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Der Streit um die „Türkenmesse“

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Es ist wohl ein seltener Fall, daß zwei Wiener Lokalstudien, die bei allem historischen Kolorit letzten Endes doch einem anderen Ziele zustreben (sie sind beide als sehr brauchbare „Führer“ für Fremde und Einheimische anzusprechen), in einem Punkte wie zwei gelehrte Streitschriften des 16. Jahrhunderts aneinandergeraten. Das Streitobjekt ist allerdings des temperamentvollen „Kampfes“ durchaus würdig, geht es doch um die alte Frage: Haben die denkwürdige Marco-dAviano-Messe und der Kriegsrat der Führer des Entsatzungsheeres am Morgen des 12. September 1683 am (heute so benannten) Kahlenberg oder am Leopoldsberg stattgefunden?

Die Leopoldsberg-These ist durch V. O. Ludwig bereits früher (1939 und 1949) und nunmehr wieder (a. a. O., S. 10 und 15) vertreten. Guido Panek (a. a. O., S. 39 ff.) hat dagegen einzuwenden: 1. Die Kahlenberg-These, belegt schon 1683 durch Sobieski, seinen 16jährigen Sohn Prinz Jakob und den in Sobieskis Diensten stehenden französischen Ingenieur Dupont, aber auch noch weitergeführt bis Victor v. Rehner (1883), Reinhold Lorenz, Max Vancsa und Oswald Redlich, habe durch V. O. Ludwig ernsthaft nicht ersdiüttert werden können. 2. Unter den von V. O. Ludwig angeführten zeitgenössischen Gewährsmännern der Leopoldsberg-These seien zwei, der Botschafter von Venedig (Bericht an den venezianischen Staat) und der Nuntius am Wiener Hofe, Kardinal Buonvisi (Bericht vom 12. Oktober 1683 aus Linz an den Kardinalstaatssekretär Cybo) zur kritischen Zeit gleichsam weit vom Schuß gewesen, die dritte, bestimmteste Quelle aber („Relation oder eigentliche Beschreibung der EntSatzung“, gedrückt 1683, zitiert, aber selbst angezweifelt von Victor v. Renner: „Wien im Jahre 1683“, erschienen Wien 1833) sei anonym und daher von mangelnder Autorität. 3. In den meisten zeitgenössischen Quellen sei zu lesen, daß Messe und Kriegsrat im abgebrannten Kamaldulenserkloster stattgefunden haben; eine Kamaldulenser-eremie aber habe nur an Stelle der heutigen Kahlenbergkirche und niemals der heutigen Leopoldskirche gestanden. 4. Sdion Victor v. Renner habe darauf hingewiesen, daß der Kriegsrat unmöglich auf dem linken Armeeflügel, sondern „im Zentrum der ganzen Aufsteilung, im Hauptquartier des geistigen Führers“ (Karl v. Lothringen) getagt haben müsse. 5. Aus zwei Spenden an die Kahlenbergkirche durch den ßäpstlichen Nuntius in Wien (1852) und Papst Pius X. (1907), die letztere mit der Stiftung eines vollkommenen Ablasses verbunden, beide mit ausdrücklichen Hinweisen auf die historische Messe auf dem Kahlenberg, gehe hervor, daß auch diese hohen und höchsten kirchlichen Autoritäten den historischen Tatbestand untersucht und zugunsten der Kahlenberg-Lesart entschieden haben.

Guido Paneks Argumente sind also gewichtig, und nach dem zweiten „Waffengange“, den sein Kahlenbergführer in der wieder entflammten Türkenmesse-Frage darstellt, scheint sich der Sieg endgültig der Kahlenberg-These zuzuneigen. Man muß

allerdings noch abwarten, was V. O. Ludwig auf Paneks Beweisgründe zu erwidern hat.

Verdienstlich neues Material haben in den erwähnten Veröffentlichungen beide Autoren zur Geschichte der zwei Wiener Heiligtümer beigebracht. Vor allem ist durch diese fruchtbare Diskussion in keiner Weise dem lobenswerten Bestreben Rektor Ludwigs Abbruch getan: nach der Wiederherstellung der bombenbeschädigten Kirche auf dem Leopoldsberg in ihrer unmittelbaren Nähe ein würdiges Heimkehrermahnmal als österreichische Weihestätte zu errichten.

So mag denn dieser übrigens mit vorbildlicher Sachlichkeit und Fairness geführte Streit neben seinem unmittelbaren Ziel der historischen Wahrheitsfindung noch ein Gutes haben: er lenkt den Blick des Volkes wieder auf die gekrönten historischen Hügel von Wien und die Wunden ihrer Heiligtümer. Mögen sich diese durch ein großzügiges Friedensopfer der Bevölkerung baldigst schließen.

Erläuterungen zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer. II. Abteilung: Die Kirchen- und Grafschaftskarte, 3. Teil: Burgenland. Von Josef Karl H o m m a. 4. Teil: Steiermark II. Von Hans Pircheggen Verlag von Adolf Holzhau6ens Nachfolger, Wien. 64 und 27 Seiten.

Die Geschichte der kirchlichen Einteilung der Ostalpenländer und ihre Gliederung in Grafschaften darzustellen, in Wort und auf der Karte, war die zweite Hauptaufgabe der „Atlaskommis6ion“ der Akademie der Wissenschaften in Wien. Zu den bereits 1940 erschienenen zwei Karten: „Kirchliche Einteilung der ehemaligen Steiermark vor 1218“ und „Marken und Grafschaften bis 1215“ und der 1951 veröffentlichten „Pfarr- und Diözesan-karte von Osterreich“, bilden die jeweiligen Erläuterungen den geschichtlichen Aufriß. J. K. Homma gibt nach einem Uberblick über die wichtigsten Quellen eine kurze Darstellung der Entwicklung der kirchlichen Organisation im burgenländischen Raum von den kirchlichen Anfängen bis zur Jetztzeit. Der Hauptteil der Untersuchung umfaßt eine kurze Darstellung aller Pfarren des Landes um das Jahr 1750, ihrer Patrozinien und Patronate sowie ihrer Herrschaftszugehörigkeit, ihrer Veränderungen und schließlich ihrer Aufgliederung in Tochterpfarren nach 1750. Eine tabellarische Übersicht über die ältesten Mutterpfarren im Burgenland und ihrer Filialgründungen beschließt diese unentbehrliche Grundlage für weitere Forschung auf dem Gebiete der Kirchengeschichte des Landes.

H. Pirchegger bietet im 4. Teil: Steiermark II, nebst einem geschichtlichen Uberblick der kirchlichen Entwicklung der heuligen Steiermark, unter Heranziehung der neuesten Literatur nach 1940, vornehmlich die notwendig gewordenen Nachträge und Berichtigungen zu seinen Erläuterungen: Die kirdilidie Einteilung der Steiermark vor 1783 und die Grafschaften der Steiermark im Hochmittelalter (erschienen im gleichen Verlag 1940 „Erläuterungen Steiermark 1“, 215 Saiten). Zu den Berichtigungen Seite 22 wäre noch nachzutragen, daß die 1490 von Propst Dürnberger ausgestattete Kapelle im Schlosse Dürnberg zur Pfarre des hl. Jakob zu Seckau, ebenso die im Jahre 1660 unter Propst Maximilian Ernst von Gleispach errichtete Hochalmkirche Maria-Schnee gehört haben und nicht zu den Filialen von St. Marein bei Prank. Seite 67 Erläuterungen Steiermark 1, Z. 5—7 v. o. Schloß Dürnberg kam nach Ausweis des Seckauer Taufbuches erst im 18. Jahrhundert zur Pfarre Köbenz. Vergleiche auch P. Pius Widerhofer, Seckauer Wallfahrtsbüchlein, 2. Aufl., 1925, Seite 9.

Dr. P. Benno Roth O. S. B., Seckau

Politische Bildung. Schriftenreihe der Hochschule für Politische Wissenschaften, München. Isarverlag, München.

Der vorliegende erste Band dieser Schriftenreihe umfaßt zehn an der genannten Hochschule gehaltene Vorlesungen oder Vorträge über Themen wie „Grundtatsachen und Grundbegriffe der Demokratie“, „Die Bildung sozialer Gruppen“, „Die Problematik des deutschen Parlamentarismus“, „Staatsinteressen im öffentlichen Leben“ und andere Gegenstände, von deren Wesen und fundamentaler Bedeutung für den Aufbau des neuen deutschen Staates sicherlich ein sehr großer Teil des deutschen Volkes keine richtige Vorstellung besitzt und, nach zwölf Jahren nazistischer Diktatur, auch kaum besitzen kann. Obwohl in erster Linie für die Deutschen bestimmt, sind die hier gesammelten Arbeiten audi in anderen Ländern der Beachtung wert und jedem politisch Interessierten zum Studium zu empfehlen. Einer Korrektur, in dem einen oder anderen Punkt, bedarf lediglich die sonst ausgezeichnete Abhandlung Werner Friedmanns über „Presse und öffentliche Meinung“. Es ist wohl nicht angängig, bei einer Besprechung dieses Themas den intensiven Propagandafeldzug, den ein gewisser Teil der westdeutschen Presse aus parteipolitischen Gründen zur Irreführung der Öffentlichkeit etwa in den Fragen der Kollektivschuld, oder einer deutschen Teilnahme an der Verteidigung Europas, unternommen hat, einfach als eine „Wechselwirkung“ zwischen Presse und öffentlicher Meinung zu registrieren. Kurt Strachwitz

Russische Rechtsgeschichte. Von Lothar Schultz. Verlag von Moritz Schauenburg in Lahr.

Tausend Jahre russischer Rechtsgeschichte auf 340 Seiten darzustellen, zwingt, selbst wenn die Geschichte des Rechts der nichtrussischen Völker, der Armenier, Georgier usw., weggelassen wird, zu Verallgemeinerungen und summarischen Urteilen, wo- ein weiteres Ausholen, eine genauere Formulierung angezeigt gewesen wäre. Am besten gelhngen sind zweifellos die Abschnitte über das Kaiserreich, die absolutistische wie konstitutionelle Monarchie, deren Einrichtungen und Rechtsschöpfungen klar dargestellt werden. In die Kapitel über die ältere Geschichte haben sich leider einige Irrtümer und Unklarheiten eingeschlichen, etwa in der Darstellung des „mir“, der russischen Dorfgemeinschaft. Fast ein Viertel des Werkes ist der Zeit seit 1917 gewidmet. Ein Vorzug des Werkes, das auch das Staatskirchenrecht einbezieht, ist seine übersichtliche Gliederung und die auch für Nichtjuristen lesbare Darstellung.

Dr. Helmut Siapnicka

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