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Der Schlüssel

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Die fünfwöchigen Bemühungen des designierten Kanzlers um eine tragfähige Regierung haben am vergangenen Wochenende ihren dramatischen Höhepunkt erreicht.

Unter dem übermächtigen Druck der sozialistischen Forderungen, die weit über das den Sozialisten auf Grund des letzten Wahlergebnisses allgemein zugebilligte Maß hinausgingen, hatte sich Ing. Raab den harten Entschluß abgerungen, dem Koalitionspartner die Uebemahme des Finanzministeriums vorzuschlagen.

Es ist uns allen vielleicht erst heute, da die Verhandlungen bereits in eine völlig neue Phase getreten sind, so ganz klar, welches Ausmaß von Selbstüberwindung den designierten Kanzler ftne einsame Stünde gekostet haben mag, in der r sich zu diesem Vorschlag entschloß. Hier sollte ja nicht nur ein langjähriger Freund und Weggefährte geopfert werden, mit dessen Namen ich nicht weniger als mit dem des Kanzlers selbst die Vorstellung von dem zähen Wirt- chaftsaufstieg des Landes und der unerschütterlichen Festigung der Währung, also der Wohlfahrt jedes einzelnen und des ganzen Volkes verband; hier stand auch auf dem Spiel, daß ein Großteil der Wähler, die sich am 10. Mai allein und ausdrücklich zu dem personal eindeutig bestimmten Wirtschaftskurs der Regierungspartei bekannt haben, in diesem ihren Vertrauen getäuscht. sich von der Volkspartei abwenden würde.

Es war unsinnig, dabei dem Kanzler, wie es tatsächlich geschehen ist, die Absicht zu unterschieben, daß er die Sozialisten durch dieses Angebot mit einer untragbaren Verantwortung belasten, sie an der neuen Aufgabe scheitern und sezusagen im eigenen Saft kochen lassen wollte. Kein Mensch hätte die Volkspartei nach dem Scheitern des Experiments von der Mitschuld freigesprochen, von allen Seiten wäre ihr vielmehr die Rechnung präsentiert worden. Eher ist also anzunehmen, daß Ing. Raab mit seinem verzweifelten Angebot die äußerste loyale Geste dem halsstarrigen Verhandlungspartner gegenüber tat, die die Koalitionstreue zu gebieten schien.

Die Reaktion darauf kam an sich nicht unerwartet, ihre Schärfe, Reichweite und Einmütigkeit aber stellen ein Novum in der Geschichte der Zweiten Republik dar. Man darf der Bundesparteileitung der OeVP, die am Montag in einer vierstündigen Sitzung beschloß, eine Abtretung des Finanzressorts an die Sozialisten nicht in Erwägung zu ziehen, glauben, daß nicht eine bestellte optische Demonstration, sondern eine lawinenartige Volksreaktion der letzten drei Tage ihren Beschluß bestimmt hat. Tatsächlich waren der entscheidenden Montagsitzung nicht nur Konferenzen der Landesparteileitungen, des Bundesvorstandes des Arbeitęr- und Angestelltenbundes und der Landesgruppenobmänner des Wirtschaftsbundes,

sondern auch spontane Kundgebungen breitester, auch nicht der Volkspartei zugehörenden, Schichten der Bevölkerung vorangegangen. Ihr Ruf konnte nicht ungehört bleiben. Das oberste Gremium der OeVP ersuchte den Bundesparteiobmann, die Verhandlungen mit den Sozialisten fortzusetzen — mit der obigen Auflage, das heißt ohne Preisgabe des Finanzministeriums.

Was wird nun geschehen?

Die Mission des designierten Kanzlers ist fürs erste nicht leichter, eher schwieriger geworden. Er hat zwar seine letzte Anregung den Sozialisten mit dem ausdrücklichen Vorbehalt der Zustimmung durch die Bundesparteileitung der OeVP unterbreitet doch ist et nach der bisherigen unnachgiebigen Haltung der Sozialisten unwahrscheinlich, daß sie die Zurücknahme des schon frohlockend akzeptierten Angebotes schweigend hinnehmen werden. Allerdings müßten die alarmierenden Vorgänge zum Wochenende auch ihnen überlaut bedeutet haben, den Bogen nicht zu überspannen. Es besteht also noch eine Möglichkeit, daß sich die Sozialisten mit neuen Angeboten der Volkspartei, zur Auswägung des beanspruchten „Gleichgewichtes“ wenn auch kein „Schlüsselministerium“, so doch ein anderes Ministerium zu übernehmen, zufrieden geben.

Erst wenn alle diese Möglichkeiten ausgeschöpft wären und diesen oder ähnlichen neuen Angeboten der Volkspartei auf Seite der Sozialisten abermals ein starres Nein entgegentönte, wäre die Mission des designierten Kanzlers fürs erste gescheitert und den abenteuerlichsten Kombinationen über den Namen und die Zusammensetzung der kommenden Regierung Tür und Tor geöffnet.

Zur Stunde, da diese Zeilen in Druck gehen, sind die Dinge im Fluß. Eine Voraussage, was die kommenden Tage bringen werden, ist so gut wie unmöglich. Die Stimmen jener, die meinen, mit dem weithin sichtbaren Höhepunkt am vergangenen Wochenende habe die Krise möglicherweise zugleich auch ihren Tiefpunkt überschritten, halten sich die Waage mit jenen, die noch ernstere, kritischere Tage für die nächste Zeit, noch mehr aber für die fernere Zukunft, befürchten.

Es ist österreichische Art, in solcher Stunde nicht den Teufel an die Wand zu malen, sondern noch immer zu hoffen und zu vertrauen, noch einmal an die Verantwortlichen zu appellieren, es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, sondern es mit Geduld und gutem Willen noch einmal zu versuchen. Diese Aufforderung richtet sich vor allem an die Adresse der Sozialisten. Mögen sie den Triumph auskosten, daß sie zur Stunde den „Schlüssel zum Kabinett" in der Hand haben; mögen sie ihn aber nicht leichtfertig überdrehen! Ueber manches, vieles andere wird sich nachher reden lassen.

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