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Der vergessene Herrscher

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Ein Volk, das mit Recht von sich behaupten darf, Frieden. und Kultur Jahrhunderte hindurch ve-mittelt zu haben, darf ruhigen Gewissens in seinen Annalen blättern, es muß gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt, der uns Befreiung aus unver-sdiuldeter Schmach brachte, der Vergangenheit gedenken und sich dankbar jener Männer erinnern, die es zu dieser geistigen Höhe brachten. Verlassen wir die Methoden einer schlachtenregistrierenden Geschichtslehre und interessieren wir uns und unsere Jugend für die geistige Entwicklungsgeschichte unseres Volkes. Wie viel wurde da geflissentlich verschwiegen, verdreht und vergessen. Wir werden dann allmählich auch in der breiten Masse die Erkenntnis aufsteigen sehen, das „groß“ jene Staatenlenker waren, die ihre Völker eben nicht vor den Kriegskarren spannten, sondern in den Belangen geistiger und ethischer Entwicklung voranmarschieren ließen.

Aus dem Vorhergesagten erkennen wir auch den Grund, warum Leopold II. vergessen wurde, der, als römisch-deutscher Kaiser von 1790 bis 1792 regierend, in scinfrn^Dettkeri 'und Handeln seiner Zeit weit vorauseilte. Viele Historiker wollten Leopold II. zum Gegenspieler der Ideen der Französischen Revolution zeichnen. Sie hatten unredit. Die moderne Geschichtsforschung, so Zwiedinek, Heinrich von Sybel, Alfons Huber und andere, rückten die überaus interessante und bedeutungsvolle Gestalt dieses Habsburgers erst ins wahre Licht. Niemals hat sich Leopold der rein ideellen Seite der französischen Vorgänge entgegengesetzt, solange sie sich in den Bahnen der Legalität bewegte. Wohl aber stand er im Gegensatz zu einem Großteil der Reformen seines ältesten Bruders Josef II.

Die Verschiedenheit ihrer staatsrechtlichen Auffassungen ist auf den ersten Blick nicht deutlich erkennbar. Sowohl Josef II. als auch sein Nachfolger und kaiserlicher Bruder Leopold von Toskana waren Reformatoren auf dem Gebiete der Verwaltung. Beide huldigten den Ideen der Aufklärung. Und dodi, welch bedeutender Unterschied in den Methoden, deren sich die Brüder bedienten. Josef war zügellos in seinem Eifer, den von ihm als richtig befundenen neuen Staat zu schaffen. Leopold hingegen ging langsam Sdiritt für Schritt vorwärts, sich stets vergewissernd, ob ihm das Volk auch auf dem neuen Pfade folgen könne. Josef war trotz seiner Menschenliebe und seines Rechtsfanatismus nur der äußerliche Verfechter der Aufklärung, innerlich jedoch strengster Absolutist.

Das Gegenteil gilt für Leopold. Wohl hat auch dieser als Großherzog von Toskana sein Land absolutistisch regiert, weil es an einer Volksvertretung fehlte. Aus mehreren Briefen an seine Schwester Maria Christine geht jedoch eindeutig hervor, daß er sein Reformwerk durch eine den tos-kanische Verhältnissen angepaßte Verfassung zu krönen gewillt war. So schreibt Leopold vor' Antritt seines brüderlidien Erbes am 25. Jänner 1790 an seine Schwester und bezeichnet diesen Brief ausdrücklich als sein politisches Glaubensbekenntnis.

„Ich glaube“, sagte er, „daß der Souverän, selbst ein erblicher, nur der Delegierte und Beauftragte des Volkes sei, für welches er da ist, daß er diesem alle seine Sorge und Arbeit widmen soll. Ich glaube, daß jedes Land ein Grundgesetz oder einen Vertrag zwischen Volk und Souverän haben soll, welches die Macht des letzteren beschränkt, daß, wenn der Souverän dieses Gesetz nicht hält, er tatsächlich auf seine Stelle verzichtet, welche ihm nur unter der Bedingung übertragen ist, und daß man ihm zu gehorchen nicht mehr verpflichtet ist.“ '

Leopolds politisches Glaubensbekenntnis lautete weiter: „Ich glaube, daß der Souverän dem Volke jährlich genaue Rechnung über die Verwendung der öffentlichen Einkünfte schuldig ist, daß er nicht eigenmächtig irgendwelche Steuern und Abgaben auferlegen darf, sondern dieses Recht dem Volke zusteht, nachdem ihm der Souverän die Bedürfnisse des Staates auseinandergesetzt und das Volk sie durch seine Vertreter gerecht und billig gefunden hat.“

Hier spricht sich der Herrscher, welcher damals noch in Toskana regierte, in geradezu klassischer Klarheit für die Mitbestimmung des Volkes an den Regierungsgeschäften aus. Dies im Gegensatz zu seinem Bruder Josef, der, wie schon besprochen, durch und duch absolutistisch regierte. Nun könnte man freilich glauben, Leopold habe nur der Theorie gehuldigt. Aber er hat sich schon vorher ähnlich geäußert, so 1781, als der französische Minister Ne c k e r das absolutistische Dunkel, in das alle finanziellen Gärungen Frankreichs gehüllt wurden, plötzlich durch einen gedruckten Rechenschaftsbericht über Frankreichs Finanznot sensationell erhellte.

In diesem Zusammenhang schreibt Leopold an seinen Bruder Josef: „Es scheint mir, daß die Idee, dem Volke durch den Souverän über den Staat, seine Finanzen und deren Verwaltung Rechenschaft ablegen zu lassen, ruhmvoll, nützlich und gerecht sei! Denn die Finanzen gehören, wie alles, dem Volke und der Regent ist nur deren Verwalter.“

Dies die Ansicht Leopolds in finanziellen Belangen. Er war nicht Theoretiker, nicht politischer Ästhet. Was er verkündet hafte, setzte er auch in die Tat um. Nur sein allzu früher Tod verhinderte ihn, sein konstitutionelles Regierungsprogramm bis zum Ende durchzuführen. 1790 ließ er einen Rechenschaftsbericht über sein 25jähriges Wirken in Toskana drucken, worin er seine Reformen und namentlich die Verwaltung der Finanzen rückhaltlos darlegt. Es war das erstemal, daß ein Regent so öffentlich vor das Volk trat und, ohne im geringsten hiezu genötigt zu sein, die Kritik seines Wirkens geradezu herausforderte. Freilich konnte er dieser ruhig ins Auge sehen. In Toskana — das er vom JahVe 1765 bis 1790 im Wege der Sekundogenitur regierte -- hat dieser Sohn der großen Maria Theresia nichts als stets nur das Wohl des Volkes vertreten. Seine Reformen auf öko-nomisdiem od adiuinistrativem Gebiet waren systematisch, maßvoll und vor allem auch volkstümlich! So konnte Leopold in Toskana Erfolge der Reorganisation erzielen, die seinem zweifellos genialeren Bruder Josef II. versagt blieben. Die ruhige, kluge Art Leopolds hat Bleibenderes hinterlassen als Josefs dahinstürmendes Wesen.

Die Reformen des Großherzogs und späteren deutschen Kaisers können, aus ihrer Zeit ^heraus betrachtet, als epochal bezeichnet werden. So machte er das Grundeigentum frei, stellte die Selbstverwaltung der Gemeinden her, hob Monopole und das Zunftwesen auf, befreite Handel und Gewerbe von den auf ihnen lastenden Einschränkungen und führte das Freihandelssystem ein. Tortur und Inquisition wurden aufgehoben.

Bis in unsere Tage hinein hat das Volk stets einen feinen Instinkt gehabt für das Dauerhafte, für das Positive. „Laßt Taten sprechen“, war Leopolds Leitsatz. Daher mußte auch die Schlußrechnung Leopolds unverhältnismäßig günstiger ausfallen als jene seines kaiserlichen Vorgängers. 1790 ließ Leopold Toskana in geordneten Verhältnissen, mit einem Barschatz von fünf Millionen Lire!

In Toskana, fern von Krieg und großer Politik, hatte sich Leopold aus eigener Kraft, begabt durch einen klaren Sinn und hohe Geistesgaben, für das schwere Erbe vorbereitet, das er nun antreten sollte. Nüchtern und kühl denkend, wußte er die Schwierigkeiten nur zu gut zu ermessen, in welche die Erblande durch den Feuergeist Josefs getrieben wurden.

So traf ihn die Nachricht vom Tode seines Bruders Josef II. gefaßt und wohlvorbereitet. Was er vorfand? Einen im Zerfall begriffenen Staat, isoliert durch eine bizarre Außenpolitik, verwickelt durch einen Krieg mit der Türkei und eben bereit, in einen zweiten einzutreten. Der Kaiser hat in den zwei Jahren seiner Regierung Übermenschliches geleiset. Die innen- und außenpolitischen Gefahren konnte er abwenden und nach seinem Tode Österreichs Erblande in wohlgeordneten Zuständen seinem Nachfolger überlassen.

Und doch war es ein tragisches Geschielt, das ihn zum Nachfolger des legendär volka-tümlichen Josef bestimmte. Leopold, klug, ja geistreich, hat es trotz seiner volkstümlichen Taten selbst niemals verstanden, sich volkstümlich zu machen. Er war bereit, den großen Eroberungsplänen seines Bruders zu entsagen, um die Existenz des Gesamtstaato zu retten, und er war nüchtern genug, seine Person dem Wohle seiner Völker zu unterstellen.

Am 1. März 1792 raffte ihn ein plötzlicher Tod hinweg. Nur zwei Jahre hat er die Geschicke seiner Länder geleitet. Seiner weisen Führung war es in dieser kurzen Zeit geglückt, noch vor dem großen Völkerringen der napoleonischen Epoche Österreichs Völker zu einigen. Es war ein gütiges Geschick, das Österreich nach dem feurigen Josef II. einen so maßvollen und klugen Herrscher bescherte. Stand Leopold auch zu Beginn seiner Regentschaft im Schatten der Erinnerung an Josef, so hat er sich doch durch seine Kraft emporgearbeitet ins hellste Licht aufgebauten Erfolges.

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