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Der Tod des Poglavnik

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Die Nachricht, daß in einem Madrider Spital der Führer, das heißt der Poglavnik der radikalen kroatischen Nationalbewegung, Dr. Ante P a-v e 1 i c, gestorben ist, wird von der älteren Generation mit Interesse, von der jüngeren mit wenig oder gar keiner Anteilnahme aufgenommen werden. Unsere Zeit ist zu raschlebig, als daß sie das Wirken von Persönlichkeiten länger beschäftigt als es andauert. Das gilt erst recht dann, wenn es sich um einen Menschen handelt, der einem anderen Volk angehört, der einer uns fremden Idee diente und dessen Stern schon vor mehr als einem Jahrzehnt erloschen ist.

Pavelic wurde zu Bradina in der Herzegowina geboren, fühlte aber als Kroate und fand zum Serbentum niemals ein gemäßigtes Verhältnis. Nur das unruhige Wesen und die Neigung zum Radikalismus der Herzegovzen blieb in seinem Charakter zurück. Er studierte an den Universitäten von Agram, Graz und Wien und ergriff den Beruf eines Rechtsanwalts; wandte sich aber bald dem politischen Leben zu. 1889 geboren, fiel die Zeit seiner Ausbildung noch in die der Zugehörigkeit seiner kroatischen Heimat zur Habsburgermonarchie. Aber ihre staatsrechtliche Stellung war für den volksbewußten Kroaten unbefriedigend. Ein Teil des kroatischen Landesgebietes gehörte zu Ungarn, ein Teil zu den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern und der dritte bildete als eine Art gemeinsamer Reichsprovinz einen Verwaltungsbereich, des „gemeinsamen Finanzministeriums“. Kroatien und Slawonien hatten eine gewisse Autonomie innerhalb des Königreiches der heiligen ungarischen Krone mit dem Sabor als Volksvertretung in Zagreb. Dalmatien besaß den Stand eines österreichischen Kronlandes, und Bosnien und die Herzegowina mit Sarajewo und Mostar als hauptstädtische Mittelpunkte sollten nach der Annexionserklärung des Jahres 1908 durch Minister Aehrenthal zu neuen Gliedern der Monarchie werden, an deren selbständigen Bestand der Erzherzog Franz Ferdinand d'Este die Hoffnung knüpfte, dem Reich im sogenannten Trialismus eine neue Konstruktion geben zu können.

Geistig stand die Jugend Ante Pavelic' unter den Nachwirkungen der Bewegung, die Männer, wie Ljudevit Gaj, Graf Janko Draskovic und schließlich der Bischof Josip Juraj Stroßmayer ausgelöst hatten. Nur wollte sich Pavelic Von der „Romantik“ des alle südslawischen Stämme und Völker umfassenden Illyrismus frei halten. Er wollte Realpolitiker sein und dem kroatischen Volk unabhängig von den anderen südslawischen Stämmen seine aus der Geschichte ableitbare Eigenstaatlichkeit erkämpfen. Die Kroaten hatten nach der Revolution von 1848 große Hoffnungen in ihre Zukunft gesetzt. Aber selbst ein so loyaler Mann wie Petar Preradovic schrieb, die kroatische Renaissance erlebte in diesem Sturmjahr in Banus Jelafiic „einen kurzen Triumph; jedoch schon im kommenden Jahr legte sich des jungen Franz Josef Absolutismus wie ein Bahrtuch auf die nationalen Bestrebungen“ der Kroaten. Geistig regten sich damals viele starke Kräfte, so der Dichter Ivan Mazuranic, der Historiker Ivan K u k u 1-jeviC-Sakcinski und der Publizist August S e n o a. „Aber politisch blieb alles beim alten.“ Auch Persönlichkeiten wie Ante Starcevic konnten das politische Schicksal Kroatiens nicht wesentlich verändern. „Die kroatische Frage blieb“, um wieder Preradovic zu zitieren, „weiterhin hauptsächlich ein Objekt des Kräftespiels zwischen Wien und Budapest, eines Spieles, in dem Kroatien eine größtenteils passive Rolle darzustellen verurteilt war.“ Daran konnte auch die von Staröevic gegründete und geführte kroatische Staatsrechtspartei nichts ändern. Im Brausekopf Pavelic aber gärte der Gedanke des selbständigen Kroatenstaates fort und fort.

Nebenher hatte sich in der kroatischen politischen Bewegung eine große Wandlung vollzogen. Die Feudalen und die Bourgeois traten in den Hintergrund. Die Brüder Ante und Stjepan Radic hatten in ruhiger, aber um so beharrlicherer Arbeit eine Bauernpartei ins Leben gerufen, die unaufhaltsam das ganze Kroatentum durchdrang. Sie eroberte die Gesellschaft, die politische Führung und bald auch den Staat. Wäre die Führung in der Hand des leider zu früh verstorbenen Ante Radic verblieben, hätte die Geschichte der Landstriche zwischen Donau, Drina und Drau wohl eine andere Entwicklung genommen. Der radikale, unausgeglichene und oft schwankende Stjepan fand den Weg zur Verständigung mit dem Serbentum ebensowenig wie Trumbic. Er fiel von einem Extrem ins andere. Bald war ein republikanisches Regime sein Ziel, bald folgte er seinem Neffen Pavel Radic in die Regierung. Längst schon hatte sich zwischen Pavelic und dem Sekretär der Radic-Partei, M a c e k, eine tiefe Gegensätzlichkeit entwickelt. Als nun gar am .7. Jänner 1929 Pavelic als eines der beiden letzten Mitglieder der kroatischen Rechtspartei in der Skupstina Jugoslawien verließ, begann sein offener Kampf gegen den Bestand des einheitlichen jugoslawischen Staates, der nach Auffassung der kroatischen Emigration seine Daseinsberechtigung nach der Ermordung Stjepan Radic' in offener Sitzung der Skupstina durch Punisa Racic verloren hatte. .*

Jetzt schuf Pavelic aus der bloßen Abwehrbewegung der Domobrana, der Landwehr, eine terroristische Kampf Organisation: Ustasa, der Aufständische, genannt. Die IMRO, die innere mazedonische revolutionäre Organisation diente ihm dabei als Muster, ihr Chef. Vanöa Mihajloff, als Instruktor; in Italien au Borgotaro bei Parma, zu Vischetto bei Turin und in Olivetto bei Salerno errichtete Pavelic unter dem Schutze und mit den Mitteln Mussolinis ihre militärischen Ausbildungslager. War bisher Terror und Attentat ein Kampfmittel des revolutionären Serbentums, wurde es jetzt auch das dieser Gruppe der kroatischen Emigration. Attentate waren an der Tagesordnung. Die Ermordung König Aleksandars in Marseille beim Staatsbesuch in Frankreich, welchem Attentat auch der französische Außenminister Barthou zum Opfer fiel, ließ die Welt; aufhorchen,“ und sfe Muffte* sicn ' dalS * Sen J Namen Ante Pavelic zu.

Nur der großen Klugheit des Prinzregenten Paul K a r a d j e o r d j e v i c, des Bruders des ermordeten Königs, gelang es, die Existenz des jugoslawischen Staates aufrechtzuerhalten. Doch „Beruhigung“ konnte er nur im Innern des Landes schaffen. In der Emigration waren Vertrag von Korfu, Vidovdan-Verfas-sung, Sporazum und wie alle die jugoslavischen Staatskunststücke hießen, lächerliche Hausmittel aus Großvaters Vorzeit. Pavelic wollte die Lösreißung Kroatiens und seine völkerrechtliche Selbständigkeit. Radic hatte seine Hoffnungen auf die Demokratie gesetzt. Pavelic glaubte nicht an sie und suchte das Heil seines Volkes beim Faschismus.

Am 23. Jänner 1940 hatte Pavelic mit dem italienischen Außenminister, Graf C i a n o, Abmachungen getroffen, die der Verwirklichung seines Zieles dienen sollten. Als Ustasld Pog-lavnik, als Führer der Aufständischen, hatte er der kroatischen revolutionären Organisation die Aufgabe gestellt, „Kroatien vom fremden — das heißt serbischen — Joch zu befreien, damit es auf seinem ganzen völkischen und historischen Gebiet zu einem völlig selbständigen und unabhängigen Staat wird.“ Mur, Drau, Donau, Drina und Adria sollten seine natürlichen Grenzen sein. Der historische Siedlungsboden der Kroaten, der Kern des neuen Staates. So das Ideal. Die politische Realität forderte Einschränkungen. Nur mit Italiens Hilfe war Aussicht auf Erfolg. Italien aber forderte als Ergänzung des usurpierten Albaniens, dessen Krone Viktor Emanuel II. nun nach der Vertreibung König Achmed Zogus trug, Dalmatien. Pavelic erschrak, als ihm der Duce, Benito Mussolini, bei dem ersten Empfang, den er dem Poglavnik am 29. März 1941 gewährte, die Forderung präsentierte. Der schlaue Kroate vermeinte aber, sie paralysieren zu können, indem er antwortete, „Kroatien ist eine italienischkroatische Union“. Aber während Pavelic in Rom verhandelte, handelten seine Freunde in Agram. Der Offizier Slavko Kvaternik und der Schriftsteller Mile B u d a k proklamierten am 10. April über den Sender Agram die Neza-visna Drzava Hrvatska, den unabhängigen Staat Kroatien, in seinem Namen, und riefen Doktor Ante Pavelic zum Staatsführer aus. Ein gewagtes Experiment! Ob Hitler-Deutschland es billigt? Am 15. April 1941 erfolgte die Anerkennung des neuen Staates durch den „Führer“, am 16. April durch den Duce. Prinz Aimone von Savoyen, Herzog von Spoleto, sollte unter dem Namen Zvonimirs II. in Erinnerung an den 1076—1089 regierenden Kroatenkönig Demetrius Zvonimir den neuen Thron besteigen. — Er betrat niemals kroatischen Boden.

Denn schon am 8. September 1943 mußte nach dem Sturz des Faschismus in Italien die Monarchie abgeschafft werden. Das selbständige Kroatien wurde Republik. Pavelic beschränkte sich darauf, Staatsoberhaupt zu bleiben, und setzte in der Person des Dr. M a n d i c einen Ministerpräsidenten ein. Als gesetzgebende Versammlung wirkte wieder der historisch überlieferte Sabor. Doch“ die ganze Gründung blieb unnatürliche . Konstruktion. Die wirklichen Machtverhältnisse waren anders; sie lagen bei den Heeren der Achsenmächte einerseits und den Alliierten anderseits — nicht zuletzt bei den chaotischen Kräften in den Partisanengruppen, aus denen die „Armeen“ der Cetniki des serbischen Generals M i h a i 1 o v i c und des Kroaten Josip B r o z, genannt Tito, hervorgingen. Im Chaos ihrer Kampfhandlungen ging die junge Staatsschöpfung rasch wieder unter. Unendliche Opfer an Blut und Leben wurden im Streit zwischen Serben und Kroaten, Orthodoxen und Katholiken gebracht. Die Zahl der Hingemordeten ging in die Millionen.

Sicherlich ist Ante Pavelic daran nicht der Alleinschuldige, doch gewiß ist seine Person die Quelle der kriminellen Züge in der kroatischen nationalen Volksbewegung des 20. Jahrhunderts gewesen, wie sie Frick, Himmler und Heydrich im deutschen Nationalsozialismus waren. Ihre Ursache aber war der verhängnisvolle Abfall Ante Pavelic, des einstigen Katholiken, zu jenem heidnischen Nationalismus, den er am Serbentum bekämpfte, im eigenen Volk aber züchtete. In diesem Irrtum verpfuschte er sein Leben und auf geraume Zeit das der Nation, der er mit ganzer Hingabe und Aufopferung hatte dienen wollen. Sein Lebensabend war in die Nacht der Anonymität gesunken; Gerüchte wollen wissen, daß er ihn zeitweise als Helfershelfer Perrons verbracht hatte. Am 29. Dezember 1959 in seinem 70. Lebensjahr verlosch sein“ Leben im deutschen Krankenhaus zu Madrid; fern der Heimat, in fremder Umgebung, fern der Heimat, die nicht ohne seine Schuld in der Nacht des Kommunismus lebt. Möge sein Schicksal dem kroatischen Volk eine Warnung sein! Jede Nation hat ein Recht auf ihr Recht; doch der Weg dazu kann niemals über die Gewalt gefunden werden, sondern wieder nur über das Recht!

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