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Der Tod an der Friedensfront

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In der Woche zwischen dem Weih- nachtsfest und dem Beginn des neuen Jahres, in jener seltsamen, gewissermaßen zeitlosen Woche eines Jahres, überschwemmte eine Welle von Optimismus die Welt. Die Waffen ruhten an allen den gefährlichen Brennpunkten, aus denen täglich ein großes, alles verzehrendes Feuer werden kann.

Die Waffen ruhten in Vietnam wie in Kaschmir. Die Welt rätselte zunächst noch um das Zögern der amerikanischen Flugwaffe herum, die die Bombenangriffe überraschend eingestellt hatte, bis schließlich bekannt wurde, daß die USA ernsthaft Friedensfühler ausstreckten. Die Angriffe freilich sind inzwischen wieder aufgenommen worden, trotzdem ist die Tür noch nicht ganz zu- geworfen: auch der Vietkong sucht Frieden, basierend allerdings auf vier Punkten, von denen aber zu- mindestens einer für Südvietnam und dessen Verbündeten nicht annehmbar sein wird. Das angebliche Ablenkungsmanöver, als welches die Bestrebungen Präsident Johnsons, endlich Frieden in dem täglich blutiger und grausamer werdenden Dschungelkampf zu schließen, verschiedentlich gedeutet wurden, ist für Washington heute die einzige Alternative, will man die Ausweitung zu einem allgemeinen Landkrieg verhindern. Der angesehehe amerikanische Kommentator Walter Lipp- man war es, der als erster aussprach, was sich immer deutlicher afozuzeicbnen beginnt, daß nämlich der Vietnam-Feldzug beängstigende Ähnlichkeit mit Napoleons und Hitlers Zug nach Rußland aufweist, eine Ähnlichkeit, deren sich auch der Präsident durchaus bewußt sein dürfte. Die pessimistischen Schlüsse, die aus dem Bericht des Senators Mike Mansfield über seine Reise nach Saigon gezogen werden können, werden zweifellos in der traditionellen „state-of-the-union”-Botscha£t — von der „Neuen Zürcher Zeitung” treffender als „state-of-the-world”- Botschaft bezeichnet — eine große Rolle spielen. Gewiß: Der Senator hat schon immer zu den Warnern vor einem Engagement der USA in Indochina gehört, schon vor zwei Jahren, als er im Aufträge John Kennedys ebenfalls die Situation in Vietnam sondierte. Daß die freilich düsterer denn je ist, wird deutlich, vergleicht man beide Berichte miteinander.

Die sowjetisch-nordvietnamesisehen Gespräche in Hanoi haben wohl ebenfalls den Zweck, Friedeinsversuche zu ventilieren, wenn auch unter heftiger und massiver Verurteilung der „amerikanischen Einschüchterungsversuche des vietnamesischen Volkes”. Die Zusicherung verstärkter sowjetischer Hilfe, die Scheljepin, Mitglied des Präisidiums und Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, seinen nordvietnamesischen Gesprächspartnern machte, erfolgte gerac • in dem Augenblick, da sich der Schatten Rotchinas immer tiefer auf den Dschun- gelkriag senkt. Hanoi und der Viet- kong werden, bei fortschreitender Ausdehnung des Krieges, immer mehr von der rotchinesischen Hilfe abhängig — schon deshalb die bemerkenswerte Zusicherung verstärkter Sowjetunterstützunig.

Gerade der weit mehr als moralische Beistand Pekings ist es aber, der einem eventuell friedensbereiten Hanoi schließlich doch die Hände bindet. Im Mansfield-Bericht Ist diese Möglichkeit ebenfalls angedeutet, nur stellt Mansfield außerdem noch fest, daß der Vietkong wahrscheinlich schon heute nicht mehr ohne stillschweigende Zustimmung der Chinesen verhandeln könnte. Deshalb sucht Moskau wohl das Gleichgewicht der Hanoi unterstützenden Kräfte halbwegs herzustellen, hütet sich jedoch zweifellos, die Rolle des Friedensstifters zu spielen.

Und Rotchina wie Nordvietnam zeigten sich jedem tastenden Friedensfühler bisher ziemlich eisig, um so mehr, als sich Nordvietnam bereits zweimal seit 1945 geprellt fühlt, nämlich

1945, als die Japaner wiederum von den alten französischen Kolonialherren abgelöst wurden, und

1954, als das Abkommen von Genf eine Volksabstimmung in beiden Teilen des Landes vorsah, die bisher jedoch noch nicht durchgeführt wurde.

Das Angebot des Heiligen Vaters, jederzeit als Vermittler im — freilich ungenannt gebliebenen — Vietnamkonflikt aufzutreten, verhallte. Es verhallte ebenso wie das des ägyptischen Marschalls Nasser. Und so kommt nun die Entscheidung unausweichlich auf Johnson zu, den Krieg auszudehnen; eine Entscheidung, die ähnliche Tragweite haben könnte wie die des Krawattenverkäufers, eine neue, furchterregende Waffe einzusetzen: als Harry S. Truman den Befehl zum Abwurf der ersten Atombomfoe gab…

An einem anderen heiß umkämpften Punkt Asiens trat die Sowjetunion mit Erfolg als Vermittler auf: die Konferenz von Taschkent sah einen Alexej Kossygin, der stolz darauf war, die Oberhäupter zweier einander bekriegender Staaten an einen Tisch gebracht zu haben, zwei Erzfeinde, die Krieg geführt hatten, ohne einander den Krieg erklärt zu haben.

Das Photo ist inzwischen um die Welt gegangen: ein Fenster, mit einem weißen Vorhang verhüllt, dahinter die Silhouette des kleinen Inders und des in Sandhurst erzogenen Feldmarschalls. Einige Zeit sah es so aus, als wäre das Debüt der Sowjetunion als große, friedens- urnd ordnumgsstiftende Macht in Asien zum Scheitern verurteilt. Zu groß schienen anfangs die Gegensätze, die die Verhandlungspartner von Taschkent trennten. „Geduldig aß Alexej Kossygin das harte Brot des Vermittlers”, kommentierte der „Spiegel” die endlich doch gelungene Aktion: Die ersten Ansätze zur Einigung waren da. Da griff der Tod ein, Indiens Ministerpräsident starb mit den Worten „Mein Vater, mein Gott” auf den Lippen. Der erste Tote an der Friedensfront im heurigen Jahr. Nicht der erste seit 1945. Vor ihm haben viele Männer ihr Leben im Kampf an der Friedensfront gegeben, Männer wie Graf Bernadotte oder Dag Hammarskjöld.

Ist damit Rußlands unleugbarer Prestigeerfolg als Friedensstifter wieder ausgelöscht worden? Der neue Ministerpräsident Indiens, Nanda, versicherte, Indien werde das Abkommen von Taschkent ein- halten. Hanoi und Taschkent: zwei Brennpunkte weltpolitischen Geschehens der jüngsten Zeit. Ist es in Taschkent Rußland, das seine „guten Abichten” besonders deutlich zu demonstrieren sucht, so steht in Hanoi ebenso deutlich ein — noch — unsichtbarer Dritter hinter den sowj etisch-nordvietnamesischen Gesprächspartnern.

Der plötzliche Tod Shastris in Taschkent hat weltweit Aufsehen, Bestürzung und Trauer hervorgerufen, zugleich aber noch deutlicher den Scheinwerferkegel auf Pakistans Ayub Khan gerichtet, der nun — auch moralisch — als der große Besiegte der letzten Etappe des Kampfes um Kaschmir erscheint, sich offenbar von Rotchina, mit dessen Ermutigung er sich in das Abenteuer des Krieges gestürzt hat, verlassen sieht und es wahrscheinlich nicht wagen wird, das Abkommen von Taschkent zu brechen.

Zweifellos stellte das von Shastri und Ayub Khan Erreichte nur einen Anfang dar, eine Art Vorvertrag für ein Abkommen, das die Stabilität in diesem Teil Asiens wahrscheinlich auf lange Sicht garantiert hätte. Trotzdem: Der Erfolg der Sowjetunion in diesem Abschnitt der Friedensfront, an dem jetzt Waffenruhe eingetreten ist, ist für Scheljepin in Hanoi eine nicht unbeträchtliche Aufwertung.

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