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Der Wettbewerb wird schärfer

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Mit der fortschreitenden Verbesserung des europäischen Lebensstandards und der damit einhergehenden Wohlstandsbildung wird das Phänomen, das wir als Fremdenverkehr bezeichnen, ein von Jahr zu Jahr immer bedeutungsvollerer Faktor der nationalen Wirtschaft fast aller europäischen Länder. Begreiflich, daß eine solche Massenerscheinung spürbare wirtschaftliche Auswirkungen, und zwar sowohl eine Steigerung wie eine Verminderung der nationalen Einkünfte zur Folge hat. Deshalb spricht man, je nachdem, ob es sich um Einreisen ausländischer Besucher handelt, von einem aktiven Fremdenverkehr, oder aber, wenn die Ausreisen der eigenen Staatsangehörigen ins Ausland betrachtet werden, von einem passiven Fremdenverkehr, Gerade der letztere wurde im Zusammenhang mit seinen wirtschaftlichen Auswirkungen von einem unserer Nachbarländer wiederholt kritisch, ja fast ängstlich erörtert, weil er im konkreten Fall den aktiven Fremdenverkehr übersteigt und somit einen Abgang an Devisen verursacht, den man mit Besorgnis registrieren zu müssen glaubt. Man sieht in diesem Fall den Fremdenverkehr gewissermaßen durch eine merkantilistische Brille, die man im übrigen internationalen Wirtschaftsverkehr längst abgelegt hat. Der Fremdenverkehr kann in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen nicht isoliert betrachtet werden, er existiert nicht für sich allein, sondern ist nur Teil eines in einem weltumspannenden Netz sich abspielenden wirtschaftlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses. Es können daher nicht Fremdenverkehrs-ejnn,a.hrn,e gegen F/fer|ideAyerkehrsausg(aben, aufgerechnet werden, um daraus fremdenverkehrs-WÖÖtdw Thesen oder gj .Maßnahmen abzuleiten, sondern nur die Gesamtheit der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehung in den beiden Bilanzen der VISIBLES und INVIS1BLES erlaubt entsprechende Rückschlüsse.

Wenn wir uns darüber im klaren sind, daß auch die Handelsbilanz und die Zahlungsbilanz nur sehr grobe Instrumente der Meßbarkeit in der Außenwirtschaft sind, dann fällt das Argument der Dramatisierung von Erscheinungen wie der vorgenannten Passivität der Fremdenverkehrsbilanz überhaupt weg. es sei denn, man braucht es zu gewerblichen Zwecken.

Die moderne alljährliche Völkerwanderung des Fremdenverkehrs hat zwei Ursachen: einmal im Nachholbedarf an freizügigem Reisen, das während der Kriegsjahre unmöglich war, und zum zweiten in der Hochkonjunktur, die der Erfüllung dieses Bedürfnisses weitestgehend die materiellen .Voraussetzungen bietet und immer neue Fremdenverkehrsteilnehmer auftreten läßt. Hinzu kommen die politischen und administrativen Vereinfachungen des Reisens, wie sie die Programme der europäischen Zusammenarbeit und der europäischen Integration mit sich gebracht haben. Der Nachholbedarf mag in den zwölf Jahren des Fremdenverkehrs nach dem Krieg zum größten Teil bereits aufgeholt sein, aber er hat die Reisefreudigkeit in einem noch nie dagewesenen Ausmaß bewirkt und damit ein Ortsveränderungsbedürfnis entstehen lassen, das eine völlige Umreihung der Skala der menschlichen Bedürfnisse bewirkt hat.

Das hat zur Folge gehabt, daß in fast allen europäischen Staaten zahlenmäßige Ergebnisse im Fremdenverkehr erzielt wurden, die vor fünfundzwanzig Jahren noch völlig unvorstellbar schienen. Betrachten wir die Entwicklung des Fremdenverkehrs am Beispiel Österreichs.

Die Ausländerübernachtungen haben sich somit von 1937 auf 1959 mehr als verdreifacht.

Die Struktur des Fremdenverkehrs hinsichtlich seiner Herkunftsländer hat allerdings in diesi

23 Jahren eine beachtliche Änderung erfahren.

1937 betrug die Zahl der Ausländernächtigun-gen 6,831.400, hievon waren 24% deutsche Gäste, 20% Tschechen, 15% Ungarn, 8,4% Engländer, 4,8% Polen, 4% Holländer und 4% Amerikaner.

Die heutige Struktur des österreichischen Fremdenverkehrs zeigt den absoluten Wegfall der Besucher aus den ehemaligen Nachfolgestaaten, hingegen ist der Anteil an Deutschland auf 72% gestiegen, der der Engländer auf 6,64% abgesunken, während Holländer und Amerikaner in der Relation unverändert sind. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die absoluten Näch-tigungszahlen heute 23,787.600 betragen, so daß die Zahl der Holländer auf das Dreieinhalbfache, die der Engländer auf das Zweieinhalbfache angestiegen ist.

Interessant ist auch ein Blick auf die Zielgebiete im österreichischen Fremdenverkehr, wobei zweckmäßigerweise zwischen Berggebieten,

Ein anderer Umstand ist im österreichischen Fremdenverkehr sehr bemerkenswert, nämlich, daß es eine relativ geringe Zahl von Orten ist, die den größten Teil der Ausländernächtigungen tuf sich vereinigt. Das Statistische Zentralamt periert in seiner Fremdenverkehrsstatistik mit Jen Meldungen von rund 1450 Fremdenverkehrs gemeinden. In der Gesamtheit wurden, wie be reits erwähnt, 23,787.000 Ausländernächtigun gen gezählt; davon entfallen mehr als 10 Mil-

Seengebieten, Städten und sonstigen Gebieten (einschließlich Heilbädern) unterschieden wird. Ein Blick auf die Tabelle II zeigt, daß der Städtetourismus, der in geschichtlicher Betrachtung die erste Form des Fremdenverkehrs überhaupt war, eine neue Bedeutung gewonnen hat.

Honen auf insgesamt 35 Orte, einschließlich Wien und einiger Landeshauptstädte. Es zeigen sich somit bestimmte Konzentrationspunkte des Fremdenverkehrs. Daraus ergibt sich, daß Österreich selbst noch eine große Anzahl von Fremdenverkehrs-Entwick-lungsgebieten besitzt, die in steigendem Maße von Ausländern gefragt und besucht werden. Es stehen daher Fremdenvcrkehrs-Entwuklungspro-gramme ständig zur Diskussion, wobei im Hinblick auf die Investitionserfordernisse eine ge-: wisse Zurückhaltung und in letzter Zeit immer lauter geäußerte Bedenken hinsichtlich der Zukunftsaussichten des österreichischen Fremdenverkehrs festzustellen sind.

Die Befürchtungen beruhen auf den im Zuge der europäischen Integration erfolgten beiden Blockbildungen EWG und EFTA. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß Österreich niemals, selbst bei einer mehrfach gesteigerten Ausland-werbüng, einen Ausfall der Besucher aus den EWG-Ländern durch Besucher aus den EFTA-Staaten wettmachen könnte. Dieses Argument beruht auf den zahlenmäßigen Ergebnissen der Fremdenverkehrsstatistik 1959, wonach 83,29% der Besucher aus den EWG-Staaten und nur 997% aus den EFTA-Staaten nach Österreich kamen.

Trotz dieses Zahlenverhältnisses muß man sich vor derartigen pessimistischen Spekulationen hüten. Sie gehören in die gleiche Reihe wie die eingangs erwähnten dramatisierenden Überlegungen zur passiven Fremdenverkehrsbilanz Westdeutschlands. Wer sagt denn, daß wir im internationalen Tourismus auch zu politischen Reiseblockbildungen kommen werden? EWG und EFTA sind nichts anderes als zwei Stationen auf dem Weg zur europäischen Integration. Daraus aber im Fremdenverkehr die Befürchtungen abzuleiten, daß unter Umständen administrative Beeinflussungen der Freizügigkeit des Reisens die Folge sein könnten, hat als Voraussetzung die Annahme, daß das große Programm der europäischen Integration aufgegeben wird, weil nur dann jene Diskriminierung möglich würde, der alle OEEC-Staaten feierlich abgeschworen haben. Der Fremdenverkehr orientiert sich nicht nach politischen, sondern ausschließlich nach natürlichen Räumen und vor allem nach persönlichen Vorstellungen, Vorlieben und — nach dem Preis- und Leistungsgefüge.

Damit ist ein Faktum erwähnt, dem man nicht genug Aufmerksamkeit schenken kann. Die Kostenstruktur der kapitalintensiven Fremdenverkehrsbetriebe, wie Transport- und Beherbergungsbetriebe, ist eine weitaus stärkere als in allen anderen Zweigen der Produktion und der Dienstleistung. Es handelt sich hiebei vor allem um die kapazitätsabhängigen, sogenannten sprunghaften festen Kosten, die nur innerhalb gewisser betrieblicher Kapazitätssektoren reguliert werden können. Diesem an sich starren Kostengefüge steht eine überaus labile und unvorhersehbare Frequenz gegenüber, die eine klare und einfache Kalkulation, wie sie etwa die Stückkalkulation im Industriebetrieb darstellt, unmöglich macht. Man muß daher in der Planrechnung eines Hotelbetriebes etwa von einer Frequenzannahme ausgehen Und mit einer gewissen Spanne operieren, wie sie in den Minimal- und Maximalpreisansätzen verborgen ist. jede unvorhergesehene Änderung eines Kostenfaktors muß nun in dieser Spanne aufgefangen werden, wenn man nicht gegenüber den angebotenen Preisen, wie sie in Hotelverzeichnissen und Hotelbüchern enthalten sind, preisuntreu werden will. Preisuntreue aber wirkt gerade im Fremdenverkehr mit seiner weltweiten, durch persönliche Erfahrung und Eindrücke bestimmten Rufbildung abschreckend. Gewiß, auch das konkurrenzierende ausländische Fremdenver kehrsangebot unterliegt den gleichen Problemen, aber nicht alle Kostenveränderungen spielen sich in allen anderen Ländern gleichzeitig und im gleichen Ausmaß ab, so daß in dieser Unterschiedlichkeit der Kostenstruktur auch eine unterschiedliche und konkurrenzierende Preispolitik ihre Ursache findet.

Es kann nicht verschwiegen werden, daß die

Kostenstruktur der österreichischen Fremdenverkehrsbetriebe besorgniserregend zu werden beginnt, weil ihre preisbildende Funktion zu einer ungünstigen Verschiebung der Wettbewerbslage führen muß. Auch eine optische Preishaltung durch Verminderung der Leistung ist kein Ausweg, weil sie rasch erkannt und die gleiche Wirkung der Wettbewerbsschwächung hat. Noch sind in den Fremdenverkehrsbetrieben verschiedene Kostensenkungsreserven in größerem oder kleinerem Maße vorhanden; Betriebsorganisation und Rationalisierung lassen hier und dort die von der Kostenseite her bewirkten Preisauftriebstendenzen ausgleichen. Aber diese Möglichkeiten sind sehr beschränkt.

Dem Fremdenverkehr, nicht nur Österreichs, sondern aller europäischen Länder, erwachsen Folgen aus sehr wichtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren ihn spürbar beeinflussen werden, nämlich die Maßnahmen der wirtschaftlichen Hilfe an außereuropäische Entwicklungsländer. Jeder europäische Staat und die USA haben in ihren Budgets Beträge für die wirtschaftliche Hilfe an jenen Staaten eingesetzt, die als Entwicklungsländer bezeichnet werden. Die Erscheinungen und Funktionen des Fremdenverkehrs in den europäischen Volkswirtschaften haben begreiflicherweise auch in den wirtschaftlichen Entwicklungsländern das Augenmerk auf dieses Phänomen gelenkt, von dem sich scheinbar mühelos eine beachtliche Besserung der finanziellen Situation der Staaten erwarten läßt. Die Folgen sind Investitionen in Fremdenverkehrseinrich-tungen großen Stils und intensives Studium der Fremdenverkehrs-Organisationsformen in Europa. In dem Maße, in dem in diesen Entwicklungsländern die politischen Gärungen zur Ruhe kommen, werden sie als neues touristisches Angebot vor allem auf dem europäischen Markt wegen seiner Nachbarlage auftreten. Der europäische Fremdenverkehr ist zu mehr als 80% ein innereuropäischer Verkehr, und die Folge wird sein, daß der materiell gut stehende Europäer Interesse an solchen neuen Reisezielen gewinnen wird. Die sich ständig erweiternden Lufttransportmöglichkeiten tragen das ihre dazu bei, um dem natürlichen Drang nach der Ferne Erfüllung werden zu lassen. Europas Fremdenverkehr wird also einen Teil seines europäischen zahlungskräftigen Reisepublikums verlieren, ohne daß zunächst aus diesen Entwicklungsräumen ein Äquivalent an neuen Gästen entstehen wird.

Es stoßen wohl, wie bereits festgestellt, alljährlich neue soziale Gruppen zur großen Armee der Reisenden, aber begreiflicherweise sind dies kaufkraftschwächere Schichten.

Leistung und Preis unter solchen Überlegungen gesehen, gewinnen daher erhöhte Bedeutung für Europas Fremdenverkehrswirtschaft. Zweifellos bestehen noch sehr beachtliche Fremdenverkehrsreserven im amerikanischen Raum, wobei aber nicht übersehen werden darf, daß auch die Staaten des pazifischen und Fernostraumes ihre touristische Nachfrage in den USA erblicken und um deren Gewinnung bemüht sind.

Der internationale Wettbewerb wird immer größer und schärfer, und die Vormachtstellung, die Europas Fremdenverkehr durch Jahrzehnte innehatte und noch innehat, wird sich in der Zukunft einige Einbrüche gefallen lassen müssen. Diese Einbrüche werden um so geringer sein, wenn man sich rechtzeitig der Wandlungen innerhalb des Fremdenverkehrsangebotes und der Fremdenverkehrsnachfrage bewußt ist und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Werbung und der Leistung in den sich ausweitenden internationalen Wettbewerb eintritt.

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