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Der Schock wird noch tiefer gehen

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Will der Absender der Briefbomben nur die Polizei narren? Gerhard Schmid, Niederösterreichs oberster Sicherheitschef, zum Stand der Ermittlungen.

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Will der Absender der Briefbomben nur die Polizei narren? Gerhard Schmid, Niederösterreichs oberster Sicherheitschef, zum Stand der Ermittlungen.

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DIEFURCHE: Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen im Fall der vierten Briefbombenserie im niederösterreichischen Poysdorf, Stronsdorf und Mistelbach?

Gerhard Schmid: Wir haben derzeit ein relativ konkretes Täterprofil. Demnach handelt es sich um eine Person oder einen Personenkreis mit großem technischen Know-how, der oder die unter Umständen sogar im öffentlichen Leben in relativ guter Position steht beziehungsweise stehen. Man hat deshalb die Erhebungen auf Personen konzentriert, die mit diesen Dingen umgehen können und die entsprechende Vorkenntnisse haben.

DIEFURCHE: Es heißt inzwischen wieder, daß die Informanten der Täter in den höchsten Kreisen des Sicherheitsapparates sitzen.

Schmid: Der Vorwurf steht ja schon seit geraumer Zeit im Raum, es geschehe auf dem Gebiet des Rechtsra-dikalismus deshalb so wenig, weil im Bereich der Sicherheitsbehörden braune Tendenzen vorhanden seien.

Aber konkret zu diesen Vorwürfen: Ganz ausschließen kann man das natürlich nicht. Aber vorstellen kann ich es mir, ehrlich gesagt, wirklich nicht. Ausschließen möchte ich so etwas überhaupt bei meinen Beamten. Die wollen wirklich mit größtem Engagement den Täter dingfest machen.

DIEFURCHE: Der Journalist Hans-Henning Scharsach attestiert in seinem neuesten Buch „Haiders Clan” (siehe FURCHE 41, Seite 22) dem Polizeiapparat ebenfalls zunehmend rechtsextreme Strömungen Stimmt dieser Forwurf? Schmid: Zunächst einmal muß klar gesagt werden: Unsere Beamten haben keine leichte Aufgabe. Sie sind einerseits ständig mit der sogenannten „Nacht-Gesellschaft” konfrontiert. Das heißt, sie erleben eine Menge negativer Situationen. Viele dieser Einschreitungen werden von Ausländern verursacht. Wir kommen nicht darum herum, das einmal festzuhalten. Und das prägt den Polizeiapparat, das muß uns klar sein.

Andererseits bin ich der Meinung, daß wir das aufarbeiten müssen. Wir sind ja auch derzeit dabei, das zu tun. Wir haben politische Bildung in unserem Programm und ganz besonders müßte sich jeder Exekutivbeamte, ob das ein Polizist, Gendarm, Zöllner oder wer auch immer ist, von solchen negativen Dingen distanzieren können.

Nur - das Ganze ist eben auch eine menschliche Situation. Fallweise sind auch da oder dort bei der Polizei die Arbeitsbedingungen nicht ideal. Wenn dann jemand sagt: „Schaut euch das an: Ihr seid schlechter untergebracht als viele Ausländer”, dann findet er mit solchen Sprüchen einen guten Nährboden. Und dann sagt vielleicht auch der eine oder andere Beamte: „Gut, recht hat er. Dann wählen wir halt die AUF, die Personalvertretung der Freiheitlichen. Vielleicht können's die ändern.”

Es ist sicher richtig: In unserem eigenen Bereich müßte man noch mehr als bisher sensibel sein gegenüber den Problemen der Beamten.

DIEFURCHE: Zurück zu den Briefbomben: Den Ermittlern wird vorgeworfen, daß immer wieder Pannen beiden Untersuchungen passieren Wo sehen Sie selbst Probleme?

Schmid: Es hat in der Anfangsphase sicherlich Kommunikationsschwierigkeiten gegeben. Unter anderem auch deshalb, weil sehr viele junge, tüchtige und engagierte Beamte mit den Ermittlungen betraut worden sind. Die hatten aber natürlich noch nicht das Wissen von erfahrenen Kriminalisten. Aber das hat sich in letzter Zeit gebessert.Vor allem bei der Analyse der Ermittlungsergebnisse hat es in der Anfangsphase - und das kann man nicht leugnen - Spannungsfelder gegeben. Aber die, so glaube ich wenigstens, sind jetzt fast zur Gänze beseitigt. Jeder hat erkannt, daß eigentlich nur der Erfolg das Wichtige ist. Wer ihn nun für sich verbuchen kann, ist vollkommen egal - haben müssen wir ihn, das ist das Entscheidende. Und da hoffen wir doch, daß wir in nächster Zeit doch einmal weiter kommen.

DIEFURCHE: Eines der Opfer, die Flüchtlingsbetreuerin von Poysdorf, Maria Loley, stand auf der Liste der gefährdeten Personen, hat Drohbriefe erhalten und wurde vor Beginn des Briefbombenprozesses sogar noch einmal vom Innenministerium gewarnt Trotzdem ist sie jetzt schwer verletzt Wieso konnte das passieren? schmid: Es stellt sich die Frage: Wo beginnt man und wo hört man auf mit dem Personenschutz? Was Frau Loley passiert ist, hätte einem Personenkreis von 100, 200 Leuten passieren können, die sich sehr für Ausländer engagieren. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man kontrolliert die gesamte Post, oder man greift auf die Möglichkeit des Personenschutzes zurück. Beide Varianten schränken die persönliche Freiheit sehr ein, weshalb sich die Frage stellt: Will das der Betroffene überhaupt?

Bei der Frau Loley hätte man aufgrund der Drohungen, die sie bekommen hat, die ganze Post gleich einmal kontrollieren können. Die

Frage ist nur: Hätte sie das gewollt?

DIEFURCHE: Wurde sie gefragt? schmid: Von uns aus nicht, und sie selber hat auch nichts gesagt.

DIEFURCHE: Wie weit müssen sie den Kreis der möglichen Opfer jetzt ausdehnen?

Schmid: Das ist schwierig. Wir hätten nie gedacht, Ärzte mit ausländischem Namen miteinbeziehen zu müssen. Das ist vollkommen'neu, und die Frage ist, wie weit geht man jetzt? Wo zieht man die Grenze, wo hört man auf? Wir warnen deshalb besonders jene, die sich in der Öffentlichkeit für Ausländer einsetzen, die in der Öffentlichkeit stehen oder fallweise in den Medien auftreten. Aber jeder kann das Opfer sein.

DIEFURCHE: Herr Brigadier, man hat den Eindruck, daß die Polizei den Ereignissen immer nur hinterherrennt Kann man sich nicht ausmalen, was die Täter als nächstes tun werden? schmid: Natürlich überlegt man, was könnte der nächste Schritt des Täters sein. Aber so, wie die Dinge jetzt liegen, gehört eher ein bißchen Glück dazu bei den Erhebungen. Wir sind keine Hellseher, das ist die Schwierigkeit. diefurche Sie sprechen von einem Täter...

Schmid: Unsere Schlußfolgerungen beziehungsweise Thesen sind im Moment folgende:

1. Wir gehen eher von einem Einzeltäter aus.

2. Dieser hält gern die Polizei „zum Narren” und ist voll Genugtuung, weil ihm das auch gelingt. Dadurch steht er im Rampenlicht, denn die Medien interpretieren ja wirklich sehr viel in die Attentate hinein.

3. Er hat hervorragende technische Kenntnisse, ist gut situiert, wahrscheinlich hat er den Krieg mitgemacht. Außerdem muß er sehr viel Zeit haben, denn er ist sehr penibel beim Bau der Briefbomben und macht keine Fehler.

Was er als nächstes tun wird? Wahrscheinlich die Briefbomben weiterentwickeln. Sollte er tatsächlich im nationalsozialistischen Gedankengut fest verankert sein, ist er natürlich auch sehr an einer Destabi-lisierung Österreichs interessiert und will, daß wir jede Menge Schwierigkeiten bekommen. Derzeit erstellt jedenfalls ein ganzes Team von Psychologen ein Täterprofil.

DIEFURCHE: Werden Sie ihn je erwischen?

Schmid: Wir haben die Chance, daß er einen Fehler macht. Ehrlich, ich bin voll Hoffnung, daß wir ihn kriegen werden. Je mehr er tut, desto schockierender wird das für uns sein. Aber wir haben dann auch eher die Chance, ihn zu fassen.

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