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Der Übel schlimmstes

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Wir setzen im folgenden die Veröffentlichung über das Justizministerium und seine Agenden fort.

Rund 490.000 Straffälle kamen im vergangenen Jahr vor die österreichischen Gerichte. 120.000 davon endeten mit Verurteilungen zu Geld-, bedingten und unbedingten Freiheitsstrafen. Auf Grund der letzteren befinden sich durchschnittlich 8260 Gefangene derzeit in den österreichischen Strafanstalten.

Aus dem Verhältnis der oben genannten Zahlen zueinander ist zu ersehen, daß an der Justiz vor allem wichtig ist, daß es sie gibt und daß der Staatsbürger weiß, daß es es sie gibt. Zum Schutz seiner persönlichen Sicherheit könnte die Polizei genügen. Er braucht aber auch Rechtssicherheit; ihm die zu verschaffen, sind in Österreich rund 863 3 Richter, Staatsanwälte und andere Justizbeamte sowie 2388 Rechtsanwälte da. So sind die Abstrafungen — wie ihre Zahl erweist — eher nur Nebenprodukte des Justizbetriebes. Wäre es nicht so, dann müßten die Richter und Staatsanwälte verzweifeln, da es ■•loch seit eh und je und nie endend Schuld vnd Strafe und immer wieder Schuld gibt. Vielleicht wird einmal eine Zeit kommen, in der Menschen zwar weiterhin schuldig werden, in der die Gesellschaft es aber ihnen überlassen können wird, sich zu bestrafen. Verschiedene Anzeichen gibt es ia schon dazu — etwa in den religiösen Bußen oder in der Art, wie in Vorzeiten die Sippe ihre Gesetzesbrecher damit bestrafte, daß sie sie in die Wüste schickte, wo sie sich selber und ihrer Schuld überlassen blieben. Heute jedoch wissen wir noch immer nichts Besseres mit Verbrechern anzufangen, als sie einzusperren und Zeit absitzen zu lassen.

Wenn man in Österreich eingesperrt wird, kommt man je nach Wohnort, Geschlecht und Dauer der Strafe in/i eine der bestehenden 37 Straf- und Erziehungsanstalten, in der Amtssprache Justizanstalten genannt. Bei ihrer Aufzählung wird man sehen, daß es noch andere Momente gibt, von denen es abhängt, wohin man kommt. Es gibt da also:

18 Gerichtshofgefängnisse. Es sind die landesgerichtlichen Gefangenenhäuser I und II und zwei Jugendgefan-genenhäuser in Wien, die landesgerichtlichen Gefangenenhäuser in Graz, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Innsbruck und Feldkirch (in Eisenstadt ist eines in Bau, damit die Burgenländer sich nicht minderwertig fühlen müs sen). Weiter sind da die kreisgerichtlichen Gefangenenhäuser in St. Pölten Krems, Wiener Neustadt, Korneuburg, Leoben, Wels, Ried und Steyr.

Ferner drei Männerstrafanstahen in Stein, Garsten und Graz sowie für schwerste Strafen eine Frauenstrafanstalt in Schwarzenau.

Außerdem bestehen neun Anstalten mit reduzierter Gefangenenhaltung: Der Ziegeleibetrieb in Innsbruck, die Ökonomien Gurhof (Stein) und das Unterstraßergut in Garsten, die Güter Fraharri und Erlenhof (Linz), Rottenstein (Klagenfurt) und Gerasdorf (Wiener Neustadt). Die Ökonomie Schwarzau wird vom landesgerichtlichen Gefangenenhaus I, Wien, betrieben, die Ökonomie Sonnberg vom Arbeitshaus Göllersdorf.

Weiter gibt es: Die Bundesanstalt für erziehungsbedürftige Burschen in Kaiserebersdorf mit der Außenstelle Kirchberg am Wagram und der landwirtschaftlichen Lehrabteilung in Münchendorf. Die Bundesanstalt für erziehungsbedürftige Mädchen in Wiener Neudorf wird vom Schwesternorden vom Guten Hirten betrieben und vom Justizministerium finanziell unterstützt.

Drei Arbeitshäuser befinden sich in Göllersdorf (Niederösterreich), Lanko-witz (Steiermark) und Suben (Oberösterreich). Das letztere betreibt in Pacht das Edergut und das Karlsgut.

Auf der Wilhelmshöhe bei Wien befindet sich eine Heilstätte für die an Tuberkulose erkrankten Gefangenen. Zur Errichtung dieser Anstalt sah man sich aus verschiedenen Gründen veranlaßt. Bis dahin hatten an Tbc erkrankte Kriminelle ihre Krankheit dazu ausgenützt, sich Straffreiheit zu sichern. Manche kultivierten geradezu ihre Krankheit oder taten jedenfalls nichts dazu, um gesund zu werden. Damit schadeten sie aber nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer Umgebung. Außerdem wird in Wilhelmshöhe eben doch dafür gesorgt, daß es von den Insassen nicht nur als Heilstätte, sondern auch als Strafanstalt empfunden wird.

Nicht genannt in dieser Aufzählung sind die zahlreichen Bezirksgerichtsgefängnisse und Polizeikotter, in denen man Bagatellstrafen absitzt.

2167 Menschen bewachen diese 8260 Häftlinge oder befassen sich als Verwaltungspersonal, Seelsorger. Fürsorger, Ärzte, Fachlehrer und Handwerksmeister mit ihnen. Sach- und Personalaufwände der Justizanstalten kosten uns 141,2 Millionen Schilling, die Einnahmen betragen 1,5 Millionen Schilling. Die letzteren sind deshalb so gering, weil hiermit nur jene Einnahmen angegeben sind, die aus der in den „Sitz“gefängnissen geleisteten Arbeit der Gefangenen stammen. In den eigentlichen Arbeitsbetrieben (siehe oben) werden die Kosten für die Häftlinge, für das Aufsichtspersonal und für die Instandhaltung (24,9 Millionen Schilling) nahezu von den Einnahmen aus der Gefangenenarbeit gedeckt (22,9 Millionen Schilling). Wie man sieht, sind wir also noch weit entfernt, sowohl von einer „kostendeckenden Betriebsführung“ als auch — was emster ist — von einem allgemeinen Arbeitsregime im Strafvollzug. Denn dieses ist die erste Voraussetzung für eine Besserung der Gefangenen. (Das Wort Besserung erscheint mir immer noch angebrachter als das jetzt moderne Resozialisiemng.) Nach Aussage aller im Strafvollzug tätigen Beamten ist die faktische Entmündigung und die Entwöhnung der Gefangenen von jeder materiellen und sonstigen Sorge um sich selbst während der Haftzeit das größte Hindernis für ein Zurück- oder überhaupt erst Hineinfinden in ein normales Leben nach der Entlassung.

Es geht also nicht nur darum, Arbeit für alle Gefangenen zu schaffen, sondern sie so zu gestalten und überhaupt Bedingungen zu schaffen, welche die Gefangenen auf das Leben „draußen“ — auf ein Leben ehrlicher und nützlicher Arbeit — moralisch und psychisch vorbereiten. Denn eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß ein Mensch ehrlich ist, ist, daß er vor sich selber und seiner Arbeit Respekt haben kann. Pen kann er aber kaum erlangen, wenn man ihm — wie derzeit — nur eine Belohnung von 30 Groschen für seine Arbeit igibt, und nicht eine normale Entlohnung (natürlich für normale Arbeitsleistungen). Das von Justizfunktionären vorgebrachte Argument, daß man vor allem deshalb noch am System der B e lohnung anstatt der E n t lohnung festhalte, weil man sonst einen kostspieligen Buchhaltung- und Lohnverrechnungsapparat schaffen und die Gefangenen sozialversichern müßte, kann denn wohl doch nur als prozedural angesehen werden. So könnte ein solcher Apparat sehr wohl zum großen Teil von den Gefangenen selbst bedient werden. Eine andere Frage ist, wieweit durch eine solche Normalisierung des Haftlebens diesem sein Strafcharakter genommen würde. Wenn aber ein Gefangener von der Arbeit in seine Zelle zurückkehrt und nicht zu seiner Familie, und wenn er am Abend nicht ausgehen und sich vergnügen kann, dann dürfte damit in seinem Bewußtsein auf genügende Weise der Freiheitsentzug etabliert sein. Solche Fragen der Reform des Strafvollzugs wurden unlängst in einer Diskussion im Kriminologischen Institut von führenden Justizfunktionären und Psychiatern behandelt.

Sühne, Sicherung, Resozialisierung

Dies sind — wie auch aus jener Diskussion hervorging — die drei wesentlichen Ausgangspunkte für die Theoretiker und Praktiker des Strafvollzugs. Je nach philosophischer Grundhaltung (zum Beispiel Glaube an die Allmacht der Umgebung und ihrer Einwirkung oder Glaube an die freie Willensbestimmung und Entschlußkraft) räumen die Theoretiker und Praktiker dem einen oder anderen Ausgangspunkt mehr Bedeutung ein. Bei der Diskussion im Kriminologischen Institut fiel der Beitrag des Präsidenten des Wiener Landesgerichtes für Strafsachen, M a-1 a n i u k, deshalb auf, weil hierbei vor allem Grundsätzliches mit entschiedenem Nachdruck vorgebracht wurde. Malaniuk geht vor allem von den ersten zwei Momenten aus: Sühne und Sicherung (der Gesellschaft). Er sieht die Strafe als Vergeltung und diese als unabdinglich für eine Gerechtigkeit mit kriminalpolitischer Zielsetzung. Malaniuk wehrt sich gegen eine Aufweichung des Strafvollzugs, die durch humanistisch motivierte Maßnahmen, wie zum Beispiel einem „Heimurlaub“ für Strafgefangene, bewirkt werden könnte.

Die Vertreter der „anderen Seite“ brachten weniger Grundsätzliches als Praktisches — Darstellungen einzelner Züge und Maßnahmen der geplanten Strafvollzugsreform — vor. Als eine der wichtigsten und sicherlich auch nötigsten Änderungen wurde das Bestreben genannt, die bisher nur nach Haftdauer und Zugehörigkeit zum Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht mechanisch zusammengeworfenen Inkul-pierten in Gruppierungen aufzusplittern und unterzubringen. Man denkt hierbei an folgende Einteilung:

1. Besserungsfähige;

2. zweifelhaft Besserungsfähige;

3. Unverbesserliche.

Die Justizverwaltung hat in der Tat begonnen, dieses Prinzip zu verwirklichen. Im vergangenen Jahr wurde in Ober-Fucha eine Anstalt für erstmals inhaftierte und als besserungsfähig bezeichnete Strafgefangene eingerichtet. Ob sie ein Erfolg sein wird, werden erst umfassende Berichte über den Weg der jetzt dort Befindlichen nach ihrer Rückkehr in die Freiheit erweisen.

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