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„Der Ring schließt sich“

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Dieser fünfte, vorletzte Band der Kriegs-memoiren des britischen Premierministers Winston Churchill beginnt mit der Invasion Siziliens und endet am Vorabend der Nor-mandielandungen. Das Buch ist im weiteren Sinne als seine Vorgänger autobiographisch, denn obwohl Churchill immer betonte, daß er „vom Standpunkt des britischen Premierministers“ schriebe, erlaubten ihm die bisherigen Bände, mit ihren Streiflichtern der Kanzleien und Schlachtfelder, seiner großen Gabe der Geschichtsschreibung freien Lauf zu lassen, während er sich im „Der Ring schließt sich“ auf seinen Beobachtungsposten als Verteidigungsminister in die Downing Street zurückbegibt und hauptsächlich mit den diplomatischen und strategischen Problemen des vorletzten Kriegsjahres beschäftigt.

Das Leitmotiv dieses Bandes ist der Kampf des Premierministers und seiner militärischen Berater mit der straffen und unbeugsamen militärischen Bürokratie des amerikanischen Generalstabs. Dem britischen Plan zufolge sollten die Alliierten vor dem Angriff auf die westliche Hauptverteidigungslinie Deutschlands den auf die verwundbare Flanke im Süden unternehmen. Die Engländer hatten den erfolgreichen spanischen Feldzug Wellingtons gegen die napoleonischen Truppen nicht vergessen. Die Mittelmeerkampagne sollte das Vorspiel, keineswegs eine Alternative des Angriffs in der Normandie sein, während die

Amerikaner fest entschlossen waren, ihre ganze Stoßkraft auf die Normandie loszulassen und für diesen Zweck noch im Herbst

1943 Einschränkungsmaßnahmen in Italien vornahmen. Die Amerikaner sahen in der britischen Mittelmeerpolitik Anzeichen eines Versuches, amerikanische Truppen für britische politische Interessen im Balkan zu verwenden. Solche Annahmen waren völlig grundlos, und heute kann man dies leicht mit Bedauern feststellen. In Wirklichkeit ist in keiner der privaten Botschaften Churchills an Eden während des Jahres 1943 auch irgendeine Andeutung zu finden, daß die Alliierten-Strategie sich damit beschäftigen solle, den Russen in Südosteuropa zuvorzukommen. In Teheran, im November 1943, schlug Churchill allerdings vor, die Alliierten-Armeen von Norditalien rechtsschwenkend durch Laibach nach Wien vordringen zu lassen, aber er sah voraus, „daß die Russen aus politischen Gründen es uns nicht erlauben werden, einen ausgedehnten Balkanfeldzug zu unternehmen“. Gründe militärischer Natur allein und der patriotische Wunsch, den britischen Streitkräften im Mittelmeerraum ein eigenes und unabhängiges Tätigkeitsfeld zu eröffnen, bewegten Churchill. Seine Amateurstrategie mochte doch vieles verhindert haben; politisch gesehen aber scheint bis Anfang Mai

1944 keine Notwendigkeit erkannt worden zu sein, die Macht Rußlands zu zügeln.

Sowohl in Italien wie auch im östlichen Mittelmeerraum wurden Churchills militärische Pläne enttäuscht. Seine Menschlichkeit hatte sich bereits im ersten Weltkrieg gegen die Denkweise jener aufgelehnt, die Kriege nur mit dem Aufgebot überlegener Menschenmassen gegen andere Massen zu gewinnen sahen. Und die Ideen, die ihm zur Zeit der Somme und Paeschendaele die Feindseligkeit der britischen Kavallcriegenerale zugezogen hatten, stießen auch im zweiten Weltkrieg auf die amerikanische Gegnerschaft. Dennoch gelang es ihm, die Ernennung eines Obersten Befehlshabers aller Kriegsgebiete zu verhindern, und als man sich darauf geeinigt hatte, den Kommandanten der Invasion Frankreichs und Deutschlands keine Autorität über das Mittelmeer zu geben, zog Roosevelt die Ernennung General Marshalls für einen solchen untergeordneten Befehl zurück. Daher erfolgte die Ernennung Eisenhowers.

Die anglo-amerikanische Uneinigkeit wird klar ersichtlich, wenn Churchill auf die Konferenzen mit Roosevelt in Quebec und Kairo und mit Stalin in Teheran zu sprechen kommt. Naturgemäß kommt dabei der Präsident weniger zu Wort als der Autor selbst, wenn auch Churchill dem amerikanischen Präsidenten jene Weitherzigkeit bezeigt, der er, wie kaum ein anderer Staatsmann, fähig ist und die ihn zum Beispiel das ganze Ausmaß verschweigen läßt, mit dem Roosevelt Stalin ermutigte, wie zum Beispiel als er im Mai 1943 um ein privates Zusammentreffen mit Stalin ansucht und von Island oder Afrika abrät, „weil es unmöglich sei, Premierminister Churchill dorthin nicht einzuladen“.

Während die Amerikaner den ganzen Krieg als einen Kampf zwischen Demokratie und Faschismus ansahen, kümmerte sich Churchill, repräsentativer Engländer, der er ist, viel weniger, und manchmal natürlich auch ungenügend, um die Ismen und Ideologien. Die Unterschätzung der ideologischen Seiten brachten die krassesten Widersprüche dieser Mentalität zutage. Die militärischen Pläne der erfolglosen Anziolandung im Herbst 1943 standen in keinem Verhältnis zu Churchills störrischer Unterstützung des Badoglio-Regi-mes. Und er scheint sich kaum gefragt zu haben, warum es richtig sei, die Monarchie in Griechenland gegen den Kommunismus zu unterstützen, um dann alles daranzusetzen, den Kommunisten gegen die jugoslawische Monarchie zu helfen. Churchill spricht von Tito und den Partisanen, als ob sie Patrioten wären, mit dem einzigen Gedanken, den Landesfeind zu vertreiben, etwa in der Art, wie die spanischen Guerillakämpfer Napoleon bekämpften. In Wirklichkeit waren es Kommunisten, die ihre Chance gesehen und ergriffen hatten, sich selbst an die Macht zu bringen.

Mihailovic und seine Exilregierung waren genau so um die Verhütung unnötiger Gemetzel besorgt wie Churchill selbst etwa in der Sache verfrühter Landungen in der Normandie. Und die französischen Widerstandskämpfer waren von der gleichen Absicht beseelt. Es ging um die Konservierung 'aller Kräfte bis zu dem Tage, an dem die Alliierten-Truppen landen mochten. Tito brauchte sich darum nicht zu kümmern; seine ersten Opfer waren nicht deutsche Soldaten, sondern politische Rivalen, wie die katholischen Studenten von Ljubljana. Churchill sah nur die eine Tatsache, daß Tito große Gebiete Jugoslawiens in der Hand hatte. Die andere Seite seiner Einstellung wird von dem Diner in Teheran beleuchtet, bei dem Stalin, nicht ganz im Scherz, erklärte, daß die Möglichkeit eines Friedens mit der Erschießung von 50.000 deutschen Offizieren und Beamten herbeigeführt werden könne. Die Amerikaner waren keineswegs empört. Elliot Roosevelt, der Sohn des Präsidenten, antwortet: „Wir sind für 49.000.“ Daraufhin verließ Churchill den Tisch und kehrte erst zurück, als man ihm versicherte, daß der Vorschlag nicht ernst gemeint gewesen sei. Elliot Roosevelt wußte anscheinend nicht, wie Churchill und Stalin, daß im Katynwald eine ähnliche Liquidierung des polnischen Offizierskorps stattgefunden hatte. Churchill berichtet, daß Stalin ihm mitgeteilt habe, daß er, Stalin, deutsche Kriegsgefangene erschießen lasse, wenn erwiesen sei, daß sie, wenn auch der Arbeiterklasse angehörig, für Hitler gekämpft hatten.

Churdiill erzählt die Geschichte von dem Mann, der einen kleinen Jungen vorm Ertrinken gerettet hatte, und wenige Tage später von dessen Mutter besucht wurde: „Sind Sie der Mann, der meinen Jungen aus dem

Wasser zog? Was ich gerne wissen möchte, ist, wo seine Mütze ist?“ Weit mehr als eine Mütze wurde im Jahre 1945 als vermißt vorgefunden. Man gewinnt den Eindruck, daß die beiden Aemter de? Premierministers und Verteidigungsministers zu viel für einen Mann, selbst einen Churchill, waren und daß der militärischen Strategie ein zu hoher Platz über der Politik gegeben wurde, was auch aus der zweitrangigen Stellung ersichtlich ist, in der sowohl Eden wie Cordell Hull standen. Churchills staatsmännische. Begabung mußte sich vielfach auf Bemühungen beschränken, Zwietracht auszugleichen und alle Kräfte auf den endgültigen Sieg hinzuordnen.

Das Bild, das von dieser Konzentrierung gezeichnet wird, ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieser Jahre. Der Gesamteindruck ist bekannt: mit gleichem und totalem Machteinsatz waren es die Amerikaner, die den Preis des Sieges und seiner Folgen am geringsten einschätzten, und die Russen, nicht die Engländer, die die Zukunft am weitesten im Auge hatten.

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