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Der Schutz des Staates

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Kein vernünftiger Mensch baut ein Haus und bepflanzt den Garten, ohne einen schützenden Zaun um sein Besitztum zu errichten. Was die Umfriedung dem Hause des Bürgers, ist das Heer den Grenzen des Staates. Alle Errungenschaften der freien, nationalen Entwicklung stehen und fallen mit dem Heere, jenem Symbol des Bestandes eines Landes und der Beständigkeit seiner Bewohner.

Wie könnte sich beispielsweise in Oesterreich ein Zustand der Wehrlosigkeit praktisch auswirken? Im Falle einer Konflagration an den Grenzen unseres Landes könnte dieses ohne Mühe als Aufmarsch- oder Durchzugsgebiet benützt werden. Als Gegenmittel blieben lediglich papierene Proteste. Und könnte man sich mittels eines Heeres dagegen schützen? Selbst einem riesigen militärischen Machtapparat gegenüber? Gewiß.' Erstens durch die Verteidigungskraft eines gut gerüsteten Heeres im Verein mit der vorteilhaften topographischen Lage eines Ge-birgs- und Waldlandes, das selbst einen Eroberer vor schwerwiegende Probleme stellen würde, und zweitens kann man einem sich Wehrenden beispringen und zu Hilfe eilen, einen Ueberwältigten jedoch höchstens später befreien. Unser Bedarf an Befreiungen dürfte aber bereits hinreichend gedeckt sein.

Und nun eine andere Möglichkeit, die nicht von der Hand zu weisen ist. Eine Zwergpartei, die den Mangel einer Anhängerschaft durch randalierende Stoßkraft ersetzt, inszeniert in einem gesamtpolitisch günstigen Augenblick plötzlich Unruhen. Und dann rollen Truppen eines Nachbarlandes über die unbesetzten Grenzen, um, wie es so schön bei derlei Gelegenheiten heißt, die Ordnung — gemeint ist dabei ihre Ordnung — herzustellen. Auch das haben wir erlebt und sind belehrt. Nein, keine Wiederholung, woher immer ...

Oesterreich hat sich zum Status der Neutralität bekannt, es muß nun auch gewillt und entschlossen sein, diesen nicht nur zu wahren, sondern auch nötigenfalls zu verteidigen. Diese Aufgabe kommt dem Heere zu. Es hat aber auch die innere Sicherheit des Volkes gemäß der Verfassung zu gewährleisten; und hiermit auch Garant einer ungestörten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Weiterentwicklung zu sein. Nur jenen, die im trüben fischen wollen, ist der Schild des Staates unerwünscht.

Die bewaffnete Neutralität der Schweiz hat die Eidgenossenschaft während zweier Weltkriege aus dem Streit herausgehalten. Gewiß, keine Macht der Erde ist unüberwindlich, und ein Kleinstaat schon gar nicht. Doch je größer seine Wappnung, desto höher der Preis seiner Freiheit.

Ein Staat, dem- zur Wahrung des Friedens lediglich Polizeieinheiten und Proklamationen pazifistischer Gesellschaften zur Verfügung stehen, stellt geradezu eine Einladung für den kampflosen Einmarsch oder Durchzug fremder Truppen dar.

Der sichtbare Hüter unserer unparteilichen Position zwischen zwei Welten soll das unpolitische Bundesbeer in seiner Abwehrkraft sein. Den Wert der Armee wird allerdings jener Geist bestimmen, der in seinen Reihen vorherrscht, denn aus dem Geist sprießt die wesentlichste Kraftquelle einer demokratischen Armee und bestimmt ihren sittlichen Wert.

Haus und Schule müssen der Jugend jene geistige Grundlage mit auf den Weg geben, aus der die edelste Form des Gehorsams resultiert: die freiwillige Unterordnung des einzelnen unter den Willen der Allgemeinheit, ohne die eine wahre Demokratie, eine geordnete Staatsführung unmöglich sind. Dies gilt gleichermaßen für den zivilen wie für den militärischen Sektor. Im letzteren sind die Verpflichtungen, aber auch die Rechte des einzelnen, des Höheren und Niederen, des Vorgesetzten und Untergebenen sowie die Beziehungen dieser zueinander genau geregelt, um die Gemeinschaft in geordnete Bahnen zu lenken und auch dann zu sichern, wenn an den einzelnen höchste Anforderungen gestellt werden. Pflege von Verantwortungsbewußtsein, Pflichtgefühl, Opferbereitschaft, männliche Haltung, Wahrnehmung einer wahren Kameradschaft, müssen die Erziehungsziele sein; die demokratische militärische Jugend muß zu individuellen Persönlichkeiten herangebildet werden, die einen Pazifismus im Sinne einer sich preisgebenden Ohnmacht, als gegen die Interessen der Zweiten Republik gerichtet, entschieden ablehnt.

Ueberspitzungen im militärischen Betrieb dürfen sich in der Armee nicht mehr wiederholen, weil sie — nach unserer Anschauung — den Begriffen der Menschenwürde widersprechen. Daß weitgehende Rücksichtnahme auf den einzelnen weder der Ausbildung noch der Disziplin schadet, hat das Bundesheer der Ersten Republik bewiesen, wo sich eine Kameradschaft entwickelte, die heute noch alle Angehörigen verbindet, die in vorbildlicher Weise zueinander stehen und sich gegenseitig helfen. Die Waage sei auch künftig das Symbol jedes Vorgesetzten der neuen Armee. Pflichtgemäße Strenge wird durch Herzlichkeit, Güte, wahres soziales Verständnis und Hilfsbereitschaft auszugleichen sein.

In Oesterreich soll auch jeder Soldat den Marschallstab im Tornister tragen, unbeschadet seiner Herkunft und ursprünglichen Schulbildung. Gewisse Voraussetzungen muß er natürlich erfüllen, ähnlich wie sie in allen anderen Berufen selbstverständlich gefordert werden. Der Offizier muß volksverbunden sein, und wenn er auch unpolitisch sein soll — was anzustreben ist —, so muß er Verständnis für die Fragen des Tages, für alle Probleme haben, die Oesterreich betreffen, seine Heimat, der er ohne Vorbehalte ergeben sein muß. Der Offizier muß sich zu dem übernommenen Pflichtenkreis berufen fühlen, eine Forderung, die an die erste Stelle rückt. Eine Versorgungsanstalt darf die Armee für niemand werden.

Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die leitenden Köpfe der künftigen Wehrmacht aus Gründen der Kriegserfahrung unbedingt auch den zweiten Weltbrand mitgemacht haben müssen, oder ob man auf jene Männer zurückgreifen darf, die 1938 ihrer österreichischen Gesinnung wegen kaltgestellt wurden. Nun, die Frage ist sicher zu stellen, doch die Antwort lautet: die Erfahrungen sowohl des eisten wie sogar des zweiten Krieges sind überholt. Umzulernen haben wohl alle Kriegsteilnehmer. Nie überholt wird aber der Wert der Seele sein, die man dem Organismus, einer zu allen Opfern bereitstehenden Institution einhaucht.

Die erste Führungsschichte unseres neu erstehenden Bundesheeres ist auch zugleich die letzte Generation, die noch das Ehrenkleid der alten, ruhmreichen Armee getragen hat. Sie wird mit einer staatswichtigen Verantwortung dauernd belastet, worüber sie sich zweifellos im klaren ist. Sie müssen die Garanten dafür sein, daß vom General bis zum Korporal jener Geist auch in der Republik lebendig bleibt, der seinerzeit die vielsprachigen Heere im bunten Rock beseelte.

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