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Der verhangnisvolle Stern

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Auf der Krim war es, daß Roosevelt, eingelullt durch den Hasser Morgenthau und in seiner Wachsamkeit geschwächt, verblendet durch die New Dealer vom Schlage Hopkins' und irregeführt durch den Verräter Alger Hiss, seine Unterschrift unter jene Dokumente setzte, die Deutschland der Herrschaft der Mitleids-losigkeit unterwarf, den russischen Griff nach dem Herzen des Kontinents legalisierte und die Austreibung von Millionen von Volksdeutschen ermöglichte ..., auf der Krim war es, daß Churchill, wider besseres Wissen, mit der englischen Unterschrift die Siegel des Grauens löste ...

So oder so ähnlich klang es in den vielen Leitartikeln, die von der Veröffentlichung des „State Department“ in Washington — die „Times“ sagte, sie sei auf falsche Weise, zum falschen Zeitpunkt und aus den falschen Motiven erfolgt — ausgelöst worden waren. Wie viele unter den Lesern solcher Zusammenfassung mögen geahnt haben, daß es in Jalta um grundandere Dinge gegangen ist? Daß man sich von den acht Vollversammlungen im Livadia-Palast auf sieben wegen der Frage, wie die polnische Regierung gebildet werden sollte, gestritten hat und daß man auf vier die Probleme der neuen Weltorganisation in den Mittelpunkt zu stellen für nötig fand? Daß die großen Entscheidungen vor allem den Fernen Osten betroffen haben? Daß, was Deutschland und seine Zukunft betraf, wenn man von der Schaffung der Zonen absieht, die die Annäherung russischer und amerikanischer Armeen ja unaufschiebbar gemacht hatte, überhaupt keine Beschlüsse gefaßt werden konnten? Daß schließlich Alger Hiss eine völlig unbedeutende Rolle gespielt hat? Die „negative Sensation“ der amerikanischen Veröffentlichung ist ja wohl die, daß wir nun eins mit größter Sicherheit wissen: Hiss kann voll des teuflischen Willens gewesen sein, auf die Geschehnisse hat er in Jalta trotzdem keinen Einfluß genommen.

Selbst der böse New Dealer Hopkins, der in jenen Tagen so sterbenskrank war, daß ihn die Armeeärzte am liebsten auf ein amerikanisches Kriegsschiff vor Sewastopol gebracht hätten, begann sich in dieser Zeit schon Gedanken zu machen, wie es möglich sein werde, die Admirale und Generale davon zu überzeugen, daß nicht der gesamte Schiffsraum für den pazifischen Krieg verwendet werden könnte, wenn es in Europa zu Ende gehe, daß vielmehr die Unterstützung des hungernden und frierenden Kontinents nicht an der Transportfrage scheitern dürfe.

Ist es also eigentlich in den Palästen der Romanows, Jesuppofs und Vorontzows ganz ordentlich, human und vernünftig zugegangen? War der Eindruck, den damals- die Amerikaner gewonnen hatten, daß die Russen wieder und wieder nachgegeben hätten — Hopkins hat dies einmal auf einem Zettel festgehalten, den er dem Präsidenten zuschob —, gar am Ende richtig, das nachträgliche Urteil aber falsch? Ach nein, das Urteil der breiten Masse über die Zusammenkunft auf der Krim hat im Grunde nicht so unrecht. Jalta stand unter einem verhängnisvollen Stern, nur über die Gründe des Versagens herrschen wirre und ganz unzutreffende Vorstellungen. Will man den Einstieg in die Tragödie freilegen, so muß man wohl von dem Gemeinplatz ausgehen, daß England, Rußland und Amerika in den Krieg von ihren angriffslustigen Gegnetn hineingezwungen wurden und ihn geistig stets als Verteidigungskrieg geführt haben. Selbst der Sieg besaß einen sozusagen negativen Inhalt, war nicht viel mehr als die Abwendung der Niederlage. Diese Beobachtung traf auch auf Rußland zu; wohl gab es für den Kreml das große Konzept der Weltrevolution, aber, in ein Ringen auf Leben und Tod verwickelt, gelang es keinesfalls, die unzähligen Maßnahmen und Improvisationen, die man auch auf dem politischen Sektor treffen mußte, mit dem Fernziel zu harmonisieren; auch wäre es naiv, anzunehmen, daß man den „vaterländischen Krieg“ ausrufen konnte, ohne damit Kräfte wachzurufen, die eine andere Stoßrichtung besaßen, als es im S.nne der ideologischen Weltumklammerung wünschenswert gewesen wäre.

Auch der Herr des Kremls erschien also auf der Krim ohne allzu klare Vorstellung davon, was geschehen könnte oder geschehen sollte. Es kam also gar nicht zu einem Ringen der großen Konzepte. Churchill hatte wenig zu bringen und dem, was Roosevelt sich zu dem Thema ..Neuorganisierung des Abendlandes“ hatte einfallen lassen, lauschte man zwar mit der Ehrfurcht, die man der amerikanischen Macht zollte, im einzelnen war es aber zu skurril und naiv, um als Verhandlungsbasis dienen zu können. Es kam einzig und allein zu einem armseligen Ausbalancieren der Kräfte, das dann in Potsdam seine Fortführung finden sollte. Dabei schoben sich die politischen Impulse nicht einmal dicht genug aneinander, es entstanden Vorstellungsvakuen und Enklaven des Zufalls. Ist es nicht bezeichnend, daß eine der monumentalsten Folgen von Potsdam, die Zweiteilung Deutschlands, gar nicht beabsichtigt war, sondern sich als Folge von Unfähigkeit und untergeordneten Akten bösen Willens einstellte?

Die Tragik von Jalta lag also nicht in den Beschlüssen, die man dort gefaßt hatte, sondern in jenen, die nicht geboren und niemals vorgebracht wurden, in dem Mangel gestaltender Kraft, in dem Manko einigenden Formungswillens. Hier, auf der Krim, hätten die Angelsachsen wie mit einer Zunge redend den großen Georgier mit ihren schöpferischen, großen Plänen überfallen müssen, denn er war damals noch in der Laune, manchmal nachzugeben. Sieht man die Dinge aus diesem Blickpunkt, dann wird das, was man denen entgegnen könnte, die sich über die Geschehnisse auf Jalta mit soviel blindwütigem Haß ereifern können, ein wenig schal. Sicherlich kann man sie darauf hinweisen, daß die westliche Verhandlungsposition durch den Entschluß Hitlers, den letzten, furchtbaren Stoß durch die Ar-dennen und gegen die Amerikaner zu führen, sehr erschwert worden war und daß man sich also ebensogut über diesen Entschluß erregen könnte. Aber* sie könnten, falls ihnen solche Argumentation liegen würde, mit Recht entgegnen, daß Hitler den antieuropäischen Aufstand bedeutet hat und daß also die Zusammenfassung der letzten Kraft in den Ardennen, der die Alliierten noch einmal mit dem Atem der Niederlage berührte, ein durchaus logischer Akt seines Daseins gewesen, während man von den 700 Männern, die am 3. Februar 1945 von der großen Luftflotte von Malta nach Jalta gebracht wurden, hätte erwarten können, daß sie sich als Treuhänder des großen europäischen Erbes fühlten, ganz gleich, ob sie jetzt diesseits oder jenseits des Atlantiks das Licht der Welt erblickt hatten.

Abschließend drängt sich die Frage auf, wieso das größte politische Genie, das die angelsächsische Rasse im 20. Jahrhundert hervorgebracht: Churchill, angesichts der Notwendigkeit, Europa wiederaufzubauen, und angesichts ihres Kernes der deutschen Frage, eine so eigenartig sterile Haltung einnehmen konnte. Nun, wir sind gewohnt, Churchill als einen Riesen zu sehen, und vergessen daher allzuleicht, daß dieser Riese sehr oft einsam war und sehr oft gefühlt hat, was es heißt, die ungeheure Kraft der Massenströmung gegen sich zu wissen. Zweimal hatte er ihre volle Gewalt gespürt: Unmittelbar nach dem Krieg der Jahre 1914 bis 1918, als er die deutsche Not lindern wollte, und unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers, als er, einer immer unbeliebter werdenden Kassandra gleichend, vor den Dingen, die da kommen sollten, warnte. Nun hätte es gegolten, sich ein drittes Mal allen Emotionen der Masse entgegenzuwerfen. Diese unheimliche Aussicht hat seinen schöpferischen Willen versengt. In einem Brief an Eden hatte der große Premier am 5. Jänner 1945 geschrieben: .....ich bin, wo immer ich die öffentliche Meinung erforschte, von der Tiefe der Abneigung beeindruckt, die eine Politik, Deutschland wieder auf die Beine zu helfen, auslösen würde ... ich kenne aber auch gut die Gründe, die dafür sprechen, keine vergiftete Gemeinschaft im Herzen Europas' zu haben ... ich würde vorschlagen, daß wir, angesichts aller Arbeit, die es zu erledigen gilt, uns nicht im vorhinein mit diesen überaus ernsten Diskussionen und den Schismen, in die sie sich entwickeln können, befassen ... die furchteinflößenden Sturmfluten des Gefühls werden die Gehirne der meisten Menschen beherrschen, und unabhängige Erscheinungen werden nicht nur einsam, sondern jeder Wirkungsmöglichkeit beraubt sein.“

In diesen großen, seltsam verzagten Worten scheint die Tragödie von Jalta vorweggenommen.

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