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Der Weg in den Kaschmirkrieg

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Die uescnicnte aes gegenwartigen, zu einem Kriege zwischen Indien und Pakistan auagearteten Kaschmirkonfliktes ist schon in der Geschichte des Begriffs „Pakistan“ enthalten. Im Jahre 1930, als die heutigen Gebiete Indiens und Pakistans noch unter britischer Herrschaft vereint waren, prägte der in England studierende Choudhry Rahmat AU das Wort „Pakistan“, das er aus den Anfangsbuchstaben verschiedener indischer Provinzen — darunter auch Kaschmir — zusammensetzte. Das „k“, im Worte „Pakistan“ bedeutet demnach — Kaschmir. Der Anspruch des heutigen Indiens auf Kaschmir kommt deshalb, etymologisch gesehen, einem Versuch gleich, die Existenzberechtigung Pakistans in Frage zu stellen.

Der studentische Erfinder des Wortes Pakistan hatte Kaschmii keineswegs willkürlich in sein Wortspiel, das Weltgeschichte machen sollte, einbezogen. Ihm ging es darum, jene indischen Provinzen zusammenzufassen, die eine Moslem -Mehrheit aufwiesen, und in der Tal sind auch heute noch gut zwei Drittel der Kaschmir! Moslems. Da die 1947 erfolgte Teilung Britischindiens in die beiden unabhängiger Staaten Pakistan und Indien nach religiösen Gesichtspunkten erfolgte — Pakistan wurde aus Provinzer mit Moslem-Mehrheit, Indien aus solchen mit Hindu-Mehrheit gebildet —, wäre zu erwarten gewesen daß Kaschmir sich zu Pakistar schlagen würde. Aber die Geschieht« nahm einen anderen Verlauf.

Im August 1947, als Englanc Britisch-Indien die Unabhängigkei' gewährte, war den Fürsten der einzelnen Gebiete überlassen worden zu entscheiden, ob sie sich zu Indier oder zu Pakistan schlagen wollten Aber der Maharadscha von Kasclv mir, Sir Hart Singh, zögerte diesi Entscheidung hinaus, da es ir Kaschmir zu Aufständen gekommer war.

In dieser Situation ersuchte dei Maharadscha von Kaschmir Indier um militärische Hilfe, die zu gewähren Indien noch so gerne berei war, aber unter der Bedingung, dal der Maharadscha, der ursprünglict von einem unabhängigen Kaschmd geträumt hatte, Kaschmir der Indi sehen Union einverleibe — was e denn auch tat. Der britische Gene ralgouverneur Lord Mountbattei billigte diesen Entschluß, jedoch mi dem ausdrücklichen Vorbehalt, dal später, nach Beendigung der Wirrer; ein Plebiszit organisiert würde, ii dem das Volk von Kaschmir selbs über seine Zugehörigkeit zu Indiei oder zu Pakistan entscheiden könne

Durch Vermittlung der UNO kau es im Jänner 1949 zu einem Waffenstillstand in Kaschmir. Die etwas mehr als vier Millionen Einwohner zählende Provinz wurde entlang einer 800 Kilometer langen Demarkationslinie aufgeteilt. Der größere Teil mit dem fruchtbaren Tal von Kaschmir, der Sommerhauptstadt Srinagar und der Provinz Jammu wurde Indien zugesprochen, während Pakistan im wesentlichen nur unfruchtbare Gebirgstäler erhielt.

Bald nach dem Waffenstillstand versuchte die UNO, die Voraussetzungen für das vereinbarte Plebiszit zu schaffen. Aber nach wiederholten Bemühungen mußte der UNO-Vermittler Sir Owen Dixon im August 1950 dem Sicherheitsrat mitteilen, daß seine Mission gescheitert sei, da Indien nicht bereit sei, einer Entmilitarisierung zuu-stimmen.

Entgegen der Zusage Nehrus hat Indien von allem Anfang an die Durchführung einer Volksabstimmung in Kaschmir sabotiert, und in dieser Weigerung Indiens, dem Volk von Kaschmir sein Selbstbestimmungsrecht zuzugestehen, muß man die entscheidende Ursache der Entwicklung des Kasohmir-konfliktes bis zum heutigen Krieg zwischen Indien und Pakistan sehen. Die Furcht Indiens Vor einer Volksbefragung ist selbstverständlich nicht unbegründet, denn fast alles spricht dafür, daß die Kaschmiri sich für Pakistan oder — falls ihnen diese Möglichkeit geboten worden wäre — für die Unabhängigkeit entschieden hätten oder entscheiden würden.

1951 arbeiteten die Commonwealth-Premierminister drei Vorschläge aus: eine ordnungsgemäße Durchführung des Plebiszit sollte entweder durch Commonwealth-Tfuppen oder durch eine gemeinsame indisch-pakistanische Besatzungsmacht oder durch lokale Streitkräfte unter UNO-Kontrolle garantiert werden. Nehru lehnte alle drei Vorschläge ab, Pakistan hingegen erklärte sich mit allen einverstanden.

Dann ging Indien noch einen Schritt weiter. Entgegen den Weisungen der UNO wurde im indischen Teil Kaschmirs eine verfassunggebende Versammlung gewählt, sofern man überhaupt von einer Wahl sprechen kann: die Wahlen waren offensichtlich manipuliert, da kaum Oppositionskandidaten aufgestellt werden durften und alle 75 „Gewählten'' der proindischen Nationalpartei Scheich Abdullahs, des berühmten „Löwen von Kaschmir“, angehörten.

Im August 1953 wurde Scheich Abdullah, ursprünglich ein Freund Nehrus, abgesetzt und verhaftet, da er in wachsendem Maße Kritik an der indischen Politik geübt hatte. Es kam zu blutigen Zusammenstößen zwischen indischen Truppen und pakistanfreundlichen Demonstranten. Abdullah blieb volle zehn Jahre eingekerkert.

Im November 1956 erließ die verfassunggebende Versammlung im indischen Teil Kaschmirs eine Verfassung, durch die ganz Kaschmii zu einem Teil Indiens erklärt wurde, Der Sicherheitsrat der UNO protestierte mit zehn gegen null Stimmen bei Enthaltung der Sowjet-• union gegen diese Verfassung.

Wiederholte Bemühungen dei UNO um eine Regelung dei ; Kaschmirfrage scheiterten an , Widerstand Indiens, das wedei

UNO-Truppen noch ein Schiedsgericht zulassen wollte.

1958 wurde Scheich Abdullah aus der Haft entlassen, doch kurz darauf wieder eingekerkert, da er die Zugehörigkeit Kaschmirs zu Indien in Frage gestellt und der verfassunggebenden Versammlung das Recht bestritten habe, darüber zu entscheiden.

Von 1953 bis 1963 regierte im indischen Teil Kaschmirs Premierminister Bafcshi, der ebenso korrupt wie gewalttätig war. 1963 wurde Bakshi gestürzt und durch den demokratischen Premierminister Sadiq ersetzt, der freilich im Wesentlichen der von Indien nach Srinagar entsandten „grauen Eminenz“ Bannerij untersteht.

Von großer Bedeutung ist der Im September 1960 zwischen Indien und Pakistan abgeschlossene Indus-Wasservertrag. Pakistan ist auf die Benützung eines Teils des Indus-Wassers angewiesen, und der Vertrag sollte Pakistan die Garantie geben, daß Indien die in Kaschmir entspringenden Flüsse nicht so reguliere, daß Pakistan ihres Wassers beraubt würde.

1960 schien sich zwischen Indien und Pakistan eine Versöhnung anzubahnen, da Nehru zu einem Staatsbesuch nach Pakistan flog und Ayub Khan eine Gegeneinladung Nehrus annahm. Aber schon bald darauf verschärfte sich die Situation wieder. Krishna Menon und andere indische Führer hatten in Reden erklärt, Indien werde der Herrschaft Pakistans über den pakistanischen Teil Kaschmirs ein Ende setzen. Auf Antrag Pakistans wurde im Februar 1962 der UNO-Sicherheitsrat einberufen, wobei Pakistan erneut die Durchführung einer Volksabstimmung in Kaschmir forderte, während Indien erklärte, Kaschmir sei auf Grund der Entscheidung des Maharadschas von 1947 eiiti Teil Indiens.

Ein weiteres Ereignis trug dazu bei, die Spannung zwischen Indien und Pakistan zu vergrößern: Als es 1962 zu der militärischen Auseinandersetzung zwischen Indien und China im Himalaya kam, beschlossen die USA, das bisher „neutralistische“ Indien mit Waffen zu unterstützen. Das hat entscheidend dazu beigetragen, daß sich Pakistans freundschaftliche Gefühle für den Westen abkühlten und es gleichzeitig versuchte, zu China ein besseres Verhältnis zu gewinnen. Auf Anregung Pakistans kam es im

März 1963 zu einem pakistanischchinesischen Grenzvertrag, wobei sich Peking sehr zuvorkommend zeigte: Man wollte in Peking die Chance nicht ungenützt lassen, Einfluß auf den großen Nachbarstaat und Gegner Indiens zu gewinnen. Damit wurde, wenn auch nur andirekt, eine dritte Macht in den Kasehmirkonflikt hineingezogen: China.

Was im Dezember 1963 und Jänner 1964 in Kaschmir geschah, erhellt doch auf symbolische Weise die Situation, aus der dieser Krieg entstanden ist. Am 26. Dezember 1963 entdeckte man, daß eine als heilige Reliquie verehrte Haarlocke Mohammeds aus der Moschee in Srinagar — der Hauptstadt des indischen Teils Kaschmirs — verschwunden war. Der mehrheitlich muselmanischen Bevölkerung bemächtigte sich eine große Erregung. Wäre die Haarlocke nicht einige Tage später unversehrt im Garten der Moschee wiedergefunden worden, wäre das Kaschmir-Pulverfaß vielleicht schon damals explodiert. In Ostpakistan und in Indien war es bereits zu blutigen Zusammenstößen zwischen Hindus und Moslems gekommen, die Hunderte von Todesopfern forderten.

Das Paradoxe, beinahe Unibegreifliche an diesem durch die Kaschmirfrage provozierten Krieg ist, daß man keine materiellen Interessen entdecken kann, die es einem erlauben würden, die Motive der Kriegsführenden zu verstehen. Diese Motive sind letztlich religiös-emo-tioneller Natur. Es ist primär ein Religionskrieg.

Da aber sowohl Pakistan wie Indien Staaten sind, die einerseits mit schweren inneren Problemen zu kämpfen haben und die anderseits in das große Spiel der internationalen Politik und vor allem der Auseinandersetzung zwischen „West“ und „Ost“ verstrickt sind, wurde dieses religiöse Motiv auf beiden Seiten zu einer Frage des Prestiges und damit der Staatsräson und des Nationalismus. So kann man etwa die verhängnisvolle, das Selbstbestimmungsrecht und die Prinzipien der Demokratie mißachtende indische Kaschmirpolitik nur verstehen, wenn man weiß, daß angesichts der Stimmung im Volk keine indische Regierung sich erlauben könnte, auf Kaschmir zu verzichten, wollte sie nicht Gefahr laufen, sogleich gestürzt zu werden, Mahatma Gandhi ist von einem

Hindu ermordet worden, und eines der Motive seines Mörders war die Tatsache, daß Gandhi für eine Aussöhnung zwischen Hindus und Moslems eingetreten war, Eine Rolle mag heute auch die Demütigung spielen, die Indien 1962 in der militärischen Auseinandersetzung mit den Chinesen von diesen zugefügt wurde. Die „New York Times“ schrieb kürzlich, die indische Armee suche nach einer Chance, nach den blutenden Wunden, die ihr von den Chinesen zugefügt worden sind, einen Beweis der Selbstbewährung liefern zu können. Die indische Regierung stehe zu Hause unter einem schweren Druck, den Konflikt mit Pakistan auszuweiten. All dies mag die indische Regierung zu dem Schritt verführt haben, der wohl das den heutigen Krieg unmittelbar auslösende Moment war: Indien hat in diesem Jahr den indischen Teil Kaschmirs offiziell in die Indische Union integriert und damit ein „fait accompli“ geschaffen, das Pakistan dazu verführen mußte, zur Gewalt zu greifen und durch Entsendung von Guerillas nach Kaschmir zu versuchen, die dortige Bevölkerung zu einem Bürgerkrieg gegen die eigene, indienhörige Regierung aufzuwiegeln.

Erst eine spätere Geschichtsschreibung wird herausfinden können, ob Pakistan sich der Gefährlichkeit seines Tuns bewußt war, ob es das Risiko eines Krieges mit Indien einkalkuliert und, wenn ja, ob es sich vorher der Unterstützung Chinas versichert hatte.

Dabei ist Pakistans Präsident, Feldmarschall Ayub Khan, in seinem ganzen Wesen ein „Mann des Westens“. Er meinte einmal, die nächsten fünfzehn oder zwanzig Jahre würden für das Schifcksal Pakistans entscheidend sein: „Entweder wir bestehen das Examen in dieser Zeit oder nicht. Wenn wir nicht bestehen, werden wir dem Kommunismus verfallen. Da wir dieses Schicksal vermeiden wollen, müssen wir rasche Fortschritte machen.“

Ayub Khan will also vermeiden, daß Pakistan kommunistisch wird. Aber falls er tatsächlich Rückendeckung bei den Chinesen gesucht hat, dann hat er zweifellos die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Pakistan das Examen, von dem er sprach, nicht wird be-stehen können.

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