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Der siebente Band des Großen Herder

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Unter den bisher erschienenen Bänden des seiner

Fertigstellung zueilenden Großen Herder ist der eben veröffentlichte siebente zweifellos der bestgelungene einer ausgezeichneten Gesamtleistung. Diesmal darf man auch mit den Länderartikeln zufrieden sein, die in den vorigen Bänden mitunter itiefmütterlich behandelt worden waren, zumal in bezug auf die Geschichte. Polen (9 Spalten und 4 über Literatur, Kunst, Kultur) ist gut, Persien (5 Spalten), Rumänien (insgesamt 9 Spalten) sind ausreichend, Rußland, einschließlich der Sowjetunion, wird ganz vortrefflich auf nicht weniger als 37 Spalten dargestellt. Da finden wir die neuesten statisti-ichen Angaben, die Wirtschaft ist eingehend ge-ichildert, und zwar ohne Vorurteil. Die russische Geschichte erscheint in konziser, praller Zusammenfassung, der wir mit Ausnahme einiger umstreitbarer Sätze über die Frühzeit durchaus beipflichten. Die neueste Entwicklung nach Stalins Tod ist berück-lichtigt und vor allem: die Literatur, auch in russischer Sprache, wird wenigstens zur Geschichte der Dichtung und der Kunst verzeichnet. Aehnlich steht, es bei Polen, wo ebenfalls die slawischen Hilfswerke genannt werden. Ein ausgezeichneter Artikel gilt Preußen. Portugal dünkt uns (auf Spalten) etwas zu sparsam bedacht. Sehr interessant und gut sind die lateinamerikanischen Staaten gewidmeten Schlagworte, zum Beispiel Panama und Peru. Von den Städteartikeln heben sich begreiflicherweise Paris (6 Spalten) und Rom (10 Spalten) heraus, beide wehlgelungen.

Großen geschichtlichen Stoff behandeln, neben den betreffenden Abschnitten der Länderartikel, vor allein die meisterhafte Ueberslcht über das Römische Reich, über dessen Recht, Religion, Dichtung und Kunst (19 Spalten, mit sorgsamen Literaturangaben), und über mehrere wichtige Kriege des Altertums (den Peloponnesischen, den Punischen, die Perserkriege). Wie stets im Großen Herder, nehmen die den Geist und den Stil einer Epoche kritisch bewältigenden, formschönen und tief ins Wesen vordringenden Ge-amtschauen auf ideenmäßig, lebensgestaltend und vom Künstlerisch-Dichterischen her wirkensträchtige Strömungen einen hervorragenden Platz ein. Diesmal beharren Renaissance und Romantik im Vordergrund. Die Philosophie wird in einem großartigen Panorama mit allen ihren entscheidenden Richtungen ichtbar, wobei der feste weltanschauliche Standort den Betrachter nicht daran hindert, frei auch auf die ihm widerstrebenden Denkensarten zu blicken. Den allgemeinen Artikel (4 Spalten) ergänzen in diesem Band nicht minder vortreffliche Einzeluntersuchungen über Pantheismus, Ferson. Phänomenologie, Positivismus, Psychologie, Rationalismus, Realismus, Rechtsphilosophie.

Daß theologische und sonstige kirchlich-religiöse Themen beim Herder gebührend beachtet werden, ist nicht erstaunlich. Immer wieder aber überrascht und entzückt uns die milde, vornehme Weise, mit der vom Katholizismus abweichende oder gar ihm tracks zuwiderlaufende Meinungen, deren Vertreter und die aus ebendiesen Ansichten quellenden Phänomene beurteilt werden. Man erprobe das an den beiden glänzenden Beispielen Protestantismus (5 Spalten) und Reformation (7 Spalten), wie am allgemeinen Artikel über Religion (dem wir nur reichere nichtdeutsche Literaturangaben gewünscht hätten). Musterhaft und für Katholiken wie für Andersgläubige (diesen zur Orientierung) gleich nützlich sind die sechs Spalten über Papst und Papsttum. Gerühmt seien aus dem Gebiet der Theologie und der Religionskunde außerdem die Schlagworte Patristik, Prädestination, Predigt, Priestertum, Propheten, Puritanismus, Religiöse Erziehung.

Die Politik tritt im siebenten Band eher zurück. Immerhin wären an Artikeln aus ihrem Stoffkreis besonders zu erwähnen: Panamerikanismus, Pan-slavismus — dieser als einer der wenigen unbefriedigenden —, Parlament, Partei — ebenfalls Vorbehalte —, Physiokratismus, Politik (gut), Recht (ausgezeichnet), Reich, Revolution. Schnell noch Beifall für die Artikel Roman, Plastik, Philologie und Romantik und wir beschließen die eilige Fahrt durch die Bezirke der Geisteswissenschaften im siebenten Band mit kurzem Aufenthalt bei den Biographien. Wiederum hätten wir, nicht anders als zu den vorigen Bänden, Ergänzungen anzumelden, Lücken zu beklagen. Das ist ja unvermeidbar. Für diesmal sei das aber, im Hinblick auf den uns zugemessenen Raum, aufgeschoben und für die Anzeige der noch fehlenden beiden Bände aufgehoben. Statt dessen beschäftigen wir uns nur mit dem. Vorhandenen. Die Palme geziemt unter den dargebotenen biographischen Notizen denen über den heiligen Paulus, über Plato, über Rilke und über lean-Iacques Rousseau. Zu loben sodann: Palestrina, Paracelsus, Pascal, Peguy, Perikles, Petrarca, Picasso (warum aber nichts von der „Friedenstaube“?), die bedeutenden Päpste des Namens Pius, Planck, Plotin, Puschkin, Rabelais, Racine, Rembrandt, Rimbaud, Rodin, Rolland (doch nichts über die im Alter vollzogene Rückkehr des Dichters zum Katholizismus), Rubens. Den Uebergang zu den Naturwissenschaften mag die vorzügliche Erörterung der Probleme der Rasse (4 Spalten) bilden. Einige zoologische und botanische Schlagworte ragen heraus: Palmen, Pferd (höchst anregend), Pflanzen, Reis, Rinder. Weitaus die stärkste Aufmerksamkeit aber erheischen und für die Masse der Benutzer des Großen Herder vermutlich am fesselndsten in diesem Bande sind die in ihrer Prägnanz in in ihrem Stoffreichtum schier unübertrefflichen Darstellungen au dem Sektor der modernen Physik und der davon unzertrennlichen mathematischen Probleme. Wir empfangen da kleine Monographien, denen man in jedem Satz als Verfasser Autoritäten hohen Ranges anmerkt. An die Spitze rücken wir die Artikel Quantentheorie (6 Spalten), Relativitätstheorie (6 Spalten), Radioaktivität (5 Spalten), Raketen (5 Spalten) und Rechenmaschine (4 Spalten, in denen auch die Elektronengehirne ihr Geheimnis enthüllen). Es folgen Physik (allgemeine Darstellung auf 5 Spalten), Photographie (6 Spalten), Röntgenstrahlen (5 Spalten). Zur Praxis hinüber lenkt die gut unterrichtete und gut unterrichtende. Zusammenfassung über den Rundfunk (6 Spalten). Von der Naturwissenschaft zur Wirtschaft hinüber greifen Würdigungen des Porzellans, des Papiers und des Phosphors, eigentlich auch, um mit einem betrüblichen zeitnahen Thema zu enden, der Panzer ...

Unser Lob für den vorliegenden Band wäre unvollständig, gedächten wir nicht auch der Bebilderung, die ihrerseits einen kaum überschreitbaren Gipfel der Vollkommenheit in der Reproduktion und ein Summarium des Geschmacks, der klugen Umsicht und der weisen Einsicht in der Auswahl erreicht. Die herrlichen farbigen Wiedergaben charakteristischer Gemälde Degas', Menzels (zum Schlagwort Pasteil), Raffaels, Riberas. Richters, Rembrandts, Rubens', Runges und die der Reichsinsignien, die wunderschönen bunten Tierbilder — Papageien, Paradiesvögel, Prachtfinken, Webervögel — müssen jeden Beschauer entzücken. Daß ein Gleiches für die abstrusen und nur als Dokument beachtlichen Schaffensproben Picassos zuträfe (der Besseres, wenn auch nicht Typischeres zu bieten hat), möchten wir kaum behaupten. Reichen Bildstoff gewähren nicht minder die einfarbigen Drucke, so über Persische Kunst, Portugal, Prag, Rassen. Raumkunst, Renaissance, Riemenschneider, Romantik, Rundfunk. Der prächtigen Landkarten sei nicht vergessen.

Bernhard von Clairvaux: Die Botschaft der Freude. Texte über Askese, Gebet und Liebe. Benziger-Verlag, Einsiedeln. 280 Seiten.

Die Sammlung geistlicher Texte, „Licht vom Licht“, herausgegeben von Xavicr von Hornstein und Maximilian Roesle, in der auch der vorliegende Band erschienen ist, zeichnet sich durch sorgfältigste innere und äußere Gestaltung aus. Es sind schmucke Bändchen, betreut von Autoren ersten Ranges. Auswahl und Einleitung dieser Blütenlese aus Bernhard von Clairvaux hat J. Leclercq besorgt, selbst Mönch in Clairvaux, einer der hervorragendsten Bernhardforscher unserer Zeit, die Uebertragung ins Deutsche besorgten Mönche der Zisterzienserabtei Wettingen-

Mehrerau. Hiermit wurden alle Vorbedingungen geschaffen, um das Werk des großen Zisterziensers und Führers der mittelalterlichen Christenheit für die Gegenwart zum Strahlen zu bringen. Bernhards Sekretär, Gottfried von Auxerre, hat den Seelenzustand des großen Heiligen mit einem bernhardinischen Wort gezeichnet als „jueunda devotio“, als Frohsein in Gött. Einer Zeit, die, wie die Gegenwart, oft in trockenen, unlustigen, verkrampften Versuchen, sich an Gott heranzudenken und anzuempfinden, befangen ist, wTrd die hier vorgelegte Sammlung bernhardinischer Texte eine gediegene körnige Einführung in ein echtes Gebetsleben, in das Atmen mit Gott, lehren können, unter dem Leitwort „Suche Gott in der Freude“ (S. 181). Der Mensch der Gegenwart braucht nichts so notwendig wie Substanzsammlung, Substanzgewinnung: dazu hilft ihm der christliche Realismus Bernhards, der zeigt, „wie Gott unsere Armseligkeiten zu unserem Heil gedeihen läßt“ (S. 50 f.), wie Glaube, Hoffnung und Liebe (sie läßt Gottes Gegenwart in der Seele erleben, S. 187 f.) in der Gött offenen Seele wachsen, und, als reife Frucht die Liebe zu Gott und zum Nächsten gewonnen wird. — Dieses Bändchen ist ein Vademekum, ein treuer Gefährte für das tägliche Leben, nicht nur für Ordensleute und Kleriker, die sich entkrampfen wollen, sondern auch für Weltmenschen, die mitten in der Unruhe ihres Tageslebens den Frieden suchen.

Univ.-Doz. Dr. Friedrich Heer

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