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Digital In Arbeit

Der sechste und der siebente Tag

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Die klassische Arbeitswoche der europäischen Erwerbsgesellschaft war die'Sechstagewoche. Im Hochkapitalismus wurde sogar der SQnntag-vormittag in den Arbeitsvollzug einbezogen und der Sonntag dadurch ein Vorbehalt der Herren, ein Herrentag und nicht allein Tag des Herrn. In einer Arbeitssituation, die von der Mehrheit der körperlich Tätigen die Hergabe letzter Arbeitskraftreserven forderte, war der Sonntag oder das, was von ihm arbeitsfrei blieb, lediglich der Aufholung (Rekreation) abgegebener physischer Arbeitskraft reserviert. Das galt vor allem für die Masse der Arbeiter in den Fabriken und die Dienstboten.

Im letzten Jahrzehnt sind allenthalben die Sollarbeitszeiten erheblich reduziert worden. In den USA sind Verhandlungen im Gang, die auf eine unter 30 Stunden liegende Wochenarbeitszeit zielen.

Durch die Senkung der Sollarbeitszeit wurde nicht allein die tägliche Arbeitszeit, sondern auch die Anzahl der Arbeitstage je “ Woche herabgesetzt. In Österreich auf fünf

Dadurch hat nun der Samstag eine neue Qualität gewonnen und gleichzeitig die bisherige Qualität des Sonntags, auch des sogenannten „christlichen Sonntags“, erheblich reduziert. Sonntag und Samstag sind in ihrer Bedeutung für die Erwerbstätigen „egalisiert“ worden.

Nun gilt aber die Fünftagewoche und die auf diese Weise herbeigeführte Erweiterung des erwerks-arbeitsfreien Wochenendes nicht für die ganze Bevölkerung, deren größter Teil jedoch in irgendeiner Form an der Freizeit des Sonntags partizipiert.

Diese Tatsache führt dazu, daß es, ebenso wie in der Epoche des Feudalismus, wenn auch aus anderen Bestimmungsgründen, Freizeitarme und Freizeitreiche gibt.

Von den Hausfrauen und den Bauern abgesehen, haben Personen, die an Sonntagen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, so gut wie durchweg als Kompensation an einem Wochentag einen Ersatzruhetag. Gleiches gilt jedoch nicht für jene Erwerbstätigen, die an Samstagen arbeiten müssen. Die Kompensation besteht in einer je Tag kürzeren Arbeitszeit. Dadurch entstehen in ihrem Freizeitverhalten oft verschiedenartige Gruppen: Personen, deren Freizeitgestaltung vom Rhythmus der Fünftagewoche bestimmt ist, und die Gruppe jener, die in der Verhaltenstradition der Sechstagewoche lebt.

Im Zeitalter der industriellen Revolution wurde, dachte man an Freizeit, bei den Massen der Erwerbstätigen der (erwerbsarbeitsfreie) Sonntag gleichsam mitgedacht. Durch die Konstitution der Fünftagewoche hat nun der Samstag den Charakter eines „V o r-raums des Sonntags“ erhalten.

Dem Sonntag war es ehedem aufgegeben gewesen, bestimmte Freizeitsehnsüchte zu erfüllen. Gleiches, wenn Arbeitstage. In den USA in manchen Branchen auf vier.

Freilich muß man vorsorglich, um nicht falschen Vorstellungen zu erliegen, die tatsächliche Durchschnittsarbeitszeit je Woche von der im jeweiligen Kollektiv- (Tarif-) Vertrag vorgesehenen unterscheiden. Im Rahmen der Harmonisierung der Sozialpolitik zeigt sich jedoch in den einzelnen Ländern die Neigung, die Arbeitszeit auf das jeweils niedrigste Niveau im Harmonisierungsbereich herabzusetzen. (Man vergleiche etwa die Hinweise im letzten Gesamtbericht der EWG.)

Durch die Einführung der Fünftagewoche ist der Samstag weitgehend aus dem konventionellen Arbeitsvollzug ausgeklammert worden. Er steht nicht mehr am Ende der Arbeitswoche, sondern für viele Dienstnehmer und auch Dien^tgeber jenseits der Erwerbsarbeit, ist also nicht mehr Teil der Arbeitswoche. Auf diese Weise ist für einen beachtlichen Teil der Bevölkerung der Samstag zum echten F e i e r tag geworden.auch in anderer Weise der Erfüllung, gilt auch für den arbeitsfreien Samstag.

Viggo Graf Blücher, einer der bedeutendsten deutschen Verhaltenssoziologen, publiziert jetzt in einer der letzten Nummern der Hamburger „Zeitwende“ das Ergebnis einer Untersuchung über „Wunsch und Wirklichkeit des freien Samstags“, an dem etwa in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1959 75 Prozent der Arbeitnehmer Anteil hatten.

Gegliedert nach Wunsch (was würden Sie tun, wenn ,..) und Wirklichkeit ergab die Befragung in den wich-

Die Prozentsummen ergeben wegen Mehrfachbeantwortung bei „Wunsch“ 132 und bei „Wirklichkeit“ 169. Dementsprechend sind die obigen Zahlen zu werten.

Der Samstag ist also, ebenso wie der klassische Sonntag, nach seiner Verwendung dreigeteilt in eine Er-holungs-, eine Erwerbs- und in eine Konsumzeit.

Soweit den obigen Zahlen eine repräsentative Bedeutung beigemessen werden kann, ist festzustellen, daß in einem beachtlichen Umfang der Samstag daheim zugebracht wird, daß relativ viel Zeit der Erholung gewidmet ist und daß für die Muße wie auch für die Weiterbildung beachtlich wenig Zeit aufgewendet wird.

Es wäre dem Zweck der Befragung sehr dienlich gewesen, hätte man die Frage nach der Nebenberufsarbeit an Samstagen gesondert gestellt. Dann hätte sich ergeben, was der Öffentlichkeit ohnedies, wenn auch ohne exakten Zahlennachweis, nicht verborgen ist: Ein beachtlicher Teil der Arbeitnehmer benützt den freien Samstag für Zuerwerbsarbeit. Zu einem großen Teil ohne echte Nötigung.

In einer Zeit der Vollbeschäftigung vermag der Einsatz von Arbeitskräften zum Wochenende gewisse Engpässe in der Versorgung zu schließen. Anderseits weiß die Arbeitsmedizin und wissen die Hausärzte wie die Vertrauensärzte der Sozialversicherungsinstitute, daß die Mehrzahl der Arbeitenden den Anforderungen, der Last, die Arbeitsaufgaben von e i n-e i n h a 1 b Arbeitswochen in einer Kalenderwoche unterzubringen, nicht gewachsen ist. Frühinvalidität, die schließlich die ganze Bevölkerung zu finanzieren hat, ist die Folge.

Jedenfalls hat der freie Samstag nicht so sehr das Mußetun gefördert, sondern eher arteigene Arbeitsanreize geschaffen, die schließlich den Kampf der Gewerkschaften um die Kürzung der Wochenarbeitszeit ad absurdum führen. Was ist damit getan, wenn die 80-Stunden-Woche durch die 48-Stun-den-Woche und jetzt durch die 45-Stunden-Woche ersetzt wurden — stets unter Hinweis auf die unzureichende Arbeitskraft der Erwerbstätigen —, wenn beachtliche Teile der Arbeitnehmer den 45 Stunden der Sollarbeitszeit spontan 20 Stunden Zusatzarbeit anfügen und auf diese Weise eine tatsächliche Arbeitssituation schaffen, die mit jener vor der Jahrhundertwende vergleichbar istf Zu allem ist noch zu' sagen, daß die Erträgnisse der oft unvertretbar hohen Zusatzarbeit an Samstagen und Sonntagen nicht selten der Finanzierung des Erwerbs von solchen Gütern dient, für deren Konsum der Arbeitende, weil ohnedies stets zum Wochenende arbeitend, kaum Zeit hat. Dadurch ergibt sich eine Zirkulation der Tätigkeit. Man arbeitet zum Wochenende, um ein Auto kaufen zu können, mit dem man dann meist nur zur Wochenendarbeitsstätte fährt. Durch den Einbezug des Samstags in das arbeitsfreie Wochenende ist also in vielen Fällen die Sechstagewoche zur Siebentagewoche geworden.

Der freie Samstag hat aber eine Reihe positiver Ergebnisse gebracht. Vor allem ist der Sonntag, der die ganze Last der Arbeitswoche als arbeitspolarer Feiertag zu tragen hatte, weitgehend entlastet worden. Dadurch ergibt sich für den Sonntag, wie Graf Blücher sagt, ein „ganz neuer Stil des Privatlebens“, da der vorgeschaltete Samstag dem Sonntag eine Reihe von Aufgaben abnimmt, wie etwa die Aufarbeitung von bisher liegengebliebenen Arbeiten im Haushalt.

Die Kirche hat die Neugestaltung des Wochenendes bisher nur in einem unzureichenden Umfang zur Kenntnis genommen. Der Heilige Vater hat (26. Juni 1961) eine „Anpassung“ der Kirche an die neuen Realitäten verlangt. Die letzte Sozialenzyklika fordert diese Anpassung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Auch die Freizeit, der freie Samstag wie der freie Sonntag, sind aber gesellschaftliche Wirklichkeiten.

In bemerkenswerter Weise wurde eine Theologie der Arbeit entwickelt. Man kann dergleichen im Raum der Bewältigung der neuen Konsumzeiten nicht feststellen. Zumindest gibt es keine praktikablen Hinweise, wie die Menschen zu einer Selbstdarstellung auch in der Region des Konsums, des Freizeitgebrauchs finden könnten. Keine Rezepte, kein Katalog von Verboten, an den sich ohnedies nur alte Weiblein und auch nur bis zum Kirchenvorplatz halten wollen.

Was zu sagen wäre, ist dies:

Der,, Mensch soll die neue Freizeit .sinnerfüllt gebrauchen und sie nicht nur nach Nutzenkategorien messen; er soll in ihr die Chance der Aneignung echter Bildungswerte sehen und auch eines Findens zu sich selbst, einer Re-privatisierung, die um so mehr geboten erscheint, je stärker der Mensch sich im Vollzug seiner Berufsarbeit an die Welt verlieren muß.

Richtig genutzt, kann ein zweitägiges Wochenende das Gleichgewicht in einem durch den Arbeitsvollzug gestörten physischen und psychischen menschlichen Haushalt herstellen helfen. Darin liegt der Sinn des freien Samstags:

Entlastung des Sonntags und Kompensation der Mußarbeit durch ein Mußetun.

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