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Der „umgestülpte Handschuh“

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Im Rahmen seiner alljährlichen internationalen Stüdienwochen in der oberbayrischen „Wies“‘, dem Oertchen mit der schönsten Barock-Wallfahrtskirche der Welt, hat der „Hochschulring der Ackermann-Gemeinde“ in diesem Herbst eine Reihe von Referenten mit klangvollen Namen und eine große Hörerschaft zur Bearbeitung und Erforschung der Probleme des Kommunismus versammelt.

Zwei Russen und zwei hervorragende Kenner der russischen Probleme waren für dieses Sachgebiet aufgeboten worden: Hermann A c h m i n o w, 1941 aus Rußland emigriert, der gegenwärtig als freier Schriftsteller in Deutschland lebt, und Dr. Viktor Frank, Redakteur beim Sender „Liberation“ in München, auch er gebürtiger Russe, in Berlin aufgewachsen und seit vielen Jahren in England tätig, sowie Dr. Harry P r o s s, Dozent an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven, der langjährige Redakteur der Zeitschrift „Ostprobleme“, und P. Gustav Wetter SJ„ der Direktor des „Collegium Russicum“ in Rom.

Achminow behandelte die „Ideologischen Wandlungen des Kommunismus“. Er wies auf die Grundtatsache hin, daß die kommunistische Ideologie drei Funktionen besitze: die vorgeschriebene Weltanschauung, die Untersuchungsmethode und den sogenannten „Kompaß“, d. h. die Mittel zur Führung der Menschen. Grundlegende Wandlungen in der kommunistischen Ideologie sind niemals eingetreten, wohl aber bedeutende „Gewichtsverlagerungen“. Am wichtigsten ist unter diesen die klare Abschwächung der Vorstellungen vom Determinismus der geschichtlichen Entwicklung. Marx glaubte an Zwangsläufigkeit, doch bereits von Lenin wurde diese These revidiert: die Arbeiterschaft könne aus sich allein heraus kein revolutionäres Bewußtsein haben — es müsse von außen an sie herangebracht werden. Und in seinem Buch „Der Marxismus und die Sprachwissenschaft“ betonte Stalin 1950 die aktive Rolle des „Ueberbaues“. Das „Gesetz der

Negation der Negationen“ besagte in seiner ursprünglichen Form: Jede Entwicklung führt von der These über die Antithese zur Synthese — wobei Synthese soviel bedeutete wie Kommunismus. Aber die tatsächliche Entwicklung entsprach den kommunistischen Voraussagen nicht: der Satz ist seit 1933 abgeschwächt worden, weil bei den Funktionären allmählich ein bürgerlicher Lebenswandel einsetzte. Auch die kommunistische These vom plötzlichen Umschlagen von der Quantität zur Qualität konnte nicht aufrechterhalten werden und hat nun die neue Lesart bekommen, dieses Umschlagen gehe in einem Falle schneller und im anderen langsamer vor sich Von Wandlungen kann man im Sektor der kommunistischen Ideologie auch deshalb nicht sprechen, weil allen kommunistischen Thesen nur die Bedeutung von Gebrauchsdogmen zukommt und kein absoluter Wert.

Viktor Franks Vortrag war „Kommunistischer Isolationismus und Imperialismus“ betitelt. Der Kommunismus stellt einerseits in seinem Streben nach Weltherrschaft eine imperialistische Macht dar — anderseits zeigt er, durch das Fallenlassen des Eisernen Vorhangs, isolationistische Tendenzen. Da werden die baltischen Staaten annektiert, die Satelliten unterworfen — und da gibt es zugleich das Fraternisierungsverbot für Besetzungstruppen u. a. Natürlich verschieben sich die Akzente: in den ersten Nachkriegsjahren gab es die stürmische Expansion in Europa, dann bis zum Tode Stalins die Periode des Sichab- schließens — und gegenwärtig sind wir wieder in der Epoche der Expansion in Asien. Die westliche Welt sucht die Ursachen irrtümlich ausschließlich in historischen, und geographischen Gegebenheiten, die doch nur begrenzt wirksam sind. Man spricht von der Kontinuität der russischen Geschichte und behauptet, die heutigen Tendenzen unterscheiden sich nicht von denen der Zarenzeit. Auch der geographischen Lage der UdSSR legen wir allzuviel Bedeutung bei. Es besteht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen historischen und geographischen Parallelen einerseits und dem Sowjetregime anderseits, weil sich dieses auf eine universelle Ideologie stützt, welche ihrerseits Gier und Angst als emotionelle Grundlagen aufweist. Für das westliche Verhalten gegenüber dem Osten ergeben sich daraus zwei Folgerungen: Ruhig überlegen und sich nicht von der Angst anstecken lassen, sowie versuchen, das Zerrbild, das im Osten von uns gezeichnet wird, durch persönlichen Kontakt mit diesen Menschen zu berichtigen, damit sie sehen, daß sie nicht von einer feindseligen Umwelt umgeben sind.

Ein neuer Krippenbaum

Unsere Leser erinnern sich sicher noch an das Bild vom „Lender Advent-Krippenbaum" im Advent 1953. Durch diese Krippe wurde die Leitung der internationalen Krippenausstellung in Rom auf das neuartige Schaffen des Salzburger Bildhauers Gustav R e s a t z auf diesem Gebiet aufmerksam. Unser Bild zeigt den neuen 3,10 m hohen Aufriß einer Krippenkomposition, die bereits im Bau ist. Ueber dem Baum der Erkenntnis mit Adam, Eva und der Schlange sind drei Propheten angeordnet. Die nächste Figurenreihe zeigt Mariä Verkündigung, Mariä Heimsuchung und die Herbergsuche. Als Halbfiguren sind die Rufenden und Horchenden, die schon das zukünftige große Ereignis ahnen, zu sehen. Darüber die Hirten und Könige in der Anbetung des Kindes, das Maria und Josef zur Seite hat, darüber drei Engel und der Stern. Diese Zeichnung und viele Lichtbilder von schon geschaffenen Krippen werden in der internationalen Krippenausstellung in Rom im Dezember 1954 und Jänner 1955 gezeigt.

Photo: Otto Stipor

(In diesem Punkt standen die Zuhörer Franks Optimismus skeptisch gegenüber.)

Dr. Harry P r o s s setzte sich mit der „Taktik des Kommunismus“ auseinander. Die Ideologie verleiht den Kommunisten die Fähigkeit, den jeweiligen Anforderungen der konkreten Situation gerecht zu werden. Insofern stellt sie ein taktisches Mittel dar und nicht nur die theoretische Basis der Durchführung des Klassenkampfes. Der Westen hat die Kraft der dialektischen Methode in ihrer taktischen Zielsetzung nicht immer recht erkannt. Unter Strategie verstehen die Kommunisten die allgemeine große Linie, nach der die Hauptstöße der Revolution verlaufen sollen: sie variiert also — im Gegensatz zur Taktik — nur nach den verschiedenen Etappen der Revolution. Die Kommunisten gehen an alle Aufgaben unter strenger Beachtung dieses Unterschiedes heran. Bei ihrer Taktik ist der „Satz vom Kampf der Gegensätze" zu beachten. Die Kommunisten vernichten bei jeder Verschärfung der Gegensätze, wo immer sie in den eigenen Reihen oder bei den Gegnern solche bemerken, konsequent den schwächeren Teil. Die Taktik richtet sich auch besonders darnach, daß laut Stalin die Voraussetzungen zur Weltrevolution nicht allmählich günstiger werden, sondern auch dem Gesetz von Ebbe und Flut unterliegen. Zur außenpolitischen Taktik der UdSSR gehört es, eine Scheinsouveränität einer Annexion vorzuziehen. Die Abkapselung der Sowjets von der westlichen Welt wird innenpolitisch durch die Behauptung gerechtfertigt, daß die kapitalistische Einkreisung einen Schutzwall erforderlich mache. Zur Taktik des Kommunismus gehört das Ausnützen der verschiedenen Ressentiments der Nationen zur Propagierung politischer Ziele: die Abneigung der slawischen Völker gegen die Deutschen wird durch das Gespenst der Erneuerung des preußischen Militarismus genährt und zugleich wird von einem vereinigten, friedliebenden Deutschland gesprochen.

P. Gustav Wetters Referat war naturgemäß der Höhepunkt der Tagung. Wetter, der Verfasser eines Buches über den dialektischen Materialismus, seine Geschichte und sein System in der UdSSR, beleuchtete als katholischer Ordenspriester „Kommunismus und Christentum“. Er stellte die Fragen: Was ist der Kommunismus seinem innersten Wesen nach? Welche Stellung nimmt der Kommunismus in der christlichen Heilsgeschichte ein? Und auf welchem Wege können wir dem Kommunismus begegnen? Wetter legt a priori fest, der Kommunismus sei mehr als eine Partei oder eine soziale Bewegung: Er ist gleichsam eine Religion; dies gibt ihm seine dynamische Kraft und darin liegt der Kernpunkt der Gegnerschaft. Eine Bekämpfung des Kommunismus schießt an ihrem -Ziel vorbei, wenn sie in ihm die Verwirklichung eines mechanistischen Materialismus sieht. Kommunismus als Religion: das ist der dialektische Materialismus. Dieser dialektische Materialismus erkennt die Unterschiede zwischen dem Menschengeist und der Tierpsyche an. Er gesteht den geistigen Tätigkeiten ein Eigenleben zu; er behauptet aber, daß sich im Laufe der Evolution das Höhere genetisch aus dem Niederen entwickelt habe. Die Kräfte, die nach Marx die Höherentwicklung der Materie bestimmen, sind die sich ändernden Produktionsweisen. Lenin fügte als geistigen Faktor das Klassenbewußtsein hinzu. Stalin, der die Frage stellte, was nach dem Aufhören des Klassenkampfes an die Stelle des Klassenbewußtseins treten sollte, sah die Triebkräfte in folgenden geistigen Faktoren: Begeisterung des sowjetischen Menschen für die gemeinsame Arbeit, Freundschaft der Nationen der UdSSR, Sowjetpatriotismus, Kritik und Selbstkritik. In all dem bleibt der Grundgedanke, daß die Materie aus eigener Kraft zur Vollkommenheit emporsteige. Während dem mechanistischen Materialismus alles Höhere nichts als eine Illusion ist, erkennt der dialektische Materialismus das Geistige in der Weise an, daß es eine Eigenschaft der Materie sei. Hier ist der primordiale Gegensatz zur christlichen Auffassung. Der Materie werden göttliche Eigenschaften — Ewigkeit, Unendlichkeit, Schöpferkraft, unendliche Geistigkeit — zugeschrieben, die Materie wird zur Gottheit erhoben. Während die christliche Philosophie von der geistigen Tätigkeit des Menschen auf einen geistigen Träger schließt, überträgt der kommunistische Materialismus diese Fähigkeit auf die Materie. Das System ist somit entschiedene Umkehrung des Christentums, ein „umgestülpter Handschu h“. Der Kommunismus will seine Maxime und seine Praxis der Erlösung und Befreiung, der Verklärung und Vergöttlichung der Welt von unten her und aus eigener Kraft. Das Christentum will seine Maxime und Praxis der Erlösung, Befreiung, Verklärung und Vergöttlichung der

Welt nicht aus eigener Kraft von unten her, sondern von oben, als Gabe von Gott, der sich in der Schöpfung und Erlösung in den Bereich des Materiellen herabläßt und die Welt heimholt. Der Materialismus beruht letztlich auf der Willensentscheidung des Menschen, die Erlösung nicht wie das Christentum als Gnade von oben zu empfangen, sondern sie prometheisch aus eigener Kraft zu bewirken. Der einzelne Christ wird der Gnade nur teilhaftig als Glied der Kirche, die das Erlösungswerk weiterführt; für den Kommunisten ist die Partei das Lebenselement, er verhält sich gegenüber der Partei wie der Gläubige zu seiner Kirche; die kommunistische Methode ist nicht eine Philosophie, sondern eine Theologie, der sowjetische Philosoph findet keine neuen Wahrheiten, sondern durchleuchtet nur den Gesamtwillen der Partei. Der Kommunismus ist das letzte Produkt eines Auflösungsprozesses der Christenheit. Erst spaltete sich die „Una Sancta“ in die Ost- und Westkirche, beide aber blieben Kirchen. In der Reformation wandte sich der Mensch von der Kirchengläubigkeit ab, behielt aber den persönlichen Gott bei. In der Aufklärung wurde auch der persönliche Gott abgelehnt und es blieb nur ein höheres Wesen. Der Materialismus stürzte auch dieses, erhob aber dann seinerseits, die

Materie zur Gottheit. Diese Entthronung Gottes und Vergötzung der Materie kann nidt der letzte Sinn der christlichen Heilsgeschichte sein. Die letzte Ueberwindung des antigöttlichen Dynamismus der falschen Religion des Kommunismus kann nur auf religiösem Boden erfolgen. Es gilt, einen neuen Einbruch des Göttlichen in die Geschichte herbeizuführen, die Kraft Gottes muß aufs neue in der Zeitgeschichte offenbar und wirksam werden können.

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