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Der Sabbath-Konflikt in Israel

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Jerusalem, im Juni

Israel, das eben einen blutigen Krieg überstanden, das verzweifelt ernste wirtschaftliche Probleme zu lösen hat, steht plötzlich, aber nicht ganz unerwartet, einer religiösen Krise gegenüber, einer rein internen jüdischen Krise von Tragweite.

Überraschend ist nicht, daß es dazu kam, sondern daß sie ger’ade jetzt herbeigeführt wurde. Es ist verständlich, daß es in Israel, dessen Bevölkerung aus Juden aller Weltteile besteht, in religiösen Fragen erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Es ist aber gar nicht selbstverständlich, daß gerade jetzt, da die arabische Gefahr keineswegs gebannt und die Wirtschaftskrise ihrem Höhepunkt nahe ist, diese weltanschaulichen Meinungsverschieden hei- ten ausgetragen werden sollen. Israels Regierung jedenfalls tat ihr Bestes, diesen neuen Engpaß zu vermeiden. Sie blieb erfolglos…

Um die Hintergründe der Spannung zu verstehen, muß man sich über die Schichtung klar sein, welche die . öffentliche Meinung Israels in weltanschaulichen Fragen bedingt. Vier Gruppen treten klar hervor. Den extrem orthodoxen Flügel bilden die „Neturei Karta“ — „Die Wächter der Heiligen Stadt“ —, unter dem Namen „Zeloten“ bekannt. Sie sind praktisch auf Jerusalem beschränkt, wo Rabbi Amram Blau ihr Führer ist; ein feuriger Redner demagogischer Begabung, sozusagen ein Übriggebliebener aus den Tagen der römischen Zerstörung Jerusalems. Die Neturei Karta sind leidenschaftlich antizionistisch, ebenso leidenschaftlich gegen die Emanzipation der Frauen. Sie rekrutieren sich aus „Ashkenazsis“, osteuropäischen Juden, die seit Generationen in Jerusalem leben. Ihr Bollwerk ist „Mea Shearim“ — das Viertel der hundert Tore — im Norden Jerusalems. Sie sind eigentlich eine kleine Gruppe, aber dieses Häufchen stürzt sich auf alles, das als Verletzung des heiligen Gesetzes angesehen werden kann. Obwohl die Neturei Karta Eingeborene Palästinas sind, sprechen sie jiddisch, weil sie sich weigern, das heilige Hebräisch säkular zu entweihen. Sie hassen die Zionisten, weil sie die Errichtung eines jüdischen Staates als Gotteslästerung betrachten. Sie haben wiederholt und offen zum Ausdruck gebracht, daß sie jede Fremdregierung einem jüdischen Staat, der nicht vom Messiah errichtet ist, bei weitem vorziehen. Seit jeher waren die Neturei Karta für Zwischenfälle verantwortlich, die trotz ihrem gewalttätigen Charakter rasch vergessen wurden. In den letzten Monaten kam es aber an jedem Wochenende zu Unruhen, die offensichtlich organisiert waren und deutlich zeigten, daß die Zeloten eine entscheidende Kraftprobe herbeiführen wollen.

Viel wichtiger als die „Neturei Karta“ ist aber der „Religiöse Block“, welcher die gesetzestreue Judenheit Israels von der Agu- dath Isroel bis zur Partei der religiösen Arbeiter repräsentiert. Diese Gruppe erhielt bei den Partlamentswahlen etwa 15 Prozent

der abgegebenen Stimmen, sowohl von europäischen wie von orientalischen Juden. Die streng orthodoxe Agudath Iisroel war einst antizionistisch, hat aber ihre Einstellung seit der Staatsgründung geändert. Die religiöse Arbeiterpartei war immer zionistisch. Natürlich bestehen im Religiösen Block Schattierungen der Orthodoxie. Im großen und ganzen verfolgte aber der Blöde, obwohl er gelegentlich gegen die Entweihung des Sabbaths und den Genuß von nichtkoscherem Fleisch wetterte, eine eher gemäßigte Politik.

Die dritte, die stärkste Gruppe sind die sogenannten „Drei-Tage-Juden“, die angeblich nur an den drei großen Festen dem Gottesdienst beiwohnen. Sie zerbrechen sich über rituelle Details nicht besonders den Kopf. Sie rauchen am Samstag. Sie essen Schweinebraten (wenn sie ihn kriegen), aber sie betrachten sich als Juden nach Religion und Nation.

Die vierte Gruppe sind jene atheistischenjuden, die sich nach Rasse, aber nicht nach Religion als Juden fühlen. Sie wählten ünkssoziali- stisch oder kommunistisch. Viele stimmten auch für die sozialistische Regierungspartei, weil sie die russischen Sympathien der linkssozialistischen Opposition nicht billigen. Diese Bevölkerungsschichte opponiert am entschlossensten jeder Einflußerweiterung der religiösen Körperschaften und dem Versuch, religiöse Observanz gesetzlich festzulegen. Nach den Wahlergebnissen ist das die Weltanschauung von etwa einem Fünftel der Bevölkerung.

Der Anlaß, welcher all diese weltanschaulichen Differenzen gerade jetzt zum Austrag brachte, ist die Tatsache, daß die Regierung ein ,S a b b a t h g e s e t z“ vorbereitet, welches die Einhaltung des Ruhetages regeln so1!. Es ist anzonehmen, daß dieses Gesetz den bisherigen Stand legalisieren wird. Derart ist es verständlich, daß die orthodoxen Gruppen, und besonders jetzt, versuchen, vollzogene Tatsachen zu schaffen, bevor das neue Gesetz formuliert ist.

Es ist den „Wächtern“ gelungen, sich zur Sturmtruppe der orthodoxen Bewegung zu machen, und sie rechnen damit, daß der Block zu ihren Gunsten eingreift, wenn die Lage kritisch wird.

Die Regierung Israels befindet sich nun in einer keineswegs beneidenswerden Lage: Obwohl die Rechtssozialisten die stärkste Gruppe im Parlament sind, verfügen sie nicht über die absolute Mehrheit. Gegen die Opposition der Linkssoziaüsten in der Außenpolitik sind sie auf die 16 Stimmen des Religiösen Blocks angewiesen. Aber die heftigen Vorstöße der „Wächter“ verstellen einen Mittelweg. Jetzt, da Soldaten, die am Samstag Dienst machten, schwer verwundet wurden, ein vollbepacktes Einwandererschiff zwei Tage lang vor der Küste kreuzen mußte, weil die „Zeloten“ seine Landung an einem Feiertag und dem darauffolgenden Samstag verhinderten, nachdem am Sabbath spielende Kinos und Passanten dauernd von den „Wächtern“ .überfallen werden, scheinen zahlreiche Abgeordnete der Ansicht zu sein, daß die Befriedungspolitik zu weit gegangen ist. Israels Labourregierung ist in Gefahr, die Stimmen de9 „Blocks“ im Parlament zu verlieren und damit in die schwerste Lage zu geraten.

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