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Der zahme Löwe Edward

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Mit der Rückkehr des normalen Tagesablaufes nach den Weihnachtsferien entzündete sich die innenpolitische Diskussion in Großbritannien im Hinblick auf die bevorstehenden Nachtragswahlen wieder in voller Stärke. Während der Premierminister seine Schwierigkeiten mit dem linken Flügel und mit den Gewerk- schaftsanhängem mehr oder weniger erfolgreich glättet, hat sich innerhalb der konservativen Opposition der Konfliktstoff angereichert. Dazu trug vor allem ein kritischer Artikel des nunmehr zurückgetretenen Sprechers für Kolonialfragen, Mr. Angus Maud, im „Spectator” von Anfang Jänner bei. In diesem vieldiskutierten Aufsatz wurde den Tories vorgeworfen, daß sie die „politische Initiative völlig verloren” hätten und daß die Wähler die Oppositionspartei größtenteils als „bedeutungslose Nichtigkeit” einstuften.

Wer den Artikel las, dem wurde bald das Ziel des publizistischen Angriffes klar; nicht die konservative Partei als solche, sondern der Oppositionsführer sollte eigentlich getroffen werden. Zumindest setzte sich diese Auffassung unter den innenpolitischen Kommentatoren durch, womit der Artikel Mr. Mauds in der britischen Presse einen breiten Widerhall gefunden hat. In Kommentaren, Rundfunk- und Fernsehinterviews sowie in Leserzuschriften trat mit einem Mal wieder die Stellung des Oppositionsführers in den Vordergrund. Die kaum vernarbte Wunde, die man im Sommer des vergangenen Jahres mit der Wahl Edward Heath’ als geheilt betrachtet hatte, schien neuerlich aufzubrechen.

Dolmetsch des Unbehagens

Was Mr. Angus Maud schrieb, drückte lediglich eine unterschwellig weitverbreitete Meinung aus. Immerhin handelte es sich bei dem Verfasser ja um keinen Querulanten, sondern um ein früheres Mitglied des politischen Forschungsinstitutes der Konservativen Partei, also jener Institution, der auch Ted Heath, Reginald Maudling, Ian Macleod, Sir Edward Boyle unter der Leitung „Rab” Butlers angehörten. Außerdem galt Maud als ein Vertreter des rechten Flügels der Partei und hatte als Sprecher für Kolonialangelegenheiten seine eigenen Ansichten über die Rhodesienpolitik der Opposition. Mr. Heath ließ nicht lange auf seine Reaktion warten. Kaum von einer Ostasienreise zurückgek hrt, lud er Mr. Maud zu einer Aussprache in seine Wohnung ein. Unmittelbar darauf trat Mr. Maud als Sprecher zurück, und der Oppositionsführer ließ keinen Zweifel daran aufkom- men, daß er andernfalls den Rücktritt verlangt hätte.

Seine etwas „rastlose” Aktion erklärte Mr. Heath mit dem Hinweis auf die angespannte innenpolitische Lage in Großbritannien und die Möglichkeit einer bevorstehenden Neuwahl; beides verlange eine straffe Partei; der Parteidisziplin habe in diesem Fall unbedingt der Vorrang vor den Ansichten von Parteipolitikern zu gebühren, auch wenn es sich um sehr prominente Persönlichkeiten handle.

Ruhe ist die erste Torie-Pflicht! Allgemein nimmt man an, daß Mr. Heath gleichzeitig ein angesehenes Mitglied seines Schattenkabinettes, den umstrittenen Enoch Povoell, warnen und ihm die Grenzen aufzeigen wollte, wie weit er in seinen sehr „gefärbten” Somntags- reden gehen könne.

Es scheint so, als ob Mr. Heath mit seiner Reaktion die innerparteiliche Ruhe nicht völlig wiederhergestellt habe. Die Öffentlichkeit, und damit die Wähler, wurden des tiefen Gegensatzes zwischen den einzelnen Gruppen der Tories wieder gewahr. Es wäre falsch, hier die abgenützten Schlagworte von links, Mitte und rechts zu gebrauchen, da die Meinungen der einzelnen Gruppen sich nicht so einfach einordnen lassen. Als Beispiel kann jene um den erwähnten Enoch Powell dienen: In der Verteidigungspolitik kann er durchaus den fortschrittlichen Politikern zugezählt werden; er vertrat in einer Aufsehen erregenden Rede den Standpunkt, die Position Großbritanniens in Asien müsse aufgegeben werden. In Wirtschaftsfragen und in der Sozialpolitik gilt er allgemein als reaktionär, da er den Wohlfahrtsstaat grundlegend reformieren und zu einem „laissez faire — laissez passer” zurückkehren möchte in den Meinungsbefragungen voll auszuwirken. Seit den ersten Jahren der Ära Macmillan hat es einen so populären Premierminister nicht mehr gegeben. Diesem taktischen Nachteil gesellte sich ein psychologisches Hindernis zu. Im Herbst 1964 haben die Konservativen die Parlamentswahl bekanntlich nur um Brustbreite verloren. Die Rückkehr ln die Regierung schien seither jederzeit möglich. Die Spitzenpolitiker der Tories hörten somit nie — zumindest im Unterbewußtsein — auf, sich als Minister zu fühlen. Die konservative Partei führte sich demnach im Unterhaus nicht als echte Opposition ein, sondern eher als eine Art Quasi-Regierung. Man erinnert sich noch gut der Reaktion eines Reginald Maudlin , als die Importsteuer eingeführt worden ist. Er sagte damals; „Als Minister hätte ich ähnliche Schritte unternommen.” Sieht man von einigen Ausnahmen ab, versäumte die konservative Opposition viele Gelegenheiten, der Öffentlichkeit wirklich konstruktive Alternativen zu unterbreiten.

Konservative Gewissenserforschung

Tatsächlich dürfte sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Konservativen zu einem beachtlichen innerparteilichen Zankapfel entwickeln. Der Kreis um Maudling und Sir Edward Boyle neigt einer gemäßigten Planiflkation zu, während starke Gruppen nur die traditionelle Geldpolitik als legitime Wirtschaftspolitik anerkennen. Die Gefahr einies „ideologischen” Streites ähnlich jenem der Sozialisten über die Verstaatlichungsthese in den fünfziger Jahren sollte nicht unterschätzt werden, zumal parlamentarische Oppositionen für Grundsatzdiskussionen anfälliger ?u sein scheinen.

Dies ist zumindest hier in Großbritannien eine Erfahrungstatsache. In jener Partei, welche gerade an der Macht ist, treten die Zentrifugalkräfte weniger zutage, da die führenden Politiker vorwiegend mit Tagesfragen beschäftigt sind; in der Opposition beginnt dann meist die große Gewissenserforschung, wodurch prinzipielle Fragen oder vermeintliche ideologische Grundsätze zusehends an Bedeutung gewinnen. Die britischen Wähler mißtrauen nun diesen „Reformationen”; sie wollen wissen, woran sie sind urad vor allem sicher sein, daß eine politische Partei soweit innerlich einig und diszipliniert ist, um das vorgelegte Wahlprogramm verwirklichen zu können.

Das Ergebnis der Nachwahl än Hiull hat dies bestätigt. Trotz der Splitterkandidatur am äußersten linken Flügel boten die Sozialisten dem Wähler das Bild einer geschlossenen, dynamischen Partei, die weiß, was sie will, und die in Wilson einen alle Konkurrenten überragenden leader besitzt. Wurde auch in Hull kein Einbruch in konservative Kem- schichten erreicht, so ging der Trend der keiner Partei fest verpflichteten Wähler in Richtung Labour. Ohne diese Wählerschicht ist in Großbritannien keine Wahl zu gewinnen, und eine zerrissene konservative Partei hat keine Chancen, diese Wähler für sich einzunehmen.

Quasi-Minister?

Wer den Mechanismus einer parlamentarischen Demokratie richtig einschätzt, übersieht kaum die schwierige Lage, in der sich die Tories augenblicklich befinden. Niemand konnte im Sommer 1965 die Zuspitzung der Rhodesienfrage vorhersehen und damit die Notwendigkeit einer einheitlichen Stellung aller britischen Parteien. Gerade dieser Umstand rauhte Mr. Heath die Möglichkeit, in den Herbstmonaten eine wirkliche Offensive ziu beginnen. Nicht genug damit, bewegte sich Edward Heath mit seiner Unterstützung der Politik des Premierministers in gefährlichen Gewässern: er erntete manche herbe Kritik in den Wahlkreisen. Gewiß, die konservative Opposition suchte nach wunden Stellen in der Regie rungsfront. Sie versuchte jedoch vergeblich, von der Rhodesienfrage abzuienken. Und in der Schichte der unschlüssigen Wähler begann sich das Bild vom klugen und entschlossenen Premierminister, das Harold Wilson in jeder Phase der Krise bot.

Gewiß, manche Publizisten messen diesem Umstand kein großes Gewicht bei; so argumentierte der innenpolitische Kommentator der „Financial Times”, Ronald Butt, in einem seiner jüngsten Kommentare, daß im gegenwärtigen Großbritannien eine Oppositionspartei die Wahl nicht gewinnen kann, sondern immer nur die Regierungspartei verlieren. Im Herbst 1964 hätten nicht die Sozialisten gewonnen, vielmehr die Konservativen die Wahl verloren. Daher bestünde die richtige Taktik der Tories darin, einfach zu warten, bis die Arbeiterregierung sich totgelaufen hat und ihr „Sündenregister” voll ist, so daß die Wähler sich wieder nach einem völligen Wechsel sehnen. Grundsatzprogramme, oder wie immer man die Schlagworte der Parteien nennen will, spielten in der Entscheidung der Wähler lediglich eine zweitrangige Rolle. Im Vordergrund stünde der persönliche Eindruck oder die Ausstrahlungskraft des jeweiligen Parteiführers.

Heath: ein „Super-Wilson”?

Dieser Zwang der Oppositionspartei zur Passivität stellt für die Spitzenpolitiker und die mittleren Parteifunktionäre eben eine große Versuchung dar, auf ideologische Fragen auszuweichen, wodurch freilich die Aussicht auf eine baldige Rückkehr in die Regierungsämter sich erst recht vermindert. Zwangsläufig entstehen auf diese Weise die Zweifel über die Fähigkeit des Parteiführers, weil innerparteiliche Unterschiede stark vergrößert an die Oberfläche kommen und man ja eine einheitliche Partei sein möchte. Dieses Mißgeschick erleidet Mister Heath. Hinzu kam in seinem Fall, daß er im Sommer des vergangenen Jahres als konservativer „Messias” gefeiert worden ist, weil man von ihm buchstäblich Wunder erwartete. Er sollte den Konservativen eine Art „Super-Wilson” sein, der ihnen den Alptraum einer langen Zeit des oppositionellen Daseins nehmen sollte. Bis jetzt hat er seine Anhänger allerdings enttäuscht, besser gesagt: enttäuschen müssen. Das führte zu Witzen, wie: Harold Heath und Ted Wilson. Der Schachzug, einen Politiker in den Vordergrund zu schieben, hat nach Meinung einflußreicher Parteikreise als Fehlschlag geendet. Man müsse vielmehr nach einer Persönlichkeit Ausschau halten, die sich von Harold Wilson weitgehend unterscheidet und dennoch den „Kennedy-Appeal” besitzt. Objektive Beobachter bezeichnen diese Vorstellungen schlicht als Wunschtraum. Sie begrüßen deshalb das entschlossene Auftreten Mister Heath’ in der Maud-Affäre und erwarten ein solches Vorgehen auch gegen extremistische Randschichten der Partei. Jedenfalls müsse die konservative Partei darnach trachten, eine echte Spaltung über Wirtschaftsplanung, Einkommenspolitik und Verteidigüngskonzept zu vermeiden.

Die neue Ära beginnt noch nicht

In dem Unbehagen über die mangelnde Zündkraft, die Mr. Heath als Oppositionsführer in den letzten Monaten nach Meinung seiner Kritiker zeigte, scheint freilich auch sachlich gesehen ein berechtigter Kern zu stecken. Während sich Mr. Wilson erfolgreich vom reinen Parteipolitiker zum Staatsmann wandelte, kann Mr. Heath seine frühere Tätigkeit als Einpeitscher der konservativen Unterhausfraktion nicht völlig vergessen machen. Er beherrscht die Technik gut, einen einmal bestimmten Kurs abzusichem, hingegen scheint ihm manchmal der Orientierungssinn abzugehen, das Gespür für akute Anliegen der Wähler — eine Eigenschaft, die einst Macmillan auszeichnete. Die Ära ist zwar zu Ende — eine Ära Heath hat noch nicht begonnen.

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