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DerHirte geschlagen, die Herde zerstreut

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II. Wie und wovon leben die Priester?

Wie leben die katholischen Priester heute in den böhmischen Ländern?

In der Tschechoslowakei dürfen die Priester (mit Ausnahme der Hochschulprofessoren) nur noch Pfarrseelsorge betreiben. Alle Ordensniederlassungen wurden aufgelöst und die Ordenspriester zum Teil in die Pfarrseelsorge überstellt, zum Teil in Konzentrationsklöstern untergebracht oder gezwungen, ihr Leben als Arbeiter oder Angestellte fortzubringen.

Ein Priester, der in der Seelsorge tätig sein will, muß einen Treueid gegenüber dem Staat ablegen. Erst auf Grund dieses Eides erhält er die staatliche Genehmigung für seine Tätigkeit und einen staatlichen Gehalt. Ein Priester, der keine staatliche Genehmigung besitzt, darf öffentlich nicht als Priester tätig sein. Er kann höchstens die heilige Messe hinter geschlossenen Türen zelebrieren. Jede Aushilfe in der Seelsorge ist unter schwerer Strafe verboten; die Strafe trifft nicht nur den nicht genehmigten Priester, sondern auch jenen staatlich anerkannten Priester, der ihm erlaubt hat, in der Seelsorge auszuhelfen. Die Höhe der Strafe beträgt für den Ausübenden bis zu drei Jahren Kerker und für den Priester, der ihm die Ausübung einer Funktion gestattet hat, bis zu fünf Jahren Kerker (I).

Die staatliche Genehmigung berechtigt den Priester zur Ausübung des kirchlichen. Amtes im Bereich seiner Pfarre, aber ausschließlich nur in diesem Bereich. Eine Aushilfe in der Seelsorge in einer anderen Pfarre ist an die schriftliche Genehmigung des kirchlichen Sekretärs des betreffenden Gebietes gebunden.

In den böhmischen Ländern werden heute keine Pfarrer mehr ernannt. Dies hat teilweise rechtliche Gründe: Kapitelvikare dürfen ohne ausgesprochene päpstliche Bewilligung keine Pfarrer ernennen, und da die „Kapitelvikare“, die die böhmischen Diözesen „regieren“, natürlich diese Vollmacht nicht besitzen, können sie auch keine Pfarrer ernennen. Daneben gibt es aber noch einen praktischen Grund: Infolge des enormen Priestermangels wäre es nicht möglich, für jede Pfarre einen eigenen Pfarrer zu ernennen; jeder Priester muß meist mehrere Pfarreien — oft bis zu sechs — administrieren.

Die staatlich genehmigten Geistlichen dürfen in der Kirche die heilige Messe lesen, sie dürfen predigen, die Beichte abnehmen, die Sakramente erteilen, Trauungen und Begräbnisse vornehmen, den Religionsunterricht in den niederen Schulen erteilen und Prozessionen organisieren.

Auf den ersten Blick hat man also den Eindruck, als hätten die Priester alle Möglichkeiten, ihre seelsorgliche Tätigkeit auszuüben. Aber die Praxis sieht anders aus.

Man nehme nur den Religionsunterricht unter die Lupe, und man wird sofort die tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis feststellen können.

Religionsunterricht in den niederen Schulen kann jeder staatlich genehmigte Priester erteilen. Allerdings ist der Religionsunterricht Freigegenstand. In der 1. Klasse darf überhaupt keiner erteilt werden, weil die Kinder angeblich noch nicht lesen und schreiben können (als ob dies mit dem Religionsunter-' rieht etwas zu tun hätte), in der letzten Klasse darf ebenfalls keiner erteilt werden, da die Kinder angeblich durch die anderen Gegenstände zu sehr überlastet sind. In den übrigen Klassen darf Religionsunterricht nur immer als letzte Stunde im täglichen Unterricht erteilt werden — angeblich, weil Unterricht in Freigegenständen an den normalen Unterricht nur angestückelt werden dürfe, in Wirklichkeit aber, weil das Regime hofft, daß die Kinder durch den vorhergehenden Unterricht schon müde und im Religionsunterricht nicht mehr aufmerksam sind.

Da Religionsunterricht ein Freigegenstand ist, können an ihm nur jene Kinder teilnehmen, die von den Eltern dazu ausdrücklich angemeldet wurden. Die Schuldirektoren sind gesetzlich verpflichtet, die Eltern auf die Entscheidung bezüglich des Religionsunterrichtes aufmerksam zu machen, und haben den Kindern Anmeldeformulare auszufolgen, die jeweils bis zum 8. September bei der Schulleitung abzugeben sind. Die Schulleitung soll die Anmeldungen dem Schulinspektorat übermitteln, dieses hätte sie an den kirchlichen Sekretär des betreffenden Bezirkes weiterzuleiten, der dann mit dem zuständigen Priester die Anzahl der nötigen Unterrichtsstunden bespricht.

Schuldirektoren, in deren Bereich sich zu viele Kinder zum Religionsunterricht melden, erhalten natürlich bei ihrer vorgesetzten Behörde sofort einen „schwarzen Punkt“. Sie haben daher Interesse daran, daß sich möglichst wenig Kinder anmelden. Dies erreichen sie dadurch, daß sie ihrer gesetzlichen Pflicht, die Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder zum Religionsunterricht aufzufordern, gar nicht oder so nachkommen, daß die Eltern die Termine versäumen, oder sie zwingen die Eltern, die schriftlichen Anmeldungen persönlich abzugeben, bei welcher Gelegenheit sie dann versuchen, die Eltern zu überreden, ihre Kinder am Religions-

Unterricht nicht teilnehmen zu lassen, da den Eltern oder einmal auch den Kindern daraus Schwierigkeiten erwachsen könnten. Leider haben sie mit dieser Methode oft und zumeist bei Staatsangestellten Erfolg.

Jeder wird fragen, warum denn die Priester die Gläubigen nicht darauf aufmerksam machen, die Anmeldungen fristgerecht einzureichen. B e i einer Strafe von 1000 Kronen ist es jedem Priester verboten, die Eltern öffentlich — also von der Kanzel — aufmerksam zu machen, daß sie ihre Pflicht als katholische Erzieher zu erfüllen haben.

• So sieht die Wirklichkeit über die Freiheit der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei aus. Natürlich versäumen es die Priester nicht, ihre guten Bekannten geheim zu ermahnen, die

Kinder rechtzeitig und formgerecht (die Anmeldung muß von beiden Elternteilen unterschrieben sein) einzureichen. Aber der Erfolg dieser Art der Propaganda ist natürlich begrenzt.

Ist so die Tätigkeit des Priesters in der Schule sehr eingeengt, so werden der Tätigkeit des Priesters auch am Sonntag ständig Hindernisse in den Weg gelegt. Laufend ist die Entweihung der Sonntage. Wenn es, wie zum Beispiel zu Weihnachten 1956, vorkommt, daß ein kirchlicher, aber selbstverständlich staatlich anerkannter Feiertag auf einen Dienstag fällt, dann wird der Sonntag auf Montag verlegt und am Sonntag normal gearbeitet, angeblich, damit keine Arbeitszeit verlorengeht. Während der Erntezeit, wenn die sogenannten Kartoffel- und Zuckerrübenbrigaden in Tätigkeit sind, werden die Sonntage zwar nicht verlegt, aber an diesen Sonntagen darf der Gottesdienst nur nach der Werktagsordnung stattfinden, das heißt, die letzte Messe am Morgen muß spätesten um 6.30 Uhr, die erste Abendmesse frühestens um 17 Uhr gelesen werden.

Die Predigten werden zwar nicht zensuriert, auch wird nicht mehr verlangt, daß die Priester für den Sozialismus oder den Frieden predigen sollen. Jeder Geistliche wählt aber seine Worte sorgfältig aus, um nicht mit den Behörden in Konflikt zu kommen. Die Predigten werden ja laufend bespitzelt, und bei einem Konflikt mit der Behörde wird immer dem Denunzianten und nie dem Priester recht gegeben.

Prozessionen und Wallfahrten sind gestattet, doch muß jede einzelne -ausdrücklich und schriftlich durch den Bezirksnationaläus-schuß genehmigt werden. Prozessionen an den sogenannten Bittagen sind von vornherein verboten, weil dadurch das Getreide auf den Feldern zertreten wird und die Teilnehmer zuviel Arbeitszeit versäumen würden. Genehmigte

Fronleichnamsprozessionen dürfen nur in unmittelbarer Nähe der Kirche abgehalten werden und dürfen sich nur durch Seitengassen, aber nicht durch die Hauptstraßen bewegen.

Priesterexerzitien waren lange verboten, doch sind sie jetzt wieder in beschränktem Ausmaß gestattet. Ebenso waren lange sämtliche Priesterversammlungen verboten. Als die Institution der kirchlichen Sekretäre ins Leben gerufen wurde, organisierten sie im Auftrage des Regimes „Zusammenkünfte der Priester“ eines Dekanates. Ursprünglich wehrten sich die Geistlichen mit dem Hinweis, daß nur der Dechant ein Recht habe, die Priester zu einer Dekanatsversammlung einzuladen. Auch die Haltung der Bischöfe war ablehnend. Aber mit der Zeit haben sich diese Zusammenkünfte in Ermangelung einer anderen Möglichkeit des Zusammentreffens eingelebt. Zuerst fanden diese Zusammenkünfte einmal monatlich im Sitzungssaal des Bezirksnationalausschusses statt. Das Programm war politisch. Meist wurde ein Vortrag über die vorliegende politische' Situation, natürlich vom Standpunkt des Regimes aus betrachtet, gehalten, dann irgendein Friedensvortrag sowie Referate über die landwirtschaftlichen Genossenschaften, Ueber pastorale Angelegenheiten wurde nicht gesprochen. Später entwickelte sich die Lage so, daß einzelne Vorträge doch von Priestern gehalten werden konnten. Allerdings waren es meistens „patriotische Priester“, die Vorträge über den Sozialismus hielten. Bei diesen Versammlungen ging es oft sehr stürmisch zu, aber schließlich hörte sich jeder Priester die Referate an und ging dann nach Hause, erleichtert durch den Gedanken: „Wieder für einen Monat Ruhe.“

Wovon leben nun die Priester? Die Kirche wurde in der Tschechoslowakei vollständig enteignet. Nur zwei Hektar darf jede Pfarre bzw. Kirche unter der Oberaufsicht des Staates, direkt verwalten. Durch die Währungsreform im Jahre 1953 wurde auch jedes Barvermögen der Kirche und der Pfarren entwertet.

Die Priester, die die „staatliche Genehmigung“ besitzen, erhalten regelmäßig vom Staat ihren Monatsgehalt. Im ersten Jahr der seelsorglichen Tätigkeit erhält der Neupriester monatlich 680 Kronen (= 680 S). Alle drei Jahre wird dieser Gehalt um 60 Kronen monatlich erhöht. Wird ein Kaplan Administrator oder Provisor, so erhöht sich sein Grundgehalt um 200 Kronen. Vom Bruttogehalt wird die Lohnsteuer und die Sozialversicherung abgezogen. Der Religionsunterricht ist unentgeltlich, weil selten ein Priester soviel Unterrichtsstunden erreicht, daß er Aussicht auf Bezahlung hätte. Jeder Pfarrer bzw. Administrator oder Provisor ist verpflichtet, wöchentlich acht Stunden, ein Kaplan wöchentlich zehn Stunden gratis zu unterrichten. Erst eine Mehrbelastung wird bezahlt. Aber der Stundenplan wird immer so erstellt, daß die Anzahl der Mußstunden nicht überschritten wird.

Die laufenden Ausgaben1 muß die Pfarre aus ihren eigenen Einkünften tragen; erst wenn diese nicht ausreichen, ergänzt der Staat nach Ueber-prüfung der Angaben den Abgang. Das ist der sogenannte „staatliche Beitrag“, mit dem sehr oft Propaganda betrieben wird und bewiesen werden soll, wie gut es der Kirche in der tschechoslowakischen Republik gehe.

(Fortsetzung und Schluß in der nächsten Nummer)

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