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Der redselige Vizepräsident

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Das einzige Regierungsmitglied, das gegenwärtig das Thema Vietnam nicht scheut, ist Vizepräsident Hubert Humphrey. Nachdem Washingtons liebstes Kind, Premierminister Ky, beinahe der Opposition der Buddhisten und der eingeborenen Katholiken (im Gegensatz zu den Scharfmachern, die aus dem Norden zugezogen sind) erlegen ist, hüllt die Administration sich in Schweigen.

Um so mehr Aufsehen macht Humphreys Redelust. Während führende Anhänger der Administration im Kongreß widerstrebend einräumen, daß die Vdetnampolitik neu durchdacht werden müßte, erweitert der Vizepräsident die umstrittene Honolulu-Erklärung zu einer „Johnson-Doktrine“ für Asien. Diese Analogie zu der Monroedoktrine beschwört die Möglichkeit, schwerer Verwicklungen und unaufhörlicher Kriege herauf.

In Washington kenn man sich nicht vorstellen, daß der Vizepräsident Ansichten vertritt, die nicht mit denen Mr. Johnsons übereinstimmen. Man nimmt daher an, daß die mittlerweile nicht mehr ganz verhüllte Aggressivität des Präsidenten neue Horizonte anpeilt. Die Tatsache, daß Humphrey diese Aggressivität teilt, macht seine bisherigen Anhänger, die dem linken Flügel der Demokratischen Partei angehören, kopfscheu und treibt sie Robert Kennedy zu. Trotzdem nimmt Humphrey sich kein Blatt vor den Mund. So deklamierte er vor einer Abteilung Mentalität des Volkes ab. Schließlich verdankt Johnson seine riesige Majorität nicht zuletzt seinem angeblichem Friedenswillen. Die getäuschten Wähler aber begehren nicht auf

seiner früheren Hausmacht, der ADA (Amerikaner für Demokratische Aktion): „Heute nacht ist Saigon diesem Saal so nahe, wie London 1940 es war.“

Die Journalisten zerbrechen sich über diese Wandlung vom Saulus zum Paulus den Kopf. Die einen meinen, er sei ein ehrlicher, aber beschränkter Idealist, der sich auf seiner Asienreise von solch schlauen Nutznießern der amerikanischen Politik, wie den südvietnamesischen und thailändischen Politikern, Potemkin- sche Dörfer vormachen ließ. Die anderen halten ihn für einen Opportunisten, der weiß, daß im Washington Lyndon Johnsons „Abweichler“ ebensowenig Aussichten im Amt zu verbleiben haben, wie in Moskau.

Der bekannteste „Abweichler“, Senator Fulbright, bekommt Washingtons Moskauer Klima zu spüren. Nördliche Republikaner, an ihrer Spitze Barry Goldwater, und südliche Demokraten fordern gemeinsam seinen Rücktritt vom Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses des Senates. Während Goldwater seinem siegreichen Rivalen zu Hilfe kam, in dessen Fleisch Fulbright ein eiternder Dom ist, gab das Republikanische Nationalkomitee eine pikante Erklärung ab: Es wies darauf hin, daß, obwohl Lyndon Johnson im Wahlkampf die Ansichten Goldwaters als militaristisch ablehnte, er sie als Präsident samt und sonders ausgeführt habe. Diese zutreffende Erklärung liefert einen bedrückenden Kommentar zu der

Fulbright versucht, eine wirksamere Kontrolle über die CIA (Central Intelligence Agency) herzustellen. Seitdem vor zwei Jahren das Buch „The Invisible Government“ (Die unsichtbare Regierung) herauskam, in dem die Methoden der Spionageorganisation kritisch untersucht werden, hat die Unruhe über diesen mächtigen Arm der Regierung nicht abgenommen, im Gegenteil, er erhielt in diesen Tagen neuen Auftrieb. Zuerst wurde bekannt, daß das Mitte der fünfziger Jahre unternommene Projekt der Universität Michigan zur Ausbildung einer Polizeitruppe und einer besseren Organisation der Lokalregierungen in Südvietnam von CIA-Agenten unterwandert war. Man fragt, wie viele Professoren heute noch dem Geheimdienst wissentlich oder unwissentlich Schützenhilfe leisten. Auch erregt ein Prozeß gegen die CIA großes Aufsehen. Der Kläger, ein Kanadier, fordert hohen Schadenersatz, weil die Organisation ihn als Kommunisten diffamierte. Die CIA nimmt Immunität in Anspruch. Es verursacht begreifliches Unbehagen, daß man gegen ihre Anschuldigungen rechtlos sein soll.

Zwar besteht ein Ausschuß des Kongresses zur Kontrolle der CIA. Dieser aber läßt sich von der Behauptung, das Nationalinteresse erfordere Geheimhaltung der Ziele und Methoden der Organisation, einschüchtern. Daher möchte Fulbright die CIA vor seinen Auswärtigen Ausschuß ziehen. Bisher drang er damit nicht durch, weil der CIA- Chef Raborn auf Anordnung des Präsidenten die Aussage verweigerte. Fulbright versucht jetzt, den Senat durch Majoritätsbeschluß hinter sich zu bringen. Jedoch angesichts Johnsons Widerstand gegen seine Einmischung wird er kaum durchdringen, und die CIA wird weiterhin eine Nachtpflanze sein, die im Verborgenen blüht.

Es nimmt nicht wunder, daß der Senator über die Zukunft immer mehr bekümmert wird. Kürzlich prophezeite er, die Kontrolle der internationalen Krisen würde schließlich versagen und die USA in einen nuklearen Krieg stürzen. Als Beispiel einer geschickten Krisenkontrolle bezeichnete er die Kubakrise, meinte jedoch, daß „über kurz oder lang das Gesetz der Serie sich gegen uns auswirken wird“.

Da die Amerikaner sich von Augenblicksereignissen übermäßig beeindrucken lassen, wird der Erfolg des Ehepaares Wallace bei den Gouverneurswahlen in Alabama als schwerer Rückschlag für die Sache der Farbigen angesehen. Deswegen, weil die Angst die Weißen geeinigt sowie sie in größeren Scharen zu den Urnen getrieben hätte. Das ist sicher teilweise richtig, vor allem aber nur für Alabama, das auch in Bezug auf die Rassentrennung der rückständigste Staat der Union ist. Wurde doch erst in diesen Tagen eine Statistik veröffentlicht, aus der hervorgeht, daß, zwölf Jahre nachdem der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in den Schulen verboten hat, nur 0,43 Prozent der Negerkinder mit Weißen zusammen zur Schule gehen.

Immerhin erzielte selbst in diesem Staat bei den demokratischen Vorwahlen der Kandidat die zweithöchste Stimmenanzahl, der keine Angst davor hatte, sich photographieren zu lassen, wie er Negern die Hand gab. Einige weiße Sheriffs, die zum erstenmal in der Geschichte einen farbigen Widersacher hatten, wurden nur mit Hilfe von Negern wiedergewählt. Sie hatten sich bereits im Wahlkampf den Negern gegenüber sehr viel entgegenkommender gezeigt, als sie es früher für nötig gehalten hatten.

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