6724713-1965_27_01.jpg
Digital In Arbeit

Der überspielte Spieler

Werbung
Werbung
Werbung

Durch einen fast geräuschlosen Staatsstreich wurde aus Algeriens Idol Benbella über Nacht ein gestürzter Tyrann, Hochverräter und teuflischer Scharlatan. In der Nacht vom 18. zum 19. Juni fuhr der Volksarmeeoberst Boumedienne seine neuesten Sowjetpanzer 54 vor Benbellas Amtssitz, der Villa Joly, vor dem Regierungssitz am berüchtigten Forum wie vor sonstigen strategischen Punkten der Stadt auf, unterstellte Polizei und Sicherheitsorgane eigenen Offizieren und besetzte das Radiohochhaus. Die Auffahrt von Panzern und Marschmusik am laufenden Band, unterbrochen von der stereotypen Ankündigung einer wichtigen Mitteilung, waren das einzige Ungewöhnliche, was Algerien beim Erwachen am Samstagmorgen feststellte. Die Bevölkerung war perplex, obwohl der Konflikt zwischen Benbella und Boumedienne praktisch seit der gemeinsamen Machtübernahme dm Jahre 1962 schwelte und der Staatsstreich in der Luft lag.

Das schließlich um 11 Uhr vormittag Verlesene, seit langem vorbereitete Kommunique, welches in auffällig nüchterner Sprache die bisherige algerische Politik unter Benbellas Führung als Ausdruck persönlichen Machthungers, der Gauk-lerei, Demagogie, eines Reklamesozialismus und als wirtschaftliche Verschwendung kennzeichnete, die Bildung eines Revolutionsrats verkündet und zur Ordnung und Arbeitsdisziplin aufruft, war in die Klänge des zum algerischen Militärmarsch verformten Liedes „Ich hatt' einen Kameraden“ eingekleidet. Ex-kamerad Benbella, von dem sogenannte wohlinformierte Kreise am Morgen noch immer glaubten, er säße Boumedienne in verzweifelten Verhandlungen um eine Machtneuverteilung in der Villa Joly gegenüber, war zu dieser Zeit schon längst „neutralisiert“, wie es offiziell heißt. Gerüchten zufolge soll es bei der nächtlichen Verhaftung zur Schießerei mit Benbellas Leibgarde gekommen sein, wobei der Exstaatschef umkam. Das Gerücht scheint sich nicht zu bewahrheiten. Armeekreise versichern vielmehr, daß ein Prozeß gegen ihn vorbereitet würde.

Der neue Revolutionsrat, welcher Im wesentlichen den alten Generalstab der früheren sogenannten Grenzarmeen — das heißt, neben Boumedienne den bisherigen Volks-bildungsminister Cherif Belkassem, den von Benbella bereits kaltgestellten Außenminister Bouteflika und die beiden früher gestürzten Minister Mecleghri und Kaid Ahmed umfaßt, betont, daß keineswegs von

einem Militärputsch, sondern nur von der Rückkehr zur authentischen kollektiven Revolutionsführung die Rede sein kann. Tatsächlich hatte Boumedienne, der jeden öffentlichen Auftritt scheut, mit seinen Offizieren und Regimentern Benbella 1962 gegen die ehemalige algerische Exilregierung und die kabylischen wie andere Anarchisten in den Sattel gehoben. Benbella hatte jedoch nach dem gemeinsamen Sieg den Offizieren durch äußerst geschicktes Manövrieren und Ausspielen der verschiedenen innenpolitischen Tendenzen eine Machtposition nach der anderen, vor allem die Herrschaft über Partei, Gewerkschaft und Polizei abgerungen. Vorläufig letzter und krönender Akt seiner Spielkunst sollte die Eliminierung Boumedien-nes als Armeechef sein.

Zu diesem Zwecke schloß Benbella In der letzten Woche unvermittelt Frieden mit einer an sich toten Widerstandsbewegung gegen sein eigenes Regime, mit den kabylischen Rebellen, und suchte den Kontakt mit den im Exil lebenden ehemaligen Hauptfeinden von 1962/63, Khider, Boudiaf und au dem zum Tode verurteilten, jedoch begnadigten kabylischen Rebellenchef Axt Ahmed. Gestützt auf diese Umkehr der bisherigen Fronten, so erklären die neuen Machthaber, und abgedeckt durch ein halbes hundert ausländischer Staatschefs, die zur afro-asiatischen Gipfelkonferenz nächste Woche erwartet wurden, wollte Benbella den Obersten Boumedienne ' und seine Freunde anläßlich der Eröffnungsrede zur Weltkonferenz selbst zu „obskuren Volksfeinden“ erklären, ausheben und festsetzen lassen. Boumedienne, der jahrelang immer wieder zu Kompromissen mit Benbella einlenkte, erkannte, daß er diesmal verloren war oder zuschlagen mußte, und dies noch vor der Konferenz.

Einer der Fehler Benbellas war sein Denken in Persönlichkeiten als Symbole und Garanten geschichtlicher Entwicklungen, ferner sein Vertrauen in den konstruktiven Charakter politischen Lärms. Daß es in seinem Staate technisch und wirtschaftlich drunter und drüber ging, hatte er am Ende selbst nicht mehr geleugnet, hielt sich jedoch für „erwählt“ und jonglierte mit Augenblicklösungen, wie den anstehenden neuen französischen Krediten. Der neue Herr Algeriens, Boumedienne, gedenkt zwar weder auf diese noch auf die dem „Helden der Sowjetunion“ Benbella gewährte östliche Hilfe zu verzichten, doch kann und will er Benbella als Idol nicht ersetzen. War dessen Regierungsstil — ähnlich dem Fidel Castros — eine Mischung von richtigem historischen Gefühl, Improvisation, vager kollektivistischer Linie im Chaos bei fanatischem Glauben, daß Phrasen sich mit fortschrittlichem konkreten Inhalt irgendwie füllen müßten, steht für Boumedienne Ordnung, Planung, Nüchternheit und spartanische Mittel-Zweck-Ökonomie über allem. Er dürfte auf zivile Partner, die ungeachtet ihrer Stellung im früheren algerischen Freistilringen zur Mitarbeit aufgerufen sind, lieber verzichten als seinerseits Benbellas Jongleurfunktion zu übernehmen. Typisch für Benbellas große Politik war sein Verhalten im kleinen, so berichtete ein Armeemann noch wenige Tage vor dem Umsturz. Der

Exstaatschef hatte bei einem von ihm besuchten Fußballspiel den Kampf zwischen Platzordnern und städtischen Rowdys um noch nicht besetzte Ehrenplätze in der Weise beendet, daß er die Lümmel als „ihm anvertraute arme Kinder des Volkes“ unter Massenapplaus hereinließ. Die erwarteten Diplomaten mußten wegen Platzmangels wieder umkehren. Boumedienne würde die Rowdys, so war die Schlußfolgerung, erst einmal ein halbes Jahr zum Erweiterungsbau des Stadions einsetzen, in dem sie dann später — vielleicht — Platz fänden.

Der Sprecher des Revolutionsrats, der wiedereingesetzte Außenminister Bouteflika, betont die Fortsetzung der bisherigen Außenpolitik, das Bekenntnis zum FLN-Parteipro-gramm, die sogenannte Charta von Algier, zu der von Benbella betriebenen Verstärkung der algerisch-französischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Freundschaft zum Ostblock und den Progressisten der Dritten Welt. Frankreichs Charge d'Affaires in Algier war der erste Ausländer, der von Algeriens neuen Herren empfangen, die französische Botschaft zunächst die einzige, der die Verbindung zur Außenwelt gestattet wurde. Dennoch ist die Kaltstellung der meist französich erzogenen Linksextremisten in der Partei zu erwarten. Darüber hinaus zeichnen sich gewisse Konturen der (wie es im Kommunique heißt) bisherigen „Außenpolitik der Laune“ ab. Kairo, das seine große Sympathie für Boumedienne von 1962 schrittweise auf Benbella verlagert hatte, reagierte auf den Regimewechsel kühl. Unter anderem fürchtet Nasser eine Revision des von Benbella ihm zuliebe vorgenommenen Bruchs der algerisch-deutschen Beziehungen. Auf welche innenpolitischen Tendenzen der neue Rat seine, wie es heißt, retabliert Demo-

kratie ausdehnen wird, Ist zur Stunde unbekannt. Der Exilpolitiker Khider traf im benachbarten Marokko ein und begrüßte den Sturz Benbellas. Der bürgerliche Demokrat Ferhat Abbas, welcher kurz vor dem Staatsstreich freigelassen wurde, zog sich in seine Hochburg Setif zurück und hüllt sich in Schweigen. Geschrei im alten Stil machten bisher nur die Studenten von Algier, die — soweit man aus ihnen klar wurde — für das alte Regime eintraten.

Die Lage Algeriens nach Benbellas Sturz — der von den neuen Herren mit einer notwendigen Schocktherapie verglichen wird — hat drei teilweise paradoxe Aspekte: einen „atmosphärischen“, einen außen- und einen bisher nur drittrangigen innenpolitischen. Benbella schien ein — gewiß auf die harmloseren algerischen Verhältnisse projizierter — propagandistischer Koloß wie einst Rußlands Stalin, ihn zu stürzen eine Berserker-, wenn nicht Sisyphusarbeit. Indessen spricht heute, nur wenige Tage nach seinem Sturz, niemand mehr vom politisch Hingeschiedenen, nicht einmal im Flüsterton. Nicht nur - das tägliche Leben, auch Verwaltungs-, Partei- und der Betrieb in den sonstigen mehr oder weniger vom „Tyrannen“ geprägten Organisationen geht fort als hätte es einen Benbella nie gegeben. Seine bisherigen Helfer höheren Rangs, verbraucht, abgenutzt und ernüchtert vom ewigen Frontwechsel und dem Spiel ihres ehemaligen Idols mit den politischen Gruppen und Grüppchen, fungieren dem Aufruf vom 19. Juni getreu („alles bleibt auf dem alten Platz“) weiter, darunter der größte Teil der Minister der alten Regierung. Selbst Anhänger der Armee, die mit im „Coup“ waren, fragen sich jetzt, ob sie nicht jahrelang ein Phantom gefürchtet hatten, das Phantom des „Benbellismus“, den es

vielleicht gar nicht gab. Dabei hatt Benbellas Regierungsstil die Geister unverkennbar markiert. Kuriosum dieser Tage: Die verschiedenen Parteigruppen im Binnenlande, welche sich nacheinander zum neuen Revolutionsrat bekennen, vermögen dies nicht anders als in den phrasenreichen Wendungen der Vergangenheit, eben mit dem Schwall, welchen die neuen Herren in ihrer Erklärung vom 19. Juni verdammten. Benbellas berüchtigter Kundgebungsmob aus der Kasbah und dem Viertel Bab-El-Oued blieb ruhig und scheint nur zu bedauern, daß der Umsturz keinen Anlaß für neues Jubelgeschrei und sonstigen Radau gab. Der Chef des neuen Revolutionsrats, Volksarmeeoberst Boumedienne, bietet hierzu freilich keinen Gelegenheit. Er sucht vielmehr schleunigst den Rückzug in den ihm eigenen Hintergrund. Am liebsten überließe er die künftige „Führung der Revolution“ — ein Terminus, den auch er nicht umgehen kann — einem anonymen Gremium.

Das Problem der „Repräsentation-nach innen und außen, der echten oder konstruierten „Legalität“, schließlich der Anerkennung der neuen Equipe als „authentische Sachwahrer von Revolution und Sozialismus“ durch Algeriens afrikanische, asiatische und Ostblock-feunde — sämtliche Manipulationen, die Benbella unnachahmlich beherrschte — aber führen bereits zum problematischeren politischen Aspekt des Vakuums nach des Linksdiktators Sturz. Gewiß ist der vorläufige Kopf des neuen Regimes, Boumedienne und seine Umgebung, für langjährige Beobachter des inneren algerischen Ringkampfes kein Vakuum, vielmehr Leute mit festen, etwas „preußischen“ Vorstellungen über eine kollektivistische Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nicht so jedoch für die bisher demagogisch bearbeitenden algerischen Volksmassen und auch nicht für einen großen Teil der mit Benbella befreundeten oder sonstwie mit ihm in Beziehung stehenden übrigen Welt. Die Absage der für diese Woche vorgesehenen afro-asdatischen Gipfelkonferenz von Algier, ist ein Schlag für die neuen Machthaber.

Durch die Teilnahme an der Konferenz wäre Boumedienne und sein Revolutionsrat mit einem Schlag von der „dritten Welt“ praktsich anerkannt gewesen. Der Ostblock wie der Westen wären automatisch gefolgt Der internationale Erfolg wäre nicht ohne Rückwirkung auf den nationalen gewesen.

Spülte doch Benbellas Sturz wie schon vorher sein Versuch der Neuformierung seines Regimes Kräfte wieder zu Tage, die in den vergangenen Jahren zur Resignation gezwungen oder zwischen Benbella und Boumedienne zerrieben wurden. Außer Ait Ahmed' und seinen kabylischen Rebellen, mit denen Benbella noch wenige Tage vor dem Militärstreich die zweckbedingte offene Versöhnung suchte, rühren sich die ehemaligen Gefolgschaften der ebenfalls kürzlich freigelassenen oder im Exil lebenden Oppositionspolitiker, so die ostalgerischen Linksextremisten um den in Paris lebenden Boudiaf und die ehemalige liberale UDMA-Par-tei des früheren algerischen Parlamentspräsidenten Ferhat Abbas.

Der immer noch auf Boumediennes ehemaligen Generalstab beschränkte Revolutionsrat kümmert sich daher noch wenig um die künftige große Linie. Seine Hauptsorge ist die Kontinuität der Tagesarbeit. Jeder Staats- oder Parteifunktionär, selbst anerkannte Armeefeinde, erhielt innere oder diplomatische Eilaufträge. Im Innern wie nach außen soll zumindest der Eindruck erweckt werden, daß Benbellas allgemeine Linie

— aber eben ohne ihn, ohne seine Hysterie, Intriganz und Unordnung

— fortgesetzt würde. Boumediennes Tagesparole lautet: Weitermachen und Benbella nicht mehr erwähnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung