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Der „Wille der Nation“

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Gewisse Hinweise aus den letzten Enurntiationen des Staatschefs, Indiskretionen aller Art, wie die einfühlenden Kommentare der gesamten Presse gestatten es jedoch, sich in Umrissen ein bescheidenes Bild vom Konzept des Staatschefs zu machen. Gleichzeitig beschäftigen sich die Beobachter mit der Zukunft eines Regimes, das den Staatsbürgern alle Freiheiten laßt, niemals die Rechte der Presse oder der Opposition beschnitten hat, aber ein autokratisches Regierungssystem darstellt. Alle außenpolitischen Ent-

Schlüsse der V. Republik, wie dei Friedenvertrag in Evian mit Algerien, die zahlreichen von Paris ausgelösten Krisen in der EWG, der Austritt aus der NATO, erfolgten ohne Parlament, und selbst die Regierung, mit geringen Vollmachten ausgestattet, wurde selten oder nur teilweise informiert.

Der Außenminister Couve de Murville ist ein glänzender Verteidiger der Thesen General de Gaulies, aber er erarbeitet die Methoden, die Richtung wird vom Staatschef bestimmt, der nach der Auffassung Debres, des treuesten Paladins, für sieben Jahre ausschließlich und allein den Willen der Nation darstellt. Ob in der Innen- oder Außenpolitik, ein echter Dialog findet kaum statt. Die sozialen und Wirtschaftsreformen werden ohne Zustimmung der Gewerkschaften durchgeführt. Die harte Gangart der französischen

Delegationen in Brüssel läßt nicht immer Aussprachen mit den Partnern zu.

Als historische Persönlichkeit von besonderem Maß glaubt de Gaulle allein in der Lage zu sein, die geschichtlichen Zusammenhänge selbst für die Zukunft zu interpretieren. Wie erklfirte er in Quebec? „Ich bin den Dingen auf den Grund gegangen.“ Der General ist vom höchsten Sendebewußtsein erfüllt. Aus seinem Charakter heraus bekenne er niemals einen Irrtum ein. Er kann diesen nicht einmal korrigieren. Nachdem die kanadische Regierung seine Worte als .nicht annehmbar“ bezeichnet hatte, war jedes Gespräch in Ottawa sinnlos geworden, das eine Erklärung oder gar eine Entschuldigung verlangt hätte.

General de Gaulle stellt sich damit außerhalb irdischer Maßstäbe. Es erfolgt wohl keine Vergottung, wie sie Hitler und Stalin verlangten und auch durchsetzten, sondern das „L'Etat c'est moi“ eines Ludwig XIV. steigt zur beherrschenden Maxime der V. Republik auf.

In Mannestreue ...

Die derzeitigen Regierungsmitglieder sind achtbare Männer, geschickte Fachmindster und vorzügliche Verwalter. Sie akzeptieren aber bedingungslos die Beschlüsse des Generals und führen sie auch durch. Nur ein Pisani zog kürzlich die Konsequenz und demissionierte, da er die allgemeinen Wirtschaftsvollmachten ablehnte. Der einzige, der bewußt gegen den Stachel lockt, ist der intelligente Giscard d'Estaing, der Rückgrat zeigt und zahlreiche Tabus des Gaullismus in Frage stellt. Ein Pompidou oder Debre dagegen folgen in Mannestreue ihrem Chef.

Jede ungenügend beschränkte Macht erzeugt Gefahren, sobald an Stelle einer gemeinsamen Ausarbeitung der Politik die restlose Verantwortung des einzelnen gesetzt wird, der die eigenen Vorstellungen als den letzten Maßstab des Handelns ansieht. General de Gaulle, als die letzte überlebende Persönlichkeit des zweiten Weltkrieges, die in entscheidender Form in die Geschicke eingegriffen hat, beansprucht für sich nun das Recht, als Schiedsrichter und Weiser anerkannt zu werden, der von Amerikanern und Russen, Israelis und Chinesen konsultiert wird, um jenes Gleichgewicht herzustellen, das den Frieden sichert. General de Gaulle quälen die apokalyptischen Bilder eines dritten nuklearen Weltkrieges. Diese Gefahr kann gebannt werden^ wenn sich gleichwertige Mächte oder Gruppen gegenüberstehen, die 'bei Einschätzung der wahren Machtverhältnisse die Chancen in einem Krieg als zu gering einschätzen.

Frankreich und USA

Jede übergeordnete integrierte Ordnung, ein supranationales System also sei abzulehnen. Das Europa der Vaterländer steht diametral einer Buropavorstellung gegenüber, wie sie Robert Schumann und Degasperi prägten. Frankreich sei einer der ältesten Nationalstaaten und habe daher besondere Aufgaben in der Welt zu übernehmen. Diese „alte Erde“, beschwert durch geschichtliche Ereignisse, Siege wie Niederlagen, vertrete das Maß und diene darüber hinaus den europäischen Völkern als Vorbild, die ebenfalls den eigenen Charakter zu pflegen hätten. Vor allem müsse das deutsche Volk als das zweitwichtigste Kontinentalvolk begreifen, daß es in einer atlantischen Gemeinschaft untergehen würde, geschichtslose Nomaden könnten dann noch in Mon-sterstädten der Zivilisation dem Yeah-yeah und dem Coca-Cola frönen, denn die Eigenarten der Völker, die Freiheit der Welt sei gefährdet. Eine gewaltige Macht sei entstanden, die durch eine innere Automatik alle Randzonen an das eigene Herrschaftsgebiet einzugliedern versucht: die USA, die zum schrankenlosen Herrn des Planeten aufsteigen. Aber die von den USA vertretene Gesellschaft schaffe eine Zivilisation, welche die spezifische Struktur der europäischen Nationen bedrohe. Die Kraft des Geldes, die okkulten Bestrebungen der Hochfinanz zerstören eine Harmonie, die in der Verbindung von Kapital und Arbeit die Werte der echten Kultur sichere.

Aber diese Supermacht begnüge sich nicht nur, ihre wirtschaftlichen Potenzen in die'Waagschale zu werfen, sondern inszeniere Aggressionen, um den amerikanischen Frieden au sichern. General de Gaulle beurteilt den Vietnamkrieg als einen einseitigen Angriff der Amerikaner, ohne sich mit der Genesis des Konfliktes auseinanderzusetzen. Genauso verhält es sich im Nahost, wo ein kriegslüsternes Israel, unterstützt von den USA, die arabischen Nationen bedrohe. Die gaullistische Diplomatie hatte seit Monaten auf Nasser gesetzt, um die 100 Millionen Araber in eine antramerikanische Front einzubauen.

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