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Der Tragödie entgegen

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Noch vor wenigen Tagen kennzeichnete die Mienen der britischen Politiker gedämpfter Optimismus. Es schien so, als ob fünf Minuten vor zwölf die weiße Regierung der britischen Kolonie Südrhodesien doch noch Einsicht zeigte und vor einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung zurückschreckte. Die letzten Nachrichten aus Salisbury, der Hauptstadt Rhodesiens, lassen allerdings befürchten, daß Premierminister Ian Smith die Kontrolle über die Ereignisse verloren und der extremrechte Flügel der Regierungspartei (Rhodesian Front) schließlich doch die Uberhand behalten hat. Zumindest deutet die Ausrufung des Belagerungszustandes für die nächsten drei Monate auf eine solche Zuspitzung der Entwicklung hin, daß von nun an jederzeit mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung zu rechnen ist.

Obwohl Rhodesien sicherlich den Engländern näher ist als jedem anderen westeuropäischen Volk, ist doch ein Großteil von ihnen von der Krise um Rhodesien überrascht worden. Und viele fragten sich, ob es denn wirklich nötig sei, daß die offenkundige Kurzsichtigkeit einer weißen Minderheit einen bedeutenden internationalen Spannungsherd schaffen müsse. Wo liegt nun wirklich die Wurzel jener Kräfte, welche die Verhandlungen der Regierung Wilson mit dem rhodesischen Kabinett in die gegenwärtige aussichtslose Lage trieben?

Als eine britische Kolonie kann Rhodesien völkerrechtlich nicht unabhängig werden, ohne daß nicht die Regierung und das Parlament des Vereinigten Königreiches zustimmen. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung wäre eine Sezession und gäbe der Londoner Regierung theoretisch die Möglichkeit, mit Gewalt in dieser zentralafrikanischen Kolonie die rechtliche Ordnung wiederherzustellen. Zumindest ist dies die Auffassung der britischen Verfassungsjuristen. Daran ändert sich nichts durch die Tatsache, daß Rhodesien sich seit mehr als vierzig Jahren selbst regiert und nicht etwa von London aus verwaltet wird. Die britische Regierung möchte nicht nur aus Gründen der Tradition, sondern vielmehr aus echter moralischer Uberzeugung in den Unabhängigkeitsvertrag Klauseln eingebaut wissen, die innerhalb einer entsprechenden Frist den Ubergang zu einem Wahlsystem sichern, in dem jeder Bürger Rhodesiens stimmberechtigt ist, in dem der allgemeine demokratische Grundsatz: ein Mensch — eine Stimme gilt. Gegen ein solches Wahlrecht wehren sich die weißen Siedler in Rhodesien mit allen Mitteln, da sie wissen, daß ein solches automatisch eine schwarze Mehrheit an die Macht brächte und die Weißen den Gang der Ereignisse nicht länger beeinflussen könnten.

Wie immer verbergen sich hinter dem Schleier juristischer Wenn und Aber und hinter den Beteuerungen rhodesischer (weißer) Politiker, in keinem anderen afrikanischen Land lebten die Neger so gut wie in Rhodesien, handfeste Interessen.

Als 1959 das Kabinett Macmülan, vor allem aber der frühere Kolonialminister und gegenwärtige Schatzkanzler des konservativen Schattenkabinettes Ion Macleod, den Abbau des Kolonialreiches beschleunigte, stieß es mit seiner Politik des „wind of change“ vor allem in Rhodesien auf harten Widerstand. In zähen Verhandlungen wurde schließlich im Jahre 1961 eine Verfassung für die Kolonie entworfen und schließlich gutgeheißen. Diese Verfassung bildete freilich gleichsam den Nährboden, auf dem sich der Wechsel von den früheren eher liberalen Regierungen eines Mister Garfield Todd oder Sir Edgar White-head ZU den reetrtsextremen Kabinetten eines Winston Field oder Ian Smith vollzog. Diese Verfassung ermöglichte aber auch Gesetze, die weit in den sozialen Bereich hinein verzerrend und diskriminierend wirken. So reservierte das Landverteilungsgesetz (Land Apportionment Act) den rund 230.000 Weißen 15,4 Millionen Hektar Kulturfläche, den vier Millionen Afrikanern hingegen bloß: 16,2 Millionen Hektar; auf jeden weißen Bürger entfallen somit 67 Hektar, auf jeden Bürger, der das Pech hat, mit einer braunen Hautfarbe geboren zu sein, aber nur vier Hektar, oder nur rund ein Fünfzehntel. Selbstverständlich beschränken Gesetze auch die unternehmerische Tätigkeit der afrikanischen Bevölkerung, und man vergaß auch nicht, afrikanischen Gewerkschaften den Bewegungsspielraum fühlbar einzuengen.

Nicht genug damit, begann die herrschende weiße Minderheit, ihre Vorrangstellung zu zementieren. In einer solchen Weise, daß die internationale Juristenkommission im Vorjahr erklärte, daß „Südrhodesien sich zwar nicht im Belagerungszustand befindet, ihre Gesetzgebung aber solche Elemente enthält, die nur jenen Zustand kennzeichnen. ... sie beraubt die Afrikaner ihrer elementaren Rechte“. Jede Behauptung, die der Gesetzgebung unlautere Motive unterschiebt (!) oder die Regierung, einen Minister, Beamten oder eine Dienststelle eines solchen Verhaltens bezichtigt, gilt als umstürzlerisch; der gleichen Gefahr begegnet, wer auch nur seine Unzufriedenheit mit der Regierung und Verwaltung ausspricht. Die Regierung ist befugt, jede Organisation oder jedes Druckwerk nach Ermessen zu verbieten; außerdem kann jedermann die Bewegungsfreiheit für fünf Jahre entzogen werden usw. Für all das sind Strafen im Ausmaß von zwei bis zwanzig Jahren Gefängnis vorgesehen. In einer Art Verfassungsschutzgesetz schuf sich die Regierung auch ein Mittel, mit dem jeder innere Widerstand gegen eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit illusorisch wird; dieses Machwerk sieht Freiheitsentzug bis zu zwanzig Jahren für jedermann vor, der innerhalb oder außerhalb (I) Rhodesiens audi nur empfiehlt, daß sich eine Gruppe von Bürgern zusammentue und solcherart die Behörden zu einem bestimmten Verhalten nötige; der Begriff Nötigung schließt in diesem Fall auch das passive Koalitionsrecht oder die Androhung eines Boykotts erin. Wer etwa in Rhodesien im Stil der CND (Bewegung für atomare Abrüstung) gegen das Landverteilungsgesetz demostriert, riskiert zwanzig Jahre Gefängnis. Überdies muß der Beschuldigte seine Unschuld beweisen und nicht, wie in zivilisierten Staaten üblich, der Staatsanwalt die Schuld.

Die Verfassung von 1961 teilt die Wähler in zwei Klassen ein. In der „A“-Klasse darf nur wählen, wer ein bestimmtes Einkommen und eine gewisse Mindestbildung nachweisen kann, was in der Regel nur Weiße können. In der „B“-Klasse wurden der Mehrheit der Bevölkerung ganze 15 von insgesamt 65 Mandaten der Rhodesischen Gesetzgebenden Versammlung zugebilligt. Zunächst stimmten die politischen Führer der Afrikaner der Verfassung zu, da sie Bestimmungen enthält, wonach nach einem unbefristeten Zeitraum durch allmähliche Vergrößerung der Zahl der „B“-Mandate theoretisch eine schwarze Mehrheit zustande kommen soll. Bald verloren sie jedes Vertrauen in diese Bestimmung, weshalb sie die afrikanische Wählerschaft zum Boykott der Wahlen aufforderten. Die Sinnesänderung zeigte zwei Folgen: In der gegenwärtigen Legislaturperiode ist die schwarze Bevölkerung überhaupt nicht vertreten, und die afrikanischen Politiker wurden interniert. Rhodesien hat sich eben zum perfekten Polizeistaat entwickelt.

Die britische Regierung wollte eine für beide Seiten annehmbare Lösung des rhodesischen Problems anstreben. Es steht ja nicht nur Rhodesien auf dem Spiel, oder es sind ja nicht nur Wählerstimmen gefährdet, das ganze Commonwealth ist mit einem Male in Frage gestellt

Nur von daher kann Königin Elisabeth verstanden werden, daß sie auf Rat Premierminister Wilsons an Mr. Ian Smith einen persönlichen Brief richtete, in dem sie an die Einsicht der weißen Siedler von Rhodesien appellierst. Zähe Verhandlungen zwischen Mr. Wilson und Mr. Smith, die über eine Woche dauerten, schienen schließlich einen brauchbaren Kompromiß in greifbare Nähe zu rücken. Beide Partner einigten sich auf eine Königliche Untersuchungskommission unter dem Obersten Richter Rhodesiens, Sir Hugh Beadle, welche den besten Weg finden sollte, auf dem eine Konsultation des rhodesischen Volkes über Verfassungsfragen erreicht werden kann; das gefundene Verfahren sollte schließlich in der Entscheidung über die britischen und rhodesischen Vorschläge herangezogen werden. Dieser Kompromiß dürfte jedoch bloß ein retardierendes Moment bleiben, wie einzelne Szenen in den Tragödien Shakespeares einen guten Ausgang erhoffen lassen.

Denn vor kurzem wurde bekannt, daß die rhodesische Regierung formell den Belagerungszustand über das Land verhängt hat, wodurch Rhodesien praktisch zu einem totalitären Staat geworden ist. Es ist eben eingetreten, was seit langem befürchtet wurde. Mit der Verfassung von 1961, welche der Rhodesischen Front zur Macht verhalf, da sie augenscheinlich die weiße Bevölkerung weitgehendst hinter sich hat, ist ein Mechanismus ausgelöst worden, der sich jetzt weder bremsen noch in eine andere Richtung abdrängen läßt. So wie dem gemäßigten Garfield Todd der radikalere Sir Edgar Whitehead folgte, löste der noch radikalere Winston Field Sir Edgar und schließlich Ian Smith seinen Vorgänger Field ab, sobald auch nur der Verdacht einer „weichen“ Linie bestand. Selbst wenn Mr. Ian Smith Einsicht zeigte, wäre eine Katastrophe unvermeidlich, weil Mr. Smith zweifellos durch Mr. William Harper verdrängt würde, der als der „härteste“ Verfechter einer Unabhängigkeit um jeden Preis galt. Entsprechend ist Korrespondentenberichten zufolge die Stimmung. So schrieb David Holden aus Salisbury, daß ein Weißer, den er um seine Meinung fragte, ihm antwortete: „Wenn die Schwarzen sie (die Unabhängigkeit rhodesisch-weißer Prägung) nicht mögen, sollen sie in den Busch gehen, woher sie ja auch kamen.“ Oder ein anderer sagte Mr. Holden: „Falls man uns die Unabhängigkeit nicht gibt, holen wir sie uns eben. Warum das lange Gequatsche?“ Andererseits sind die Afrikaner resigniert, haben jegliches Vertrauen in die Aufrichtigkeit des weißen Mannes verloren, sind ohne Presse und ohne ihre internierten Führer öffentlich verstummt. Ihre privat geäußerten Bedenken und Ängste will einfach niemand sehen. Die weißen Siedler verhalten sich so, als ob überhaupt keine Afrikaner existierten.

Da eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit nunmehr als sehr wahrscheinlich erscheint, erhebt sich sofort die Frage, was Großbritannien nach einem solchen Akt unternehmen kann. Theoretasch könnte es Truppen landen und die weißen Siedler zur Vernunft bringen. Praktisch scheidet eine militärische Intervention allerdings aus. Nicht hur deshalb, weil Mr. Wilson eine solche als unmöglich erklärt hat. Militärische Aktionen stießen auf eine fast unüberwindliche psychologische Mauer. Fast alle rechtsextremistischen Politiker Rhodesiens haben sich im letzten Krieg als überaus tapfer erwiesen, sind entweder mehrfach verwundet oder ausgezeichnet worden. Mr. Smith und Mr. Harper zum Beispiel waren Kampfflieger, Herzog von Montrose (Landwirtschaftsminister) Kapitän eines Zerstörers. Das weiß nun fast jedermann, und das vergißt auch niemand. Man vergißt schon eher, daß auch die Afrikaner in den Reihen der Alliierten mitkämpften und einen hohen Blutzoll zahlten. Aber schließlich sind das nicht Verwandte, und als solche betrachtet man die weißen Siedler von Rhodesien noch 'immer, und zwar trotz ihrer diktatorischen Neigungen.

Großbritannien bleiben damit nur wirtschaftliche Repressalien übrig. In erster Linie wäre hier der Wegfall der Präferenzzölle zu nennen, welche die Commonwealth-Länder einander zugestehen. Zweifellos ein harter Schlag für die Tabakpflanzer Rhodesiens. Außerdem könnte London die rhodesischen Guthaben einfrieren und alle rhodesischen Waren boykottieren. Dann müßte es auch die Einfuhr aus Südafrika ebenso behandeln, wenn ein Fehlschlag nicht riskiert werden soll. (Ursprungszeugnisse lassen sich ja fälschen!). Immerhin ist die Stellung Großbritanniens nicht zu unterschätzen, da es 30 Prozent des rhodesischen Exportes aufnimmt und der Export fast zwei Fünftel des Bruttonationalproduktes der Kolonie ausmacht. Ein Embargo könnte sehr wohl eine Abwertung erzwingen und eine Krise beschwören, da sich die UNO vermutlich anschlösse und in Rhodesien das Vertrauen in die Konjunktur untergraben würde. Und Premierminister Wilson, den die konservative Opposition in diesem Punkt unterstützt, ließ keinen Zweifel aufkommen, daß die Regierung alle außer militärischen Repressalien ergreifen wird. Vielleicht dämmert es dann den wohlhabenden Farmern von Rhodesien, daß ihre Stunde geschlagen hat, daß sich die Richtung der Zeit nicht umkehren läßt. Traurig nur, daß voraussichtlich auch Blut fließen wird. Denn die unabhängigen afrikanischen Staaten werden sicherlich Guerillatruppen schicken, wodurch der gegenwärtige scheinbare Frieden in dieser Kolonie endgültig als Farce entlarvt werden wird.

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