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Der Zusammenbruch des Faschismus

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„Als am 31. Oktober 1922 die Schwarzhemden durch die Straßen von Rom marschierten, unterlief bei Aufstellung des Marschplanes ein kleiner, doch für die Folge sehr verhängnisvoller Irrtum. Statt am Quirinal, dem Palaste des Königs vor-beizu defilieren, wäre es besser gewesen, dort einzudringen.“

Mit diesen Worten hat Mussolini selbst sein Verhältnis zum italienischen König kurz aber prägnant gekennzeichnet. Allerdings war es zu spät, als er zu dieser Erkenntnis kam. Sein königlicher Gegenspieler hatte es verstanden, die besseren Trümpfe in der Hand zu behalten. Keiner von beiden hatte damals freilich geahnt, welches Los das Schicksal für ihn bereit hielt. 1 x

Zwanzig Jahre hatte dieses Spiel der „Diarchen“ — der Regierung zu Zweit — gedauert, in der sich jeder von ihnen eigene Einrichtungen geschaffen hatte Ministerrat und Großer Rat, Karabinieri und Miliz, Giovinezza und Marcia Reale, gesonderte Polizei, gesonderte Diplomatie waren die Kennzeichen einer parallelen Regierung, an deren Spitze einerseits der König, anderseits der Duce des Faschismus stand. Als die militärische Krise eintrat, begann auch der Endkampf dieser beiden Gewalten, der zunächst mit dem Siege des Königs enden sollte.

In einer im „Corriere della Sera“ im Jahre 1944 erschienenen Artikelreihe, die in Österreich wenig bekannt ist, weil Goebbels und das Deutsche Oberkommando alles daransetzen, sie dem Volke zu verheimlichen, beschreibt Mussolini, wie es zur militärischen Krise kam.

Nach seiner Ansicht begann die Katastrophe Italiens am 8. November 1942. Am Morgen .dieses Tages landete der gewaltige alliierte Geleitzug in Nordafrika. Wenige Tage vor dieser Landung hatte über 2000 Kilometer ostlich davon Montgomery die deutsch-italienischen Stellungen bei El Alamein durchbrochen. Die große deutsche Zangenbewegung, deren eine Spitze am Kaukasus hielt, während der andere Arm bei Alexandrien Vorgriff, mit der Absicht

— wie Rommel sagte — dort „zu handeln“, wurde nicht nur gehemmt, sondern durch eine gegnerische Zange abgelöst, die von El Alamein einerseits und von Algerien anderseits ausgehend, die deutsch-italienischen Streitkräfte in eine ausweglose Situation brachte. Für Italien bedeutete dies den Fall jener peripheren Stellungen in Afrika, die den zweiten Gürtel —“■ Pantel-leria, Lampedusa und Sizilien — sichern und die Invasion des italienischen Mutterlandes verhindern sollten.

Diese Positionen fielen unter den uner-' bittlichen Schlägen der Alliierten, die sich nunmehr anschickten, das italienische Festland anzugreifen.

Es blieb nicht aus, stellt Mussolini fest, daß der militärischen eine politische Krise des Regimes folgte, die dadurch akut wurde, daß das Königshaus und seine Angehörigen das Ziel verfolgten, die Katastrophe des Faschismus herbeizuführen. Im Mittelpunkt dieses politischen Angriffs stand der König, der seit zwanzig Jahren auf den Augenblick wartete, um den verhaßten Gegenspieler und seinem Regim den Todesstoß zu versetzen.

Alle Bemühungen des Generalsekretärs der Partei, Scorza, die führenden Persönlichkeiten zur Zusammenfassung aller Kräfte zu veranlassen, waren fruchtlos. In seinem anscheinend unwandelbar ergebenen Freunde Grandi — Botschafter in London

— erstand dem. Duce ein tückisch erbitterter Gegner, der schon mit den monarchischen Kreisen Fühlung suchte.

Als die militärische Krise sich weiter verschärft, werden die Stimmen immer dringender, die die Einberufung des „Großen faschistischen Rates“ fordern.

Am 19. Juli 1943 fand in Feltre eine Zusammenkunft Mussolinis und Hitlers statt. Es war die letzte vor dem Sturze des Duce. Sie war • überschattet von der Nachricht vom ersten Bombenangriff auf die militärischen Anlagen Roms, der am gleichen Tage stattgefunden hatte. Der Eindruck dieses Angriffes auf die Italiener war einfach niederschmetternd.

Zwei Tage darauf wurde Mussolini vom Konig empfangen, der sehr nervös war und ihn mit den Worten anfuhr: „Die Situation ist gespannt. Es kann so nicht weitergehen. Die Deutschen werden uns noch im Lande sehr übel mitspielen. Die Disziplin der Truppen lockert sich. Die Flieger von Ciampino sind bis Velletri geflohen. Sie nennen das .Absetzen'. Man muß unser Dilemma den Deutschen eindringlich vor Augen führen.“

Der König spricht also hier schon, von einem Dilemma und denkt an die Möglichkeit einer Kapitulation, um die Dynastie zu retten.

Unter diesem Titel, der einigermaßen an einen Film erinnert, schildert nun Mussolini, der nunmehr der Einberufung des Rates zugestimmt bat, die Vorgänge in der Sitzung dieses obersten Organes des Faschismus. V-

Am 24. Juli 1943 um 17 Uhr trat der „Große Rat“ zusammen. Alle Mitglieder in schwarzer Uniform. — Man denkt bei dieser Schilderung an ein Begräbnis. Es sollte etwas Ähnliches werden Niemand fehlte. An dieser Stelle gibt Mussolini sogar ein Stimmungsbild. Er schreibt: „Am Nachmittag des 24. Juli — einen Samstag

— erbleichte Rom. Ja, auch Städte haben ein Antlitz, worin sich seelische Regungen widerspiegeln. Rom fühlte, daß sich etwas Schwerwiegendes vorbereitete.“

Punkt 17 Uhr begann die Sitzung. Der Duce gab zuletzt eine Übersicht über“ die militärische Lage, die darin gipfelte, daß der Krieg, an einem außerordentlich kritischen Punkte angelangt sei. „Unter diesen Umständen“ — fuhr Mussolini fort

— „sammeln sich naturgemäß alle dem Regime feindlichen offiziellen und nichtoffiziellen, oberirdischen und unterirdischen Strömungen zu einer eirrheitlichen Front gegen uns und schon sind die ersten Anzeichen von Demoralisation' sogar in den Reihen des Faschismus festzustellen. „Gegenwärtig“ — sagt Mussolini weiter — „bin ich der am meisten gehaßte Mann in Italien. Die Spitze aller Angriffe auf militärpolitischem Gebiet richten sich naturgemäß gegen jene, die für die Führung des Krieges verantwortlich sind, •*ber es sei ein für allemal 'festgestellt, daß ich niemals die Betrauung mit dem Oberkommando der Wehrmacht angestrebt habe. Sie wurde mir vom König aufgetragen. Die Initiative ging von Marschall Badoglio aus.“

Mussolini bespricht sodann die deutsche Hilfe an Hand einiger Zahlen, die beweisen sollen, daß Deutschland Italien nicht im Stiche gelassen habe und versucht den Vorwurf zu entkräften, den gewisse der Kapitulation zuneigende Kreise machen, dieser Krieg sei nicht populär, man fühle dafür keine Begeisterung im Volke. Er meint, kein Krieg sei am Anfang populär, er werde es, wenn es gut gehe, man müsse nicht i allen augenblicklichen Stimmungen nachgeben. Den Krieg 1915 bis 1918, der auch nicht populär gewesen sei, hätten nur drei Männer entfesselt — Cadorna, D'Annunzio und er — Mussolini selbst! Aber war dies vielleicht ein Volkskrieg, wenn es dabei mehr als 535.000 Deserteure im Lande gab?

Mussolini fuhr fort: „Der Krieg ist immer ein Krieg der Partei, die ihn wollte, es ist der Krieg jenes Mannes, der ihn erklärt hat. Jetzt ist der Augenblick da, die Reihen zu schließen und die Verantwortung zu übernehmen, die die Lage erfordert. Im Jahre 1917 waren schon einige Provinzen verloren, aber niemand sprach von Kapitulation. Die Tagesordnung Gran-dis ruft die Krone auf den Plan. Der König kann mir nun folgendes sagen: ,Lieber Mussolini, die Dinge gehen in der letzten Zeit nicht gerade gut, aber es kann auf einen ungünsten Abschnitt ein besserer folgen. Sie haben den Krieg begonnen, führen Sie ihn weiter.' Der König kann aber auch etwas anderes sagen, und dies ist wahrscheinlicher: ,Meine Herren des faschistischen Regimes, jetzt, da Euch das Wasser bis an die Kehle geht, erinnert Ihr Euch plötzlich, daß es so' etwas wie eine Verfassung gibt, daß es auch einen König gibt. Gut, wenn man mir vorwirft, daß ich durch zwanzig Jahre diese Verfassung verletzt habe, so will ich Euch erklären, daß ich Euch dafür verantwortlich halte, daß es so weit gekommen ist, daher benutze ich Eure Anregung und werde Euch mit einem Schlag liquidieren.' Die reaktionären und antifaschistischen Kreise werden diesen königlichen Ausführungen freudig zustimmen... Meine Herren, geben Sie acht! Die Tagesordnung Grandi setzt das ganze faschistische Regime aufs Spiel.“

Soweit Mussolini. Daraufhin begründet Grandi in einer heftigen Philippica, in deren Verlauf er der Partei die schwersten Vorwürfe macht, seine Tagesordnung, die die Schaffung einer „nationalen inneren Front“ bezwecke, die bisher nicht bestanden habe, weil der König sich einer vorsichtigen Zurückhaltung befleißige. Es sei Zeit, daß der König nunmehr aus dem Dunkeln trete und auch seinen Teil der Verantwortung übernehme. Tue er das nicht, so bekunde e/ mit seinem Schweigen, daß die Dynastie überflüssig sei.

Der Zweck, den Grandi mit seiner. Tagesordnung und mit deren Begründung verfolgte, war klar. Es war alles mit den Hofkreisen vereinbart. Diese Rede brachte Verwirrung in den Großen Rat. Auch C i a n o s Ausführungen, die darauf hinaus liefen, Italien hätte diesen Krieg nicht provoziert, vielmehr alles versucht, um ihn zu vermeiden, vermochten keine zuversichtlichere Stimmung zu erzeugen.

Nach einer kurzen Unterbrechung der Sitzung, bei der alle Anwesenden zu Worte gekommen waren, rief auf Aufforderung Mussolinis Scorza zur namentlichen Abstimmung über die Tagesordnung Grandis auf. Neunzehn Mitglieder des Rates stimmten bekanntlich für Grandi, sieben dagegen, zwei hatten sich der Stimmen enthalten.

Mussolini erhebt und sagt: „Sie haben die Krise des Regimes provoziert. Die Sitzung ist geschlossen.“

Scorza will den üblichen „Gruß an den Duce“ ausrufen. Mussolini winkt ab: „Nein, ich enthebe Euch davon!“

Tags darauf empfängt der König den Duce mit den Worten: „Lieber Duce, es geht so nicht weiter, Italien geht in Brüche. Die Wehrmacht liegt moralisch am Boden. Die Alpini singen ein Lied, in dem es heißt, sie wollen nicht für Mussolini kämpfen. Die Abstimmung im Großen Rat ist fürchterlich, sie geben sich sicherlich keiner Täuschung darüber hin, welche Stimmung im Volke gegen Sie herrscht. Sie können auf keinen Freund mehr zählen, bis auf einen, auf mich. Ich werde Sie in Schutz nehmen, Sie brauchen wegen der Sicherheit Ihrer Person keine Sorgen zu haben. Ihr Nachfolger wird Marschall Badoglio. In sechs Monaten werden wir dann weiter sehen.“

Mussolini erwidert: „Diese Entscheidung ist von weittragender Bedeutung. Das Volk wird glauben, der Friede sei da. Der Schlag gegen die Kampfmoral der Wehrmacht wird ein schwerer sein. Diese Krise wird ein Triumph für Churchill und für Stalin sein. Ich gebe mich keinem Zweifel über den Haß des Volkes hin, ich konnte ihn heute Nacht im Großen Rat erkenne n.“

Es war 17 Uhr 20, als der König an der Schwelle des Hauses Mussolini mit einem Händedruck verabschiedete.

Der Duce eilt die Treppe hinab und will zu seinem Wagen. In diesem Augenblick tritt ein Kapitän der Karabinieri auf ihn zu und sagt: „Seine Majestät hat mich mit dem Schutze Ihrer Person beauftragt.“ Mussolini will weitergehen, der Kapitän jedoch zeigt auf einen anderen Wagen und sagt: „Nein, Sie müssen“ dort einsteigen.“

Mussolini und ein Sekretär besteigen diesen Wagen, hinter ihnen der Kapitän, ein Leutnant, drei Karabinieri und zwei Polizeiagenten mit Maschinenpistolen. Die Türe wird geschlossen, der Wagen fährt rasch davon, Mussolini — der Duce des Faschismus — ist der Gefangene des Königs. Mit ihm ist gleichzeitig die stärkste Bastion des Nationalsozialismus im Vorfelde des Dritten Reiches gefallen ...

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