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Der VOlkerlehrer auf dem papstlichen Thron

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„Seine eigene Meinung aussprechen zu können über die ihm auferlegten Pflichten und Opfer; nicht gezwungen zu sein zum Gehorchen, ohne erst gehört zu werden, das sind zwei Rechte des Staatsbürgers, die in der Demokratie, wie schon ihr Name sagt, ihren Ausdruck finden. An der Festigkeit, am Einklang und an den guten Folgen dieser Verbindung zwischen Staatsbürger und Staatsregierung kann man ermessen, ob eine Demokratie wirklich gesund und ausgeglichen und wie stark ihre Lebens- und Entwicklungskraft ist. “Was sodann Art und Umfang der von allen Staatsbürgern geforderten Opfer betrifft — bei der in unserer Zeit so ausgedehnten und einschneidenden staatlichen Gesetzgebung —, so erscheint vielen die demokratische Regierungsform als eine von der Vernunft selbst gestellte natürliche Forderung. Wenn man aber nach „mehr Demokratie und besserer Demokratie“ ruft, so kann ein derartiges Verlangen nur bedeuten, es müsse dem Staatsbürger immer mehr die Möglichkeit geboten werden, sich eine eigene persönliche Ansicht zu bilden, ihr Ausdruck zu verleihen und in einer dem Gemeinwohl entsprechenden Weise Geltung zu verschaffen.“

„In einem Volke, das dieses Namens würdig ist, fühlt der Bürger in sich selbst das Bewußtsein seiner Persönlichkeit, seiner Pflichten und seiner Rechte, seiner eigenen Freiheit verbunden mit der Achtung vor der Freiheit und Würde der andern. In einem Volke, das dieses Namens würdig ist, bilden alle die Ungleichheiten, die nicht von der Willkür, sondern eben von der Natur der Dinge, von der Ungleichheit der Bildung, des Besitzes, der gesellschaftlichen Stellung herrühren — wohlgemerkt ohne Nachteil für Gerechtigkeit und wechselseitige Liebe — durchaus kein Hindernis gegen das Bestehen und Oberwiegen echten Geistes der Gemeinschaft und Brüderlichkeit. Im Gegenteil, weit enfernt die bürgerliche Gleichberechtigung irgendwie zu verletzen, verleihen sie ihr ihren wahren Sinn, daß nämlich jeder dem Staate gegenüber das Recht hat, in Ehren sein persönliches Eigenleben zu führen an dem Posten und unter den Bedingungen, in die ihn die Fügung und Führung der göttlichen Vorsehung gestellt hat.

In welchem Gegensatz zu diesem Idealbild demokratischer Freiheit und Gleichheit in einem von ehrbaren und umsichtigen

Händen regierten Volke steht das traurige Schauspiel eines demokratischen Staates, der der Willkür der Masse ausgeliefert ist! Die

Freiheit, obgleich eine persönliche sittliche Pflicht, verwandelt sich in einen tyrannischen Anspruch auf ungehemmte Befriedigung menschlicher Gier und menschlicher Triebe zum Schaden für die andern. Die Gleichheit entartet in geistlose Gleichmacherei, in eine eintönige Gleichschaltung. Sinn für wahre Ehre, persönlicher Einsatz, Achtung vor Überlieferung, “Würde, mit einem Worte alles, was dem Leben seinen Wert verleiht, geht allmählich unter. Übrig bleiben nur auf der einen Seite die vom Zauber einer scheinbaren Demokratie getäuschten Opfer, einer Demokratie, die sie arglos mit dem Geiste der Demokratie, mit Freiheit und

Gleichheit verwechselt hatten, auf der anderen Seite die mehr oder minder zahlreichen Gewinner, die es verstanden haben, mit der

Macht des- Geldes oder der Organisation sich eine bevorzugte Stellung, ja die Gewalt über die andern zu sichern.“

„Der demokratische Staat, ob Monarchie ob Republik, muß wie jede andere Regierungsform mit wahrer und wirksamer Autorität ausgestattet sein. Dieselbe unbedingt gültige Ordnung des Seins und der Zwecke, die den Menschen als autonome Persönlichkeit ausweist, das heißt als Träger von unverletzlichen Pflichten und Rechten, als Ursprung und Ziel seines gesellschaftlichen Lebens, diese Ordnung umfaßt auch den Staat als eine notwendige Gesellschaft, bekleidet mit der Autorität, ohne die er weder bestehen noch leben könnte. Wenn die Menschen im Hochgefühl ihrer persönlichen Freiheit jegliche Abhängigkeit von einer übergeordneten, mit Zwangsgewalt ausgestatteten Autorität leugnen wollten, würden sie allein schon dadurch die Grundlage ihrer eigenen Würde und Freiheit, nämlich jene unbedingt gültige Ordnung des Seins und der Zwecke untergraben.

So auf der gleichen Grundlage fußend, sind die Persönlichkeit, der Staat und die öffentliche Gewalt mit ihren zugehörigen Rechten derart eng verbunden und verwoben, daß sie miteinander stehen oder fallen.

Da nun diese unbedingt gültige Ordnung im Lichte der gesunden Vernunft, besonders aber im Lichte des christlichen Glaubens keinen anderen Ursprung haben kann als den persönlichen Gott, unseren Schöpfer, so ist klar, daß die Würde des Menschen, die Würde des Ebenbildes Gottes, die Würde des Staates, die Würde der Öffentlichen Gewalt, die Würde ihrer Teilnahme an der Autorität Gottes ist.

Keine Staatsform kann diese innige und unauflösliche Verknüpfung außer acht lassen; weniger noch als jede andere die Demokratie. Wenn daher der Inhaber der öffentlichen Gewalt sie nicht sieht oder mehr oder minder sie übersehen will, so erschüttert er die Grundlagen seiner eigenen Autorität. Ebenso wenn er jene Verbindung nicht genügend berücksichtigt und in seinem Amt nicht die Sendung erkennt, die von Gott gewollte Ordnung zu verwirklichen, so entsteht die Gefahr, daß Herrschsucht oder Eigennutz die wesentlichen Forderungen der politischen und gesellschaftlichen Sittlichkeit übermannt und oft der leere Schein rein formaler Demokratie nur als Maske für etwas ganz Undemokratisches dient.“

(Aus der Ractiobotschaft vom 24. Dezember 1944.)

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