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Der Talmud im Staate

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Israels kampflustiger Religionsminister Rabbi Maimon hat wieder einmal, zum x-ten Male, eine Kabinettsitzung protestierend verlassen. Die Regierungskoalition der Rechten Sozialisten mit dem Religiösen Block scheint wieder einmal bedroht. Die letzte Ursache bildet das allumfassende Ritualgesetz des Talmuds, dessen konsequente Durchführung sich von Tag zu Tag als unmöglich erweist. Die Frage ist, mit anderen Worten, ob Israel im Sinne der Thora oder im Sinne eines bürgerlichen Gesetzbuches regiert werden soll. Wenn die Thora als Staatsgrundgesetz verlangt wird, ist damit der Talmud gemeint, in dem die einfachen biblischen Vorschriften zu einem Kodex ausgebaut sind, der das tägliche Leben bis in die kleinsten Details erfaßt.

Die drei Grundforderungen des „Religiösen Blocks“ betreffen die Art der Sabbathheiligung, die Speisegesetze und die Regelung des Zivilstandes. Die gegenwärtige Kabinettskrise brach wegen der Fleischeinfuhr aus. Die letzte wurde dadurch hervorgerufen, daß man ein paar Kindern aus dem Yemen bei der Generalreinigung die Schläfenlocken gekürzt hatte ... Die nun geforderten Sabbath-.gesetze würden das Rauchen einer Zigarette am Ruhetag, das Benutzen eines Fahrzeuges zu strafbaren Vergehen machen. Der gesamte Verkehr im Lande, Eisenbahn und Autobus, ist bereits am siebenten Tage stillgelegt. Reservisten, die den Ruhetag zu militärischen Übungen verwenden müssen, sieht man stundenlang dieselben tausend Schritte hin und her marschieren, weil tausend Schritte den erlaubten „Sabbathweg“ darstellen.

Die Durchführung der Speisegesetze hat Israel praktisch zu einem Staat von Vegetarianern gemacht. Der Religiöse Block verhindert die Einfuhr von amerikanischem Surplus-Büchsenfleisch zu erschwinglichen Preisen. Da die Schäch-tungsgebühren zu den wichtigsten Einkünften des Kultusbudgets gehören, wird die rituelle Reinheit von geschächtetem Gefrierfleisch angezweifelt. Zwischen dem Oberrabiner Israels und seinen Amtsbrüdern in Polen und Argentinien sind deshalb Konflikte ausgebrochen. Die Einfuhr lebenden Schlachtviehs ist teuer und unrationell, da die Tiere (mangels Futter) vor der Schlachtung nicht aufgefüttert werden können. So kommt es, daß Fleisch nur am Donnerstag, teuer, unregelmäßig und in schlechter Qualität, erhältlich ist.

Für die rabbinische Regelung des Zivilstandes sind mittelalterliche Gebräuche gesetzlich vorgeschrieben: Wenn eine Witwe sich wieder verheiraten will, muß ihr Schwager, selbst wenn er verheiratet ist, unter sonderbaren Zeremonien von der Verpflichtung zur Leviratsehe (der Ehe mit der Schwägerin) entbunden werden. Die medizinische Schule der hebräischen Universität befindet sich in ernsten Schwierigkeiten, weil das Religionsministerium gegen Sektionen Einspruch erhebt. Ebenso sind mehrfach archäologische Forschungen in Israel zum Stillstand gelangt, weil das Religionsministerium darauf besteht, daß antike Grabstätten nicht erschlossen werden.

Das Religionsministerium beschränkt •ich aber keineswegs darauf, die Durchführung tausendjährigen Brauchtums durchzusetzen. Eine eigene „Abteilung für religiöse Atmosphäre“ wurde geschaffen, die auf die Übernahme von Zeremonien bedacht ist, die bisher nur in weltverschlagenen Gegenden geübt wurden. Auch in den Kreisen der konservativen Orthodoxie erregt es ernste Bedenken, daß man jemenitische Rabbiner in Höhlengräbern psalmodieren läßt und für die Eröffnung der neuen Wasserleitung die Wiederbelebung des „Wassergutopfers“ vorgeschlagen wird,

Ein bedeutender Teil des Bestandes an alten Wiener Bürgerhäusern ist dem Kriege zum Opfer gefallen; ein weiterer ging zugrunde, weil er, durch die Bomben beschädigt, nicht mehr zeitgerechter Pflege und Restaurierung zugeführt werden konnte. Oftmals wurden Altfaäuser von privaten und selbst von öffentlichen Stellen angekauft — und zwar nur zum Zwecke der Baugrunderwerbung und Demolierung] Man ließ diese Häuser, ohne die geringsten Investitionen zu machen, so lange bewohnen, als es irgend anging — bis ie eines Tages demolle-rungsreif waren und niedergerissen werden konnten. Auf diese Weise sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Bauten — auch Wohnhäuser, die noch zu retten gewesen wären — zerstört worden. Andererseits herrschen heute in manchen malerischen Altstadtvierteln — etwa 'n jenem, das zwischen Jesuitenkirche und Heiligenkreuzer Hof liegt — katastrophale das schon zur Zeit des zweiten Tempels als heidnisch abgeschafft waT.

Man würde fehlgehen, wenn man die Abneigung der Bevölkerung gegen die orthodoxe Rabbinerkaste, den Standpunkt des Religionsministeriums, der nur von den arabischen und nordafrikanischen Neueinwanderern gestützt wird, dem Atheismus der Mehrheit zuschreiben würde. Was diese Mehrheit ablehnt, sind die ununterbrochenen Eingriffe der Rabbinate in fast alle Sparten des täglichen Alltagslebens. Es bleibt der peinliche Zustand, daß der „Religiöse Block“ (der siebzehn Prozent der Wähler Israels vertritt) in der Koalition unentbehrlich ist und jederzeit eine Kabinettskrise hervorrufen kann.

Wohnverhältnisse: hinter reizvollen Fassaden sind die Wohnungen verwohnt und ungepflegt und fehlt oft selbst die Kanalisation; besonders schlimm ist es in solchen Fällen gewöhnlich mit den Hoftrakten bestellt; im Lauf der Jahrzehnte wurden die Höfe durch Einbauten entstellt und in luft- und lichtlose Winkel verwandelt. Diesen Verhältnissen ist es — neben den Kriegsschäden — zuzuschreiben, wenn einer der ehemaligen Vororte Wiens, das „Lichtental“, nicht länger mehr erhalten werden kann und seine pittoresken Althäuser abgetragen werden müssen, um modernen Wohnbauten mit hoher Stockwerkzahl Platz zu machen. Die Dnkmalpflegestellen sind bestrebt, dort wenigstens im engsten Kreis der Lichtentaler Pfarrkirche, des Wirkungsortes Franz Schuberts, die Erinnerung an dieses eigenartige Wiener Stadtviertel wachzuhalten. Ähnliche Sorgen bereiten ihnen die

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