6599581-1953_29_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Sturm auf die Dreifaltigkeit-Schanzen

Werbung
Werbung
Werbung

In seinem großartigen Ideendrama „Die Ungöttliche Komödie“ hat der polnische Dichter Zygmunt Krasinski mit seherischer Gewalt den Kampf geschildert, den der politisch auf die revolutionären Massen sich stützende atheistische Materialismus und der mit den Kräften des Beharrens verbündete Katholizismus einander liefern würden. Mehr als ein Jahrhundert, bevor dieses gigantische Ringen der Geister in seinem Vaterlande Wirklichkeit wurde, hat es der geniale Romantiker vorhergesagt. Befand er sich aber im Recht, als er ohneweiters die Gegenüberstellung vornahm: hier die alt-geheiligte Ordnung, gründend auf den Säulen von Thron und Altar, auf der Hierarchie, dem Adel und dem Besitz, dort die Umstürzler aus den breiten Massen? Man darf auch nicht den tiefen Pessimismus übersehen, den der Hocharistokrat, mit seinen Sympathien völlig auf Seiten der unterliegenden Sache des Ancien regime, bezeigt: seine Standesgenossen gehen heldisch oder töricht zugrunde, auf den Schanzen der Dreifaltigkeit, ihrem letzten Widerstandszentrum, von erdrückender Uebermacht vernichtet. Und der aufgepappte Schluß, des Volksführers Apostataruf an den in den Wolken erscheinenden Christus „Du hast gesiegt, Galiläer“, täuscht nicht darüber, daß

Krasinski im natürlichen Bereich den Menschen seiner Welt und seiner Gesellschaftsordnung den Untergang weissagte.

Ist es ein Symbol, oder mehr als das, wenn ein Nachfahre des gräflichen Dichters, An-drzej Krasinski, jetzt in Polen zu den eifrigsten Vorkämpfern eines erneuerten Katholizismus gehört, der den wesenhaften Zusammenhang von Kirche und Bourgeoisie, Kapitalismus, Reaktion — oder wie man die den Kommunisten verhaßten Gesamtheiten nennen mag — leugnet, der ein enges Bündnis zwischen Christentum und Marxismus predigt und der in der konkreten polnischen Wirklichkeit den Episkopat, den Klerus und die Gläubigen zu gefügigen und überzeugten Anhängern der sowjetisch gelenkten Volksdemokratie machen will? In Polen gehen jetzt große Dinge vor, denen man im Westen mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, obzwar sie gemeinhin nicht auf „front-pages“ erscheinen. Der Kommunismus unternimmt einen Generalangriff gegen die stärkste Feste seiner entschlossensten Widersacher und findet dabei den Beistand wachsender „fünfter Kolonnen“, die er im geistigen Raum des polnischen Katholizismus, wir sagen nicht für sich, doch zur Mitarbeit und also für seine Endziele gewonnen hat. Das und die jüngsten Stadien dieser Vorgänge sollen hier berichtet werden.

Bis zum Jahre 1950 war es den Bemühungen des Regimes nicht gelungen, in ähnlicher Weise wie in der Tschechoslowakei und teilweise in Ungarn, sei es einen Keil zwischen Laien und Geistliche, sei es zwischen niederen Klerus und Episkopat zu treiben. Nur vereinzelte Priester, vorab Militärseelsorger, hatten sich für das Regime erklärt. Anderseits war dieses bis zum endgültigen

Sturz Gomulkas und dem entscheidenden Umschwung in der zweiten Jahreshälfte 1948 bestrebt gewesen, nicht etwa den Katholizismus zu spalten, sondern mit dessen berufenen Führern, den Bischöfen, ein gutes Verhältnis herzustellen; man suchte auch mit Rom diplomatische Beziehungen anzuknüpfen. Das änderte sich gründlich, seit der hundertprozentig moskowitische Kurs allein maßgebend wurde. Nun sollte in Polen das gleiche Programm verwirklicht werden wie in den anderen Satellitenstaaten: es galt, die Hierarchie von Rom zu trennen, beziehungsweise — und da dies nicht ging — die Mehrheit der niederen Geistlichkeit durch Druck, materielle Zugeständnisse und den Appell sowohl an national-patriotische als auch an allgemein-ethische — Friedenspropaganda! — und soziale Gefühle und die Laien, vor allem die Intellektuellen, mit dem Episkopat und dem „reaktionären Teil des Klerus“ zu überwerfen.

Die Bischöfe waren sich der Gefahr wohl bewußt. Sie ließen sich deshalb zu jenem Modus vivendi vom 14. April 1950 herbei, der fast nur dem Staat Konzessionen sicherte; sie billigten die Einbeziehung der von Deutschland abgetrennten Gebiete in die polnische Kirchenverwaltung und sie gingen bis an die Grenze des Möglichen, indem sie vor jeder Gemeinschaft mit den aktiven Gegnern des Regimes abrieten, Stimmpflicht für die Wahlen und damit praktisch den Eintritt für die offizielle Einheitsliste verkündeten, ja sogar die eigenmächtig von den weltlichen Behörden nach Verhaftung oder Internierung mißliebiger Bischöfe erzwungenen Wahlen von Kapitelvikaren bestätigten. Doch das nützte alles nichts. Auch die geduldige Haltung des einzigen noch mit der Hierarchie in Kontakt gebliebenen Wochenblatts, des „Tygodnik Powszechny“, genügte nicht. Man suchte auf der Regierungsseite den Konflikt und man entfachte ihn einseitig immer wieder aufs neue.

Da waren zunächst die Prozesse gegen die Geistlichen: als amerikanische Spione, als Spießgesellen der Untergrundbewegung,

als Devisenverbrecher, als Hehler nationalisierten, einst den Magnaten gehörigen Gutes. Es folgten die Verhaftung des Erzbischofs Baziak, der nach Kardinal Sapiehas Tod die Krakauer Erzdiözese leitete, die Internierung des Kattowitzer — Verzeihung: Stalino-groder — Bischofs Adamski und seiner Weihbischöfe. Schließlich wurde durch ein Dekret vom 10. Februar 1953 die Neuernennung zu geistlichen Würden von der Genehmigung seitens der weltlichen Behörden abhängig gemacht; die bisherigen Angehörigen des Klerus aber mußten den Treueid auf die Volksdemokratie und auf deren Verfassung vom 22. Juli 1952 ablegen, was im Rahmen von großen Feierlichkeiten Mitte April geschah. Der Episkopat hatte lange zugesehen; er erhob erst sehr zurückhaltend Protest, als sich die staatlicherseits genährte Bewegung jener offen zum Marxismus neigenden Katholiken immer stärker rührte. Schon seit dem Jahre 1945 bestand in Polen eine Gruppe junger Intellektueller, meist sehr vornehmer Abkunft, die eine Wochenschrift „Dzis i Jutro“ (Heute und Morgen) herausgeben und die seit 1947 auch eine Tageszeitung — derzeit die einzige sich katholisch nennende — „Slowo Powszechnc“ (Allgemeines Wort) veröffentlichen. Ihr Verlagsunternehmen „Pax“ hat sich schnell entwickelt; es bringt einerseits die Bibelübersetzung Professor Dbrowski in einer fünfstelligen Auflagenhöhe, dann theologische und literarische Werke, anderseits Tendenzprosa der Kollaboranten heraus. Die Hierarchie hat sich anfangs von dieser Gruppe distanziert und vor ihr gewarnt, dann sie gewähren lassen. Vor etwa Jahresfrist wurde sie durch den Sekretär der Bischofskonferenz, Msgr. Choromanski, behutsam zur Vorsicht gemahnt. Das rief einen Entrüstungssturm der Kommunisten hervor. Nunmehr aber begaben sich diese Männer — aus deren Mitte mehrere Abgeordnete zum Sejm; entsandt wurden —, darunter der bei allen Anlässen an der Seite der führenden Kommunisten mitgeschleppte Horodynski, auf den Kriegspfad gegen den Episkopat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung