6556720-1948_26_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Widerstand des christlichen Ungarn

Werbung
Werbung
Werbung

Das Land des heiligen Stephan macht eine schwere Krise m’it. Nachdem die zur Macht gelangte kommunistische Regierung die alten Parteien ausgeschaltet, ihre Führer teils in die Emigration, teils in die Gefängnisse getrieben hatte, sah sie als ihren letzten und stärksten Gegner die katholische Kirche vor sich. Zu diesem Kampf, der hauptsächlich um die Seele der ungarischen Jugend geführt wird, hat nun in der Juninummer des Londoner },Tablet” der über Österreich nach London emigrierte, gewesene Abgeordnete und Präsident der ungarischen Freiheitspartei, Dezsö Sulyok, die Feder ergriffen. Sein Bericht gibt ein Bild der Lage der jungen Generation Ungarns, aber auch von dem inneren Widerstand, den die bodenständige Bevölkerung der Propaganda, den Drohungen und der Gewalt entgegensetzt.

Zum zehnten Gedenktage des im Mai 1938 in Budapest abgehaltenen überaus eindrucksvollen Eucharistischen Kongresses hatte der Papst eine Botschaft des Trostes und des ermutigenden Zuspruches geschickt, die mit dem Vergleich schloß, daß Land gleiche einer „altehrwürdigen Eiche, die man zwar beschädigen, aber in ihren Wurzeln und Zweigen nicht zerstören kann”. Von diesen Worten ausgehend,’ schildert Sulyok die einzelnen Phasen des kommunistischen Vorstoßes nach Ungarn. Zuerst zeigte sich das freundliche Gesicht. Kommunistische Schockbrigaden trugen ihre Dienste beim Aufbau der zerstörten Gotteshäuser an. Den Bauern und ihrem Vieh wurde kostenlose medizinische Hilfe geleistet. Die zerstörten Ackerfcau- geräte wurden ohne Vergütung wieder instand gesetzt. Diese Aktionen stellten aber das Präludium dar. Als die Kommunistische Partei erkannte, daß ihr mißtraut wurde, begann eine andere Tonart. In dieser Periode — so berichtet Sulyok — wurden Schüler von geistlichen Schulen unter dem Vorwand von „Verschwörungsanstiftungen” verhaftet.Provokateure versteckten Waffen In 3en Schulgebäuden, um Lehrer aus dem Ordens- stanide unter dem „Verdacht der Aufwiegelung zum Mord gegen die Besatzungsmacht” einsperren zu können. Die landläufigste und tollste Anklage war wohl die, daß die Benediktiner- und Franziskanerlehrer ihren Schülern die Absolution für die „Tötung von Russen” im vorhinein erteilt hätten! Es fielen die ersten Märtyrer in diesem Angriff der Lüge und Verleumdung.

Aber auch diese Terrormethoden brachten nicht den gewünschten Erfolg. Während den Angreifern die fortschreitende Ausschaltung der politischen Opposition gelang, erstarkte der von der Kirche geführte geistige Widerstand. Nun schritten die Führer der „Volksdemokratie” zur Attacke gegen das Haupt dieser geistigen Bewegung. Sulyok schildert, wie eine systematische Kampagne gegen die kirchlichen Spitzen einsetzte. Der Kardinal Mindszenty wurde zum „Reaktionär” und haßerfüllten Gegner der Demokratie gestempelt. Flüsterpropaganda, Zeitungshetze und Behelligungen durch die Polizei wurden gegen jene Bischöfe und Priester inszeniert, die beherzt dem Treiben des Kommunismus entgegentraten. Nicht genug damit, wurde versucht, die Kirche zu spalten, man schied die Bischöfe in „progressive” und „reaktionäre”. Unnötig, zu sagen, daß in der ungarischen kirchlichen Hierarchie nicht die geringsten Differenzen bestehen. Da alle diese Versuche fehlschlugen, wird nun det Kulturkampf auf der ganzen Front entzündet. Sulyok sagt dazu:

„Es ist notwendig, einige Tatsachen zu dem Versuch’, die Jugend dem System dienstbar zu machen, festzuhalten: Das wichtigste Instrument dazu ist die ,Madisz’, die ,Freie ungarische Jugend . Im Anfang bediente sich diese Organisation des Schlagwortes der ,nationalen Einigung . Ihre wirkliche Absicht war, die Ausbreitung der geistigen, moralischen, ja sogar sexuellen Korruption einzuleiten. Man berichtet von Versammlungen, die in organisierte Orgien ausarteten. Unterstützt wurde die ,Madisz von den sogenannten , Volkskollegien . In diesen ,Schulen des Volkes bekamen die Schüler freie Mahlzeiten und freie Unterkunft. In der Nacht aber wurden Burschen und Mädchen angehalten, in denselben Unterkunftsräumen zu übernachten … Das Ungarische Nationaltheater — Boden vornehmster ungarischer dramatischer Tradition — wurde dazu degradiert, dramatisierte Pamphlete niedrigster Einstellung aufzuführen.” Ab Zeugnis für den Geist, der jetzt in Ungarn sich breitmacht, führt Sulyok ein Theaterstück von Gyula Hay an „Gott, der Kaiser und der Bauer”, das in einer Sprache geschrieben sei, die im alten Ungarn kaum von Trunkenbolden in Vorstadtkneipen gebraucht worden sei. Je weiter der Kulturkampf fortschritt, desto deutlicher mußte die kommunistische Regierung erfahren, wie schwach verwurzelt sie im Volke sei. Auch in der Arbeiterschaft. Die Industriearbeiterschaft der Czepel-Insel hat ihr dafür deutliche Beweise gegeben. Im ganzen Lande derselbe stumme Widerstand. Die Darstellung Sulyoks bestätigen der „Furch e” aus Ungarn zugehende Briefe, die schildern, wie in 3er Schulfrage mit 3en Katholiken auch die Masse der Kalviner und Lutheraner völlig eines Sinnes ist, eines Sinnes auch in der Abwehr. Die Stimmung des Volkes äußerte sich in letzter Zeit in riesigen religiösen Manifestationen. Eine ähnliche Feier wie in der Stadt Mako, von der die „Furche” kürzlich berichtete (Nr. 24 vom 12. Juni), hat nach einem Bericht in dem Wallfahrtsort Maria Györ stattgefunden, zu der hun- dertz wanzig tausend Menschen gekommen waren, trotz der ungünstigen Witterung und trotzdem die meisten zu Fuß kommen mußten, da die Eisenbahnverwaltung es abgelehnt hatte, Sonderzüge bereitzustellen.

In diesem Kampfe fehlt es nicht an Helden und Heldinnen. Der volkstümlichste Mann des Landes ist sein Primas und die volkstümlichste Frau Margit Schlac-ht a, die Schöpferin jener karitativen Ordensgemeinschaft, die, vor vierzig Jahren gegründet, seitdem weithin über das Land ihre großen Liebeswerke gestreut hat. Diese große Organisatorin der christlichen Hilfstätigkeit und sozialen Arbeit, die zur Zeit der Hitlerherrschaft persönlich über tausend Juden das Leben gerettet hat, ist Mitglied des Parlaments, eine Kämpferin für die heiligsten Rechte, die durch ihren Mut und ihre reine Seelengröße den Namen einer ungarischen Jeanne d’Arc verdient hat. Es bedeutet unendlich viel, wenn ein Volk in Zeiten seiner Heimsuchung solche Vorbilder an der Spitze seiner Reihen sieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung