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Der Tod ist mein Beruf...

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Die beiden hier vorliegenden Werke beschäftiger sich mit einem der dunkelsten Kapitel der vergangenen Epoche, den Geschehnissen in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches. Ihre Gegenüberstellung ist interessant, weil die Dinge einmal vom Blickpunkt eines Organisators der Massenvernichtung, im anderen Fall vom leidenden Häftling aus gesehen werden.

Robert Merle, Professor der Anglistik in Rennes, wurde als Schriftsteller bekannt durch seinen 1949 erschienenen und mit dem Goncourt-Preis ausgezeichneten Roman „Wochenende in Zuidcote“. Eines der schonungslosesten, aber auch gültigsten Kriegsbücher noch heute, das der Biederstein-Verlag in deutscher Uebersetzung vorlegte. Der Tod gehört zu den vordringlichen Erlebnissen dieses Buches. Das gilt in besonderer Weise auch für Merles neuen Roman, der mit fast erschreckender Nüchternheit und Sachlichkeit von der Ausrottung der Juden in polnischen Konzentrationslagern, vorwiegend in Auschwitz, berichtet, wo die Maschinerie der Massenvernichtung perfekt entwickelt wurde.

Merle selbst hat erklärend zu seinem Buch bemerkt: „Indem ich mich von der ersten bis zur letzten Seite auf Dokumente gestützt habe, die selbst meine erbittertsten Kritiker nicht zu bestreiten wagen (es handelt sich um Fakten, die anläßlich des Prozesses um einen der prominentesten KZ-Kommandanten bekannt wurden), habe ich das Leben eines Nazifunktionärs rekonstruiert, der wirklich existierte. Er war weder ein böser noch ein verwerflicher Mensch. Er war aufrichtig, mutig, gewissenhaft und sehr fleißig. Und trotzdem trägt er die Verantwortung für den Tod von zwei Millionen Menschen.“ Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Das ist die Frage, die Merle zu erhellen sucht, und er scheint in dem Weg des Rudolf Lang keinen Einzelfall zu sehen, was aber keineswegs heißt, daß er seinen Helden mit der Gesamtheit der Deutschen identifiziert. „Ich wollte zeigen, wie eine starre- und harte Erziehung, eine engstirnige Gesellschaftsldasse, ein gewisser Militarismus — und schließlich die grausigen Mythen des Nazismus diesen Mann so geformt haben, daß er ein Unmensch und ein krimineller Roboter wurde.“

Merles Roman ist in der Ichform geschrieben. Er läßt Rudolf Lang, den Kommandanten von Auschwitz, vor seiner Hinrichtung Seine Lebensgeschichte im Jargon der Nazifunktionäre erzählen. Das Schicksal des „Helden“ wird auf dem Hintergrund eines glänzend herausgearbeiteten Zeitbildes entwickelt, so daß die Bedeutung der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Strömungen und Spannungen der Epoche für die Prägung seines Charakters sichtbar werden. Ein weiteres bestimmendes Moment für die abwegige Entwicklung des Rudolf Lang sind seine ganz persönlichen Erfahrungen: Im Elternhaus beginnt es: Der Vater ist ein von- Schuldkomplexen gequälter religiöser Fanatiker, der seine ganze Familie mit einer auf Kadavergehorsam und einem starren Pflichtbegriff aufgebauten Tyrannei unter Druck hält und bestimmt, daß sein Sohn Priester zu werden habe. Jeder warme mitmenschliche Kontakt wird in dieser Erziehung ausgeschlossen; Rudolf Lang hat keine Freunde und versagt zum erstenmal als Kind gegenüber einem Schulkameraden, der sich durch seine Schuld eine schwere Verletzung zuzieht. Der gleiche Mangel menschlicher Anteilnahme wird später sein Verhältnis zu seinen Kameraden im Heer und zu seinen Arbeitskollegen stören Vorerst aber, zu Beginn des' Krieges, bringt ihm, der seinen Glauben nicht zuletzt durch Schuld seines Vaters verloren hat, ein Dragonerrittmeister pseudo-religiöse Vorstellungen 3ei. „Es gibt nur eine Sünde . und das ist, kein uter Deutscher zu sein“ und „Meine Kirche heißt Deutschland“ prägt er dem Halbwüchsigen ein. Durch diesen Rittmeister kommt der Sechzehn-ährige als Freiwilliger in sein Dragonerregiment, las in der Türkei eingesetzt wird. Hier lernt Rudolf Lang bei den Strafexpeditionen der Türken gegen lie Araber das Prinzip der Ausrottung unerwünsch-:er Elemente kennen, und es behagt ihm nicht ichlecht. Vor allem aber lernt er zu gehorchen um eden Preis, sein Gewissen auszuschalten, wenn es jm Befehle geht.

Ohne jedes konstruktive Fundament komm der unge Soldat schließlich nach dem verlorenen Krieg n die Heimat zurück. Als Freikorpskämpfer fühlt :r sich vorübergehend sicher aufgehoben, um dann, lach Auflösung der Korps, im Zivilleben, wo ihm liemand mehr Befehle gibt, wo er alles selbst ent-!cheiden soll — einer im großen Heer der Arbeits-osen, von Hunger und Not bedrängt —, immer nehr in Haß und später in Resignation zu verlinken. Bis er in der NSDAP eine neue Heimstatt indet, eine Geborgenheit in der Ausführung von Befehlen, bei denen er sich nicht fragt, wohin sie •ühren. Sie führen ihn zunächst zu seinem ersten Vlord an Schlageters „Verräter“; nach seiner Gefängnisstrafe, die ihn zum Märtyrer der Bewegung macht, zum Aufbau einer SS-Reiterabteilung und schließlich als Organisator der Massenliquidierung in die Konzentrationslager. Seine größte Aufgabe wird ihm in Auschwitz gestellt, wo er „eine große industrielle Vernichtungsanlage“ aufzubauen hat. Keine „angenehme“ Aufgabe, aber Befehl ist Befehl, und er erfüllt ihn leidenschaftslos, ohne jede persönliche Beteiligung, aber als williges Werkzeug und unter Einsatz seiner nicht geringen organisatorischen Fähigkeiten, die ihn auch die „psychologische Behandlung“ der „Patienten“ nicht vergessen lassen. Bei dieser Tätigkeit, führt er immer wieder an, sei er der Partei am nützlichsten. Und wahrlich, beim Zusammenbruch des Dritten Reiches konnte er die Liquidierung von zwei Millionen Juden in „seinem“ Lager vorweisen.

Ein Kommentar zu dem, was Merle da als beinahe zwangsläufige Entwicklung abrollen läßt, erübrigt sich. Viele Menschen wollen heute die Zusammenhänge, die von dem Autor aufgedeckt werden, nicht mehr wahrhaben: aber wir dürfen uns jenen bitteren Erfahrungen nicht verschließen, wir müssen uns ihnen stellen, um Gegenkräfte aus der Tiefe gegen die Gefährdung des Menschen und der Menschlichkeit entwickeln zu können, die auch heute gegeben ist.

Edgar Kupfer-Koberwitz geht das Problem, wie schon erwähnt, von der Perspektive des Häftlings an. Sein Buch — eine Dachauer Chronik, deren zweiter Teil noch folgen wird — bringt neben seinen persönlichen Erlebnissen eine Fülle von Einzelheiten über die Schicksale vieler anderer Häftlinge und kann als exemplarisch gelten für das Leben und Leiden in den Konzentrationslaeern des Dritten Reiches. Das Manuskript wurde dank besonderer Umstände, über die der Autor im Vorwort berichtet, im Lager selbst geschrieben und wider alles Erwarten gerettet. Dadurch sind diese Aufzeichnungen von einer Unmittelbarkeit und Zuverlässigkeit, die spätere Niederschriften kaum haben können.

Es ist alles da in diesem Buch: die Atmosphäre der Lager d| außer in Dachau war Kupfer-Koberwitz auch in Neuen-Gamme —, die sadistischen Quälereien der SS-Peiniger, der Terror dei Capos, das gewaltsame „Fertigmachen“ der Opfer und das langsame Hinsterben Tausender durch Hunger, Schinderei und Hoffnungslosigkeit, denen so oft auch die Kameradschaft der Leidensgenossen nicht standhielt. Und schlimmer als alles andere: das bewußte Zerbrechen des Ichs, das Zerschlagen der Menschenwürde der Häftlinge durch die Gewalthaber. „Alle wurden wir zum erbärmlichen Nichts, zu Menschen, die ihr eigenes Selbst nicht mehr fühlten, die irgend etwas, geworden waren, ein Häftling, eine Nummer, ein Niemand, der sich fremd und fern war. . Ohne Hoffnung leben, ohne Zeit, Tag für Tag... Immer den gleichen trostlosen Tag vor sich haben mit seinen Aengsten und schrecklichen Geschehnissen, und immer hoffnungsloser werden, immer apathischer, und doch jeden Morgen die Kraft finden, aufzustehen und hineinzuschreiten in einen neuen Tag, in ein neues Grau ...“

Diese Hölle, das ist seine großartige Leistung, schildert Kupfer-Koberwitz nicht voll Haß und Rachegelüsten, sondern aus einem menschlichen Blickwinkel, der auch gegenüber dem Peiniger, dem Schinder nicht aufgegeben wird. Diese Menschlichkeit war es wohl auch, die ihm die Kräfte zum Ueberstehen, nicht nur in physischer Hinsicht, schenkte, die auch in seinen oft so stumpf gewordenen Kameraden gute, erbarmende Regungen aktivierte — eine ungewohnte Hilfsbereitschaft, die dem Autor das Leben gerettet hat.

Mensch bleiben in der Unmenschlichkeit — dafür legt dieses Buch Zeugnis ab. Eine unermeßliche Leistung, die auch dem Opfer des Terrors nur in Ausnahmefällen gelingt.

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