischen Außenminister T i 11 o n i, er sei mit diesem übereingekommen, daß nur England eine Nachgiebigkeit Oesterreich-Ungarns in den schwebenden Auseinandersetzungen über die von Serbien verlangten „Kompensationen“ für die Annexion Bosniens erreichen könne und „es für diesen Zweck genügen werde, wenn eine englische Flotte in das Adriatische Meer käme“. „Unter größter Diskretion versprach mir Tittoni“, meldet Milanovic, „sofort darüber mit dem russischen Botschafter zu reden, damit Rußland einen Schritt in London tue Tittoni billigte meine These, daß die Territorialforderung so lange als möglich aufrechterhalten werden müsse, und sieht darin eine Sache von kapitaler Wichtigkeit, wenn durch einen Erfolg nach dieser Richtung die serbische und die slawische Sache’ mit Gewinn aus dieser Krise hervorgehen.“ So redete der Außenminister des Dreibundstaates Italien.

Am 6. März 1909 referierte der serbische Gesandte Vuic seiner Regierung über eine Unterredung mit dem Ministerpräsidenten G i o 1 i 11 i, deren Ergebnis er zusammenfaßt: „Mit einem Worte: Giolitti bekundete in seinem ganzin Gespräch den Diplomaten und Politiker, der den aufrichtigen Wunsch hegt, Serbien möge das Piemont des serbischen Stammes und auch dessen Glück werden.“ So der Regierungschef des Dreibundstaates Italien. Und am 7. April 1909 meldete derselbe serbische Gesandte aus Rom:

„Allgemein denkt und glaubt man, die antigermanische Stimmung in England, Frankreich, Rußland und Italien müsse zu einem bestimmten Einvernehmen führen, daß die germanische Präponderanz des deutsch-österreichischen Blockes zerstört werde. Die allgemeine Ueberzeugung ist demnach die, daß wir uns ernstlich vorbereiten müßten und die unbedingt eintretenden Ereignisse abwarten.“

Diesem Abwarten trug dann die Erklärung Rechnung, mit der Serbien nach vielen ungebärdigen Gesten und Reden, scheinbar vor den Widerständen kapitulierend und auf ein ehrenhaftes friedliches Verhalten zu der Nachbarmonarchie sich besinnend, am 31. März 1909 in aller Form vor den Mächten erklärte:

„Serbien anerkennt, daß es durch die in Bosnien-Herzegowina geschaffene Tatsache in seinen Rechten nicht berührt worden ist und daß es sich infolgedessen den Entschließungen anpassen wird, welche die Mächte in bezug auf den Artikel 25 des Berliner Vertrages treffen werden. Den Ratschlägen der Großmächte Folge leistend, verpflichtet sich Serbien, von nup an die Haltung des Protestes in der Opposition, die es hinsichtlich der Annexion seit vergangenem Herbst eingenommen hat, zu verlassen, und verpflichtet sich ferner, die Richtung seiner gegenwärtigen Politik gegenüber Oesterreich zu ändern, um künftig mit diesem letzteren auf dem Fuße freundnachbarlicher Beziehungen zu leben.“

Wer nach dieser vor aller Welt anerkannten Friedensverpflichtung an einen Abschluß der sogenannten Annexionskrise glaubte, sah sich bald durch das Gegenteil enttäuscht. Die nationalen Leidenschaften waren in Serbien aufgeputscht und schlugen versengend auch über die Grenzen der Monarchie herüber. Vergeblich mischt sich in das aufgeregte vertrauliche Geflüster zwischen den Staatskanzleien am 15. Februar 1911 die beruhigende Stimme eines wissenden und bedeutenden Mannes, des Fürsten U r u s s o w , den Petersburg auf den verantwortungsvollen Wiener Botschafterposten entsandt hatte. In einem vertraulichen Schreiben an Minister Iswolsky („Diplomatische Aktenstücke zur Geschichte der Ententepolitik der Vorkriegs- iahre“, herausgegeben von B. Siebert, ge-wesener Sekretär der kaiserlich russischen Botschaft in London) urteilte Urussow, offenbar zur Vorsicht mahneijd, über die Vorgänge in Serbien:

„Nachdem ich mit größter Aufmerksamkeit und Objektivität die Berichte unserer Vertreter in Sofia und Belgrad und auch unseres Geschäftsträgers in Konstantiaopel gelesen habe, komme ich zu dem Schluß, daß alle aus geheimen Quellen geschöpften Nachrichten der serbischen Regierung nur unter Vorbehalt angenommen werden können. Die schwache Seite der Serben ist ihr beständiges Bedürfnis politischer Intrigen, eine Unmenge der allerunwahrscheinlichsten Nachrichten, die ausschließlich den Zweck verfolgen, keine guten Beziehungen Rußland? Zu denjenigen Mächten zuzulassen, mit denen Serbien selbst in schlechten Beziehungen ist. Die ganze Atmosphäre Belgrads ist mit ungerechtfertigter Empfindlichkeit und Erregung gesättigt. Die serbische Regie- ru-ttg will nicht zulassen, daß Rußland auf irgendeiner Grundlage ein Uebereinkommen mit Oester- reich abschließt; wenn nicht die serbische Regierung, so lenkt der serbische Generalstab unsere Aufmerksamkeit auf die .allerverräterischesten Absichten Oesterreichs. In diesem Augenblick, da die Beziehungen Serbiens zur Türkei lange nicht befriedigend sind, besteht in den Augen der Serben kein Zweifel, daß die Türkei ein Abkommen mit Oesterreich geschlossen hat."

Der Botschafter bekennt sich dann zu der Ueberzeugüng, „daß Oesterreich nicht die Absicht hat, die Politik territorialer Erwerbungen auf dem Balkan fortzusetzen. Er sei ganz wie der russische Geschäftsträger in

Konstantinopel der Ansicht, daß Rußland die Notwendigkeit, ein neues Abkommen mit . Wien zu treffen, ernstlich ins Auge zu fassen sei, um auf friedliche Weise die russischen Interessen zu schützen. Er persönlich folge nur der Verpflichtung, die Balkan- intr.igen unwirksam zu machen, die gegen ein solches Abkommen gerichtet sind und die leicht und gegen Rußlands Willen zu einem völligen Bruch mit Oesterreich führen könnten,“ -

Die Stimme der Kenner des Schauplatzes und der freimütigen Warner blieb ungehört — in Belgrad dominierte der russische Gesandte Hartwig, der kriegerische Panslawist, ein gefährlicher Berater.

Urussow, Leon Pawlowitsch Fürst, russischer Botschafter in Wien 1905 bis 1911.

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