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Der Schreibtisch des Napoleon

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Das Schicksalsjahr 1914 brachte mich zum erstenmal mit der Redaktion der „Reichspost“ in Verbindung, und ich schrieb damals für sie eine Anzahl von Buchbesprechungen, bis mich das Kriegsgeschehen an die Front rief. Nach meiner Rückkehr im Jänner 1919 sprach ich bei Chefredakteur Dr. Funder über dessen Einladung vor und übernahm gemeinsam mit dem Maler Professor Reich das Referat für bildende Kunst, in dem ich mich über neunzehn Jahre betätigen sollte.

Außer meinen kunstwissenschaftlichen Studien verfügte ich über keinerlei Erfahrung, ein bluti-

ger Anfänger auf journalistischem Gebiete. Dabei erkannte ich bald, daß dieses Referat für Dr. Funder, den international bekannten politischen Zeitungsmann, keineswegs eine nebensächliche Sparte am Rande des Zeitgeschehens bedeutete, sondern daß er als Kunstkenner und Sammler aufrichtig bemüht war, die von ihm geleitete Zeitung den Interessen der österreichischen bildenden Kunst, ihrer großen Tradition und ihrer zeitbedingten Entwicklung dienstbar zu machen. So wurde er für mich unerfahrenen Adepten ein vorbildlicher Lehrer und Berater.

Unvergeßlich sind mir die vielen kürzeren oder längeren Besprechungen, in denen wir uns über einzelne Kunstwerke, Ausstellungen oder allgemeine Kunstfragen unterhielten. Immer war er rasch im Bilde und erfaßte intuitiv das Wesentliche, das er geistig und stilistisch scharf umriß. Niemals aber drängte er sein eigenes Urteil auf, er sorgte nur dafür, daß die geistige Generallinie seiner Zeitung eingehalten wurde.

Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter war durchaus nicht gering, gab es doch neben dem Morgenblatt der „Reichspost“ noch die Mittagsausgabe und die

„Wiener Stimmen“. Mit zwei Kunstfeuilletons in der Woche und zahlreichen Ausstellungsbesprechungen bot sich mir ein reiches Betätigungsfeld, das bald durch musikalische und Theaterreferate erweitert wurde.

Wie angenehm war die Zusammenarbeit mit dem Redaktionsstab, der nicht nur durch gemeinsame Arbeit, sondern auch durch aufrichtige Freundschaft verbunden war. In den Redaktionsräumen lernte man überdies fast alle hervorragenden Persönlichkeiten der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen kennen, denn das

Chefzimmer bildete den Treffpunkt aller, die bei diesem erfahrenen Politiker Rat und Hilfe erwarteten.

Dr. Funder kannte für sich selbst weder Ruhe noch Ausspannen, vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein arbeitete er bis zu seinem physischen Zusammenbruch, aber er stellte auch an seine Mitarbeiter entsprechende Anforderungen. In erster Linie verlangte er Initiative und geistige Wendigkeit und gab manchmal Aufgaben, die auf den ersten Blick fast nicht zu lösen waren. Ich erinnere mich an ein Episode, die seine Art treffend kennzeichnet.

An einem Samstagmittag rief er mich in sein Arbeitszimmer und beauftragte mich, für die Sonntagsausgabe der „Reichspost“ einen Bericht über die allgemeines Aufsehen erregende Kunstauktion im Palais Palffy ni schreiben, in der neben anderen Kunstwerken auch der historische Schreibtisch Napoleons zur Versteigerung gelangen sollte. An und für sich war dies eine interessante, aber nicht außergewöhnliche Aufgabe, die nur dadurch erschwert wurde, daß Dr. Funder verlangte, es müßte vor allem dar über berichtet werden, wie Graf Palffy in den Besitz dieser bedeutenden Kunstwerke gelangt wäre. Der Auktionskatalog gab darüber keine Auskunft, Graf Palffy selbst aber war tot. Meine Bedenken über die Kürze der Zeit, die mir für so schwierige Erhebungen zur Verfügung stand, fand kein Gehör. Der Bericht sollte am Sonntag erscheinen.

Mißgestimmt und durch die beinahe völlige Aussichtslosigkeit meiner Bemühungen ein wenig bedrückt, fuhr ich heim. Im Straßenbahnwagen fiel mir plötzlich ein, daß ich vor kurzem einen alten Wappenmaler, einen Meister seines Faches, besucht hatte, der nicht nur über hervorragende heraldische Kenntnisse verfügte, sondern auch mit der Geschichte der bedeutendsten hochadeligen Familien vertraut war. Vielleicht konnte er mir helfen. Rasch entschlossen suchte ich ihn auf und setzte ihm meine schwierige Lage auseinander. Er erinnerte sich sofort an einen Freund des Grafen Palffy, dessen ständiger Begleiter er auf allen Auslandsreisen gewesen war. Ein Telephonanruf, ich hatte Glück. Eine halbe Stunde später erhielt ich wirklich erschöpfende Auskunft, so daß ich um sechs Uhr abends Dr. Funder den gewünschten Artikel mit aufschlußreichen Einzelheiten vorlegen konnte. Er las ihn mit Interesse und sagte lächelnd: „Nun, lieber Herr Professor, habe ich nicht gleich gesagt, daß Sie schon alles Notwendige auftreiben werden?“

Wie oft sagte Dr. Funder in der schweren politischen Zeit vor 1938, daß er am liebsten statt eines politischen Blattes eine Zeitung kultureller Prägung herausgeben würde, zweifellos auch deshalb, weil er in dem Parteienhader die Gefahr des Zusammenbruchs Oesterreichs vorausahnte. Wie sehr er im Recht war, bewies der April 193 8, der nicht nur für Dr. Funder persönlich schwerstes Leid brachte, sondern auch sein journalistisches Lebenswerk österreichfremder Gesinnung zum Opfer fallen sah. Wir alle, die wir mit dem Herold-Hause in jahrelanger Arbeit verbunden gewesen waren, verloren mit diesem Zusammenbruch mehr als eine bloße Arbeitsstätte.

Deshalb folgte ich im Winter 1945 46 bewegten Herzens einer Einladung meines ehemaligen Chefredakteurs und Lehrmeisters, ihn im Herold-Hause zu besuchen. Im ungeheizten Zimmer, ein Gefäß mit heißem Wasser als einzige Wärmequelle zu seinen Füßen, die geliebte kurze Pfeife im Munde, saß er vor seinem Schreibtisch, in alter Frische und Lebendigkeit, geistsprühend und zukunftbejahend, und sprach mit mir über die geplante Gründung der „Furche“, zu deren Mitarbeitern ich mich seither zählen darf. So konnte im wiedererstandenen Oesterreich das Verwirklichung finden, was ihm ein Jahrzehnt vorher vor Augen geschwebt hatte.

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