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Der Vietkong probt den Aufstand UD

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Selbstschutzformalionen im eigentlichen Sinne gab es am Tage des Losbrechens der Tet-Offensive in Saigon nicht. Die Verbindung zu Regierungsstellen rifj sofort ab.

Neben dem Dutzend schwarzgekleideter Vietkongs, die die US-Botschaft überraschend angriffen, hatten sich weitere kleine Gruppen aus ihren Verstecken am frühen Morgen aufgemacht, um andere wichtige Gebäude der zivilen und militärischen Verwaltung zu stürmen. Einer dieser Trupps griff von rückwärts den Präsidentenpalast an. Niemand weifj recht, warum die Planer der Vietkong-Offensive gerade an dieser Stelle losstürmten, wo die Militärpolizei kleine Bunker zum Schutze des Palastes eingerichtet hatte und besetzt hielt. Wäre der Angriff durch den Park — nur etwa hundert Meter weiter von dem tatsächlichen Angriffsziel entfernt — erfolgt, so wären die Aussichten für die Angreifer erheblich besser gewesen. Es hat den Anschein/ dafj der Versuch, Saigon einem Chaos auszuliefern, von Anfang an den einen Fehler hafte, dafj man sich zu streng an irgendwelche Überlegungen hielt, die vom Angriffsobjekt weit entfernt ausgearbeitel worden waren; Neben dem Präsidentschaftspalast waren weitere Ziele: das Parlamentsgebäude, die Stadtverwaltung, das Hauptquartier der südvietnamesischen Streitkräfte, das rückwärtige US-Hauptquartier, große Versorgungslager und Depots und — in der späteren Phase der Kämpfe — die Chinesenstadt Cholon, in der sich einige der wichtigsten buddhistischen Zentren befinden.

Zählt man die bereits erwähnten Polizeistationen hinzu, die sämtlich angegriffen wurden, so läßt sich sagen, daß an sehr vielen Stellen die Probe auf die Wachsamkeit der Verteidiger gemacht wurde. Das zentrale Gebäude der Feuerwehr gehörte dagegen nicht zu den Angriffsobjekten, die Motorspritzen und Leiterwagen konnten zunächst ungehindert zu den Einsatzorten fahren. Dabei kam der Feuerwehr zugute, daß um diese Zeit die Straßen so gut wie menschenleer waren. Die Vietkongs hatten nicht nur rückstoßfreie Geschütze, schwere Granatwerfer und Spezialisten im Hand- granatenweitwurf zur Nieder- kämpfung der Angriffsziele eingesetzt, sie hatten auch erfahrene Brandstifter unter ihren Kommandos.

So kam es zu einem Duell zwischen Terroristen und Feuerwehrleuten. Saigon kannte bisher keine freiwillige Feuerwehr, also lag die Last des Brandschutzes ausschließlich auf der Berufsfeuerwehr. Erst nach Tagesanbruch halfen den Feuerwehrleuten freiwillige Zivilisten, fast immer geschah dies aus eigenem Entschluß.

Eine seltsamere Brandbekämpfung dürfte die Geschichte der Feuerwehr kaum je erlebt haben: die Helfer wurden nämlich beschossen! Mancher Feuerwehrmann stürzte getroffen von der Leiter, und doch zog sich die Feuerwehr von keinem Einsatzort zurück. Erst im Laufe des ersten Kampftages gab es einige Erleichterungen: rasch alarmierte amerikanische und südvietnamesische Einheiten trafen aus der Umgebung Saigons ein, Polizeistationen, die sich freigekämpft hatten, sandten Verstärkungen, Heckenschützen wurden niedergekämpft.

Aber bis es so weit war, wurde die Bevölkerung selbst auf die Probe gestellt, wem sie sich anschließen wolle. Der Geheimsender der Viet-

kongs verbreitete Aufrufe an die Massen, sich den Kommunisten anzuschließen, Flugblätter wurden verteilt, in denen zur Bildung von Revolutionsausschüssen aufgerufen wurde. Diese Beeinflussung blieb ohne Resultate. Spontan haben sich in manchen Straßen Stadtbewohner zusammengeschlossen, bei denen nicht immer leicht zu sagen ist, inwieweit sie im europäischen Sinne Selbstschutzverpflichtungen ausübten und inwieweit sie eigentlich als „spontane Milizen“, die Kampfaufgaben erfüllten, zu betrachten Sind. '

Alle Aktionen trugen den Charakter des Provisorischen, das gilt jedoch für die Verteidiger, nicht für die Vietkongs. Diese mußten bald erkennen, daß ihre Erwartung, die Bevölkerung werde eine Massen- rebelliion auslösen, vergeblich war. So verschanzten sich diejenigen, die nicht bereits im Kampf gefallen waren, in Gebäuden und hielten dort fast ausnahmslos bis zu ihrem Tode aus. Erst diese Tatsache gab den Kämpfen die letzte Härte und die tagelange Dauer. In manchen Fällen hatten sich die Vietkong- überlebenden in Eckhäusern eingenistet. die Straßenkreuzungen beherrschten. Dies führte dazu, daß die Versorgung einiger Stadtteile mehrere Tage lang gefährdet war, der öffentliche Verkehr kam ganz zum Erliegen.

Genug wachsam?

Der wahrhaft tapfere Einsatz der Feuerwehrleute aber machte sich bezahlt: fast alle Brandherde konnten lokalisiert werden. Wo es größere Brände gab, zum Beispiel längs des Saigonflusses und in Cholon, da blieb der Schaden in Grenzen, weil es sich meist um leichtgebaute Lagerhallen handelte, die niederbrannten. Flächenbrände mit ihren katastrophalen Folgen konnten vermieden werden und die öffentlichen Gebäude trugen zwar durch Beschuß Kampfesspuren davon, wurden jedoch nicht zerstört.

Es hat den Anschein, als ob die südvietnamesischen Behörden einiges aus dem Debakel gelernt haben. Wer heute nach Saigon kommt, der muß die Stadt schon gut kennen, wenn er noch Zerstörungen sehen will. Die meisten Reparaturen sind von den Bewohnern selbst ausgeführt worden. Die Regierung stellt Zement und Transportmittel zur Verfügung, in vielen Fällen fanden sich auch Helfer aus der Nachbarschaft. So etwas wie ein Skelett eines Selbstschutzes ist aufgebaut worden. Die Feuerwehr ist heute stärker als im Februar. Studentinnen haben sich freiwillig gemeldet oder wurden verpflichtet, um in Krankenhäusern und Verwaltungsstellen eingesetzt zu werden. Ihre männlichen Kollegen erhalten eine vormilitärische Ausbildung.

Sehr zu wünschen übrig läßt dagegen diie allgemeine Wachsamkeit. Es ist kaum zu glauben, entspricht aber der Leichtfertigkeit vieler Menschen, daß schon wenige Wochen nach dem Überstehen einer großen Gefahr wieder der alte Leichtsinn eingerissen ist. Obwohl zum Beispiel in den militärischen Dienststellen Plakate daran erinnern, daß die Soldaten ihre Waffen bei sich haben müssen, sieht man bereits wieder viele Uniformträger ohne Handwaffen herumspazieren. Die Sperrstunde ist verschärft worden; sie dauert jetzt von 19 Uhr bis 7 Uhr morgens. Amerikanische Soldaten dürfen ihre Dienststellen nicht ohne schriftliche Erlaubnis verlassen, die wichtigsten Gebäude in Saigon sind schärfer denn je bewacht.

Immerhin hat die Regierung große Lager eingerichtet, in denen Flüchtlinge, aber auch Versorgungsgüter untergebracht sind. Allein in Saigon schätzt man die Zahl der Flüchtlinge, die sich dort auch nach dem Ende der Tet-Offensive aufhalten, auf etwa 80.000 Menschen. Viele von ihnen haben in Schulen, Pagoden und Kirchen, andere bei Verwandten Zuflucht gefunden. Rotes Kreuz und caritative Organisationen der Katholiken und Buddhisten suchen ihnen zu helfen. Bedeutend sind auch die Unterstützungen, die von Wohltätigkeitsorganisationen aus den USA kommen.

Wer von der Bekämpfung der Flüchtlingsnot spricht, sollte nicht übersehen, was die amerikanische Truppe selbst leistet. Es dürfte viele Militärärzte geben, die mehr Zeit für die Betreuung von Zivilisten aufbringen als für die eigene Truppe. Es gibt Soldaten, die viele Stunden ihrer Freizeit dafür opfern, bei dem Bau von Notunterkünften behilflich zu sein. Mancher Amerikaner hat Waisenkinder adoptiert, Militärgeistliche unterhalten Heime, Ehefrauen von Offizieren gehen als Krankenpflegerinnen in Hospitäler. Kurz, wer über die amerikanische Anwesenheit in Südvietnam spricht, der sollte auch nicht an diesen freiwilligen Hilfeleistungen vorübergehen.

Der Wiederaufbau ist voll im Gange

Notunterkünfte sind vorhanden, Reserven an Lebensmitteln wurden angelegt. Die zivilen Nachrichtenverbindungen sind etwas besser als früher, aber genügt das? Im groben würde eine neue Offensive der Vietkongs — und mit ihr rechnet man in Saigon noch vor dem November, dem Monat der amerikanischen Präsidentschaftswahlen — aus dem Blickwinkel der Verteidiger wie folgt aussehen: Es liegen heute in Saigon und den großen Provinzstädten wie Hue und Danang mehr Kampftruppen als zuvor. Außerhalb der Städte hat man sich bemüht, Säuberungsoperationen durchzuführen, aber man schätzt auch, daß bis zu 2000 Vietkongs noch in Saigon sitzen, wo sie vorerst friedlichen Beschäftigungen nachgehen. Was die Verkehrsmittel angeht: so hat die „Air Vietnam“ ihren Dienst wiederauf genommen, sie fliegt zahlreiche Städte im Lande im Lokalverkehr täglich an und auch ein Teil der Lebensmittel für Saigon wird in Transportmaschinen hereingebracht.

Die mutigen Eisenbahner haben begonnen, wenigstens eine Rumpfstrecke von Saigon aus wieder zu befahren. Ich habe eine solche Fahrt erlebt: zunächst kommt ein leerer Wagen, der die Reisenden gegen Minen schützen soll. Dann kommt ein zweiter Wagen, der zwar für den Reiseverkehr freigegeben ist, in dem jedoch kaum Passagiere sitzen. Diese halten sich überwiegend im letzten Wagen auf. Die Waggons werden von einer Diesellokomotive geschoben. Uneingeschränkt verkehren wieder die Nahverkehrsomnibusse im Raum Saigon. Sie dürfen allerdings nur bei Tage fahren. Die Telephonleitungen, soweit sie bei den Kämpfen zerstört wurden, sind inzwischen wiederhergestellt worden, der Postverkehr funktioniert, wenn auch mit Verzögerungen.

Um Saigon ist ein Netz von „Wehrdörfern“ entstanden. Amerikanische Flugzeuge haben Karten an Bord, in denen diese Dörfer markiert sind. Sie gelten als „Feuerschutzzone“, dürfen also nicht angegriffen werden. Die Polizei hat in diesen Dörfern Forts errichtet, die am Ortsrand liegen. Überall sind Kontrollen durch die Polizei häufig; vor allem werden Gepäckstücke auf Fahrrädern kontrolliert, weil in ihnen gelegentlich Bomben versteckt sind. Jedoch haben zunächst die Feuerüberfälle in der Hauptstadt aufgehört, auch Bombenattentäte sind selten geworden. Es gibt Tausende von jungen Männern, die in Uniformen herumlaufen. Man hat nicht genügend Waffen für sie. Und vor allem fehlt es an militärischen Ausbildnern. Ob diese Männer nicht besser dazu dienen würden, die wenigen Bautrupps zu verstärken oder für andere Selbstschutzaufgaben verwendet zu werden?

Die Bevölkerung wartet ab. Die erneuten Kämpfe Anfang Mai stellen sicherlich nicht das letzte Kapitel im Kampf um Vietnam dar.

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