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Der weite Weg

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Dieser Artikel erschien am 18. Jänner 1958.

Der Chefredakteur der Kathpress schildert darin die Bedeutung der Antwortnote unserer

Regierung an den Heiligen Stuhl, auf dessen

Schreiben im Jahr 1956. Zugleich wird jenes

„neue Klima“ in den Beziehungen Kirche und

Staat, Kirche und Parteipolitik angesprochen, das sich seither vielen Widerständen zum

Trotz durchgesetzt hat.

Als der österreichische Botschafter beim Heiligen Stuhl dieser Tage das Staatssekretariat im Vatikan aufsuchte, trug er in seiner Mappe ein Schriftstück, das ihn diesen Gang angenehmer erscheinen ließ, als so manchen früheren: die Antwortnote der österreichischen Bundesregierung an den Heiligen Stuhl auf dessen Schreiben im Jahr 1956. Mit dieser Antwortnote sollen die durch Jahre hindurch blockierten und gestörten Beziehungen zwischen Österreich und dem Vatikan wieder in geregelte und freundschaftliche Bahnen gewiesen werden. Die Note ist in ihrem Wortlaut noch nicht bekannt. Ihr Text wird veröffentlicht werden, Wenn ihr Empfang von Rom auf diplomatischem Weg bestätigt wird. Nun wird sich die Antwort Roms gewiß nicht auf eine bloße Empfangsbestätigung beschränken, sondern auch zum Inhalt der österreichischen Note Stellung nehmen. Nachdem sich die österreichische Regierung über ein Jahr Zeit gelassen hat, die seinerzeitigen Noten des Vatikans zu beantworten, wird sich Rom mit seiner Gegenäußerung gewiß nicht überstürzen. Man wird also hier etwas Geduld haben müssen, wenn man auch annehmen kann, daß das Interesse des Vatikans an der Bereinigung der ganzen Araglegenheit nicht geringer ist als das Österreichs.

Wenn also auch der Text der österreichischen Note nicht bekannt ist, so ist es doch nicht allzu schwer, aus den bekannten Anfragen des Vatikans und der innerösterreichischen Diskussion ihren Inhalt zu rekonstruieren. In dieser Note bekennt sich die österreichische Regierung zur Gültigkeit des Konkordats. Sie dürfte aber gleichzeitig auf die seit Abschluß dieses Konkordats in Österreich erfolgten politischen und rechtlichen Veränderungen hinweisen, die in Widerspruch zu einigen Bestimmungen des Konkordats stehen und den Vatikan um Einleitung von Verhandlungen für ein neues Konkordat ersuchen, in dem die beiderseits interessierenden Angelegenheiten einschließlich Schule und Ehe ihre Regelung finden sollen.

Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß die Antwort der österreichischen Bundesregierung wie alle Akte der Bundesregierung die Zustimmung aller Minister, die der Volkspartei ebenso wie die der Sozialisten, gefunden haben muß. Auch ein Kenner österreichischer Verhältnisse hätte eine solche Lösung noch vor einem Jahr für vollkommen unmöglich gehalten. Daß sie gefunden werden konnte, hat nicht nur juristische und politische, sondern auch menschliche Voraussetzungen, eben jenes Klima, von dem man soviel spricht und von dem man bis vor kurzem so wenig Reales gesehen hat.

Es war ein weiter Weg von 1934 über 1945 bis 1958. Ein weiter und ein beschwerlicher. Die Schwierigkeiten begannen schon beim Wort. Das Wort Konkordat hat in gewissen Kreisen des österreichischen Volkes, vor allem in der sogenannten liberalen Intelligenz und links von ihr keinen guten Klang. Es war, historisch gewiß nicht berechtigt, psychologisch aber um so stärker belastet von den Gefühlswerten des Absolutistischen, Reaktionären und Klerikalen seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

Was ist eigentlich ein Konkordat? Konkordate werden die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und einzelnen Staaten genannt, in denen die Rechtsstellung der katholischen Kirche umschrieben und die Staat und

Kirche gemeinsam berührenden Angelegenheiten geregelt werden. Durch die Form von Staatsverträgen sollen diese Materien aus einer bloß innerstaatlichen Regelung herausgehoben werden und die Stellung der Kirche als eine dem Staat gleichgeordnete societas perfecta unterstrichen werden.

Österreich hat mehr als ein halbes Jahrhundert ohne Konkordat gelebt, nachdem das nach 1855 abgeschlossene Konkordat 1870 von Österreich gekündigt worden war. Erst die Regierung Schober trat in den dreißiger Jahren mit dem Vatikan in Verhandlungen über ein neues Konkordat. Diese Verhandlungen wurden 1933 von Dollfuß abgeschlossen und das Konkordat nach der Maiverfassung 1934 von einem Parlament, in dem die Sozialdemokraten nicht mehr vertreten waren, ratifiziert. Vier Jahre bloß stand dieses Konkordat in voller Anwendung, die Nationalsozialisten kümmerten sich 1938 in Österreich um dieses Konkordat ebensowenig wie um das Reichskonkordat. Der wiedererstandene Staat ließ 1945 das Konkordat als ein innenpolitisch heißes Eisen einstweilen liegen. Der Vatikan hat lange geduldig gewartet, 1952 beim österreichischen Katholikentag erfolgte die erste Mahnung, aber erst nach der völligen Wiederherstellung der österreichischen Souveränität mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages wurden diese Mahnungen dringlicher. Sie führten schließlich 1956 zu zwei Noten des Vatikans, in denen die österreichische Bundesregierung gefragt wurde, ob sie die Gültigkeit des Konkordats anerkenne und bereit sei, dessen Bestimmungen auch einzuhalten. Es hat über ein Jahr gedauert, bis die österreichische Bundesregierung dazu eine positive Antwort fand.

Die Frage nach der rechtlichen Anerkennung war immer auch eine Frage der österreichischen Innenpolitik. Die Konkordatsfrage konnte nach 1945 nur mit Zustimmung der Sozialisten gelöst werden. Dies nicht nur deshalb, weil die Sozialisten als zweite Regierungspartei mitentscheiden, sondern weil sie einen so großen Teil des österreichischen Volkes vertreten, daß mit ihrer Mitwirkung erst jene breite Basis gegeben war, die auch der Kirche wertvoll erscheinen mußte. Es gab theoretisch zwei Wege, eine solche Zustimmung zu erreichen: 1. Der Weg des innenpolitischen Aushandelns und 2. der Weg des Miteinschaltens. Man hat der Volkspartei, die sich durch Jahre für das Konkordat eingesetzt hat, manchmal von katholischer Seite den Vorwurf gemacht, daß sie das Konkordat nicht auf innenpolitischem Kompensationsweg gegen sozialistische Forderungen eingehandelt habe. Wir halten einen solchen Vorwurf für ungerecht. Nicht nur, weil die Sozialisten von einem solchen Kompensationshandel nichts wissen wollten, ein solches Verfahren hätte gewiß den Wert der Konkordatsregelung beeinträchtigt und die Kirche erst recht wieder in ein politisches Patronatsverhältnis gebracht, das sie gewiß nicht anstrebte.

Die Sozialisten haben mehr als ein Jahrzehnt das Konkordat abgelehnt und für diese Ablehnung wechselnde und manchmal sehr fadenscheinige Begründungen gesucht. Diese Begründungen reichen von der Verfassungswidrigkeit des Maiparlamentes 1934 und des Dollfuß-Regimes bis zur Annexionstheorie, wonach das Österreich von 1945 mit dem Österreich vor 1938 überhaupt nichts gemein habe. Ja, die Sozialisten wollten nicht nur vom Dollfuß-Konkordat nichts wissen, sondern standen dem Gedanken eines Konkordates als eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl Jahre hindurch sehr kühl, um nicht zu sagen ablehnend gegenüber. Dies entsprach nicht nur ihrer traditionellen antikirchlichen Einstellung, die im Konkordat etwas Finsteres und Reaktionäres sah, sondern mehr noch ihrem streng etatistischen Denken, das alle Angelegenheiten nur durch innerstaatliche Gesetze geregelt wissen wollte und auch die Kirche nur als eine Art Verein besonderer Art betrachtete, für die das Vereintsreoht zuständig sei. Ja, später, als die Sozialisten im Zuge ihres politischen Umdenkens den Gedanken eines Konkordates nicht mehr prinzipiell ablehnten, wollten sie Ehe und Schule als Materie rein innerösterreichischer Gesetzgebung davon ausgenommen wissen.

Man sieht, es war ein weiter Weg von dieser negativen Haltung bis zur Anerkennung des Konkordates von 1933 und der Bitte um Verhandlungen über ein neues Konkordat mit Einschluß von Ehe und Schule. Es ist unmöglich, hier die einzelnen Stationen dieses Weges aufzuzählen, ebenso wie es unmöglich ist, die verschiedenen Phasen der innerösterreichischen Verhandlungen in der Konkordatsfrage zu verfolgen, die manchmal so verworren waren, daß man oft nicht genau zu sagen wußte, wer eigentlich für und wer gegen das Konkordat war.

Der Durchbruch der Sozialisten zu einer neuen, positiven Wertung auch in dieser Frage mag gewiß stark von parteitaktischen Erwägungen bestimmt sein; weil er ein Hindernis war auf dem Weg zur stärksten Partei, sollte der Makel der Religionsfeindschaft von der Partei genommen werden. Aber selbst wenn die Parteitaktik, was wir nicht glauben wollen, das einzige Motiv für die Änderung in der Haltung der Sozialisten gewesen sein soll, beweist dies nur, daß die geschichtliche Entwicklung sich verschiedener Wege bedient, kürzer und prägnanter ausgedrückt in dem portugiesischen Sprichwort: „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen.“

Ob die Sozialisten nun gern oder ungern ihre Einstellung revidierten, auch sie mußten die Konsequenzen aus einer Entwicklung ziehen, die über alte Fronten und Gräben hinweggegangen war, wollten sie mit eben dieser Entwicklung Schritt halten. Wir meinen das viel beredete „Neue Klima“, das weder eine Erfindung sozialistischer Wahltaktiker noch eine Schimäre katholischer Intellektueller oder gar einen Schachzug kirchlicher Machtpolitik darstellt. Dieses neue Klima stammt nicht von gestern oder vorgestern. Viele Änderungen in der seelischen oder politischen Atmosphäre haben dazu beigetragen. Die große Ernüchterung über die Begrenztheit politischer Heilslehre ebenso wie die Erkenntnis der Problematik machtpolitischer Verankerung und parteipolitischer Verquickung der Religion, das persönliche Näherkommen in Kerker und KZ; das gemeinsame Schicksal, die gemeinsame Hoffnung und die gemeinsame Arbeit für das gleiche Volk und das gleiche Land, die Sorge um die Seelen, deren Hunger nicht gestillt wird durch Sozialgesetze und Vollbeschäftigung, das Besinnen auf die Zeitbedingtheit historischer Notwendigkeiten und die Zeit-losigkeit des ewigen Auftrages an die Kirche. Und dabei die Bedachtnahme auf eine neue Generation, der alte Scblagworte, alte Bindungen und alte Feindschaften nichts mehr sagen. Das neue Klima ist noch kein Frühling. Es ist nur die Vorbedingung dafür, daß dort, wo Dürre war, wieder grünes Laub sprießen kann. Und wo die einen schon den warmen Hauch des Sommers verspüren, gefährlich, denn er könnte trügerisch sein, frösteln die anderen noch immer bei den kalten Winden der Vergangenheit. Die Eismänner sind noch nicht vorüber.

Auch die Note der österreichischen Bundesregierung an den Vatikan ist eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Die Note heißt auch noch nicht das Konkordat. Es wird jetzt zu Verhandlungen kommen. Die Verhandlungen werden im einzelnen nicht immer ganz leicht sein, gerade in der Ehefrage, in der von beiden Parteien eine Berücksichtigung der seelsorglichen Situation in Österreich erwartet werden muß. Die jetzt gefundene gemeinsame österreichische Linie darf in Zukunft nicht mehr durch parteipolitische Konkurrenzmanöver aufgerissen werden.

Die gleichzeitige Ankündigung, daß Bundeskanzler Raab zu Ostern auf einen, wenn auch privaten Besuch in Rom eintreffen wird, läßt erwarten, daß zuirnindest bei dieser Gelegenheit noch etwaige Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt werden können. Wenn die letzte Phase der Konkordatsverhandlungen mit dem Namen des Kanzlers verknüpft wäre, so wäre dies ein Akt der historischen Gerechtigkeit, da es Bundeskanzler Raab war, der in der manchmal etwas verworrenen Situation der letzten Wochen sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale warf und entscheidend zum Abschluß der innerösterreichischen Vorverhandlungen beitrug; gegenüber manchen Bedenken einiger Parteifreunde, die in ihrer ehrlichen Sorge um die Partei und sicher auch um das katholische Leben in Österreich noch zögerten, weil sie im Abschluß eines Konkordates lediglich einen Propagandavorteil des Gegners sahen. Die Volkspartei wird sich dieser Sorgen und Bedenken dann am ehesten erwehren können, wenn sie ihren Blick von der Vergangenheit in die Zukunft wendet. Österreich, auch das katholische Österreich, wird in Zukunft eine politisch und moralisch starke Volkspartei brauchen. Auch dann, wenn diese Volkspartei, wie sie ja selbst will, keine katholische Partei ist, kein Monopol in der Vertretung katholischer Interessen und daher auch in der Kirche keine ideologische Schutzmauer mehr besitzt, werden sehr wesentliche Teile der österreichischen Katholiken in ihr ihre politische Heimstatt sehen.

Wenn das neue österreichische Konkordat vielleicht noch in diesem Jahr von einem österreichischen Parlament, dessen demokratische Berufung niemand in Zweifel ziehen kann, ratifiziert werden wird, wird es die Unterschriften von Schärf, Raab und Pittermann tragen. Das wird nicht nur den Gegebenheiten der österreichischen Innenpolitik entsprechen, sondern auch eine Art Symbol sein. Eine Hoffnung, werden die einen sagen, ein Warnlicht die anderen. Laßt uns für die Hoffnung entscheiden! Sie ist nicht nur die dem Christen angemessene Haltung, sie ist nicht nur das notwendige Korrelat zum immer vorhandenen österreichischen Skeptizismus, sie bedarf auch unserer Unterstützung, eben weil sie noch so schwach ist Weil wir nicht die Kräfte übersehen wollen, die von beiden Seiten her in die Vergangenheit zurück wollen, wo es bequemer war, nicht zu fragen, sondern für alles fertige und färbige Schablonen zur Hand zu haben.

Auch das österreichische Konkordat wird, wenn wir heute vielleicht etwas fürwitziger-weise den Erfolg der Verhandlungen, die noch nicht einmal begonnen haben, vorwegnehmen wollen, erst recht eine Frage offenlassen: die Frage an die Katholiken nach ihrer Präsenz im öffentlichen Leben. Von dieser Präsenz wird nicht zuletzt das Leben abhängen, mit dem dieser Vertrag erfüllt werden kann.

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