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Des Führers Admirale

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Eines der beliebtesten Propagandabilder aus der Zeit vor 1933 zeigte den damaligen Parteiführer Hitler bei der Besichtigung eines Kreuzers der deutschen Reichskriegsmarine. Die kleine Reichskriegsmarine der Weimarer Republik schien für den künftigen Reichskanzler offenkundig Sympathien demonstrieren zu wollen, die man in Berlin nicht gerne sah. Das war kein Zufall, denn gerade aus den Kreisen der früheren kaiserlichen Marine kamen viele sehr aktive Anhänger Hitlers: Manfred von Ę i 11 i n g e r, der lange Zeit nach Röhm der gefürchtetste SA-Führer war, entstammte dem Marineoffizierskorps, Hitlers erster Polizeipräsident in Berlin, Admiral Levetzow, war Stabschef in der Schlacht vor dem Skagerrak, und nicht zuletzt war Reinhard Heydrich, der eigentliche Kopf der SS, ehemals Oberleutnant zur See. Diese Politiker waren ausgeschiedene Seeoffiziere, oder, wie Heydrich, auf Grund einer Ehrenaffäre verabschiedet worden. Die Marine selbst stand unter der Führung des späteren Großadmirals R a e d e r außerhalb der eigentlichen Kampfzone um Machtpositionen im Dritten Reich, und es war Raeders Verdienst, durch kluge Zurückhaltung das Eigenleben dieses Wehrmachtsteiles gekichert zu haben. Allerdings: e in Komplex war für das Marineoffizierskorps, das in sich böse Erinnerungen seit 1918 trug, nie zu überwinden: der Gedanke an eine Revolte schien undenkbar, und trotz der aussichtslosen außenpolitischen Lage seit 1938, die gerade die Marineoffiziere sehr rasch erkannten, erklärt sich aus dieser Einstellung, daß eine sichtbare Verbindung zwischen Marine und der politischen Opposition nie bestand.

Und doch ist die Geschichte dieses Wehrmachtsteiles mit ein interessanter Beitrag zur Erklärung der psychologischen und strategischen Fehler, die Hitler in so reichem Ausmaß beging. Wer hätte diese besser beschreiben können, als Konteradmiral Karl Jesko von Puttkammer („Die unheimliche See“ — Hitler und seine Admirale. Verlag Karl Kühne, Wien-München), der als Verbindungsoffizier durch Jahre hindurch im Führerhauptquartier die Belange der Marine vertrat. Ein interessanter Zufall hat durch Einsichtnahme von noch nicht veröffentlichten Dokumenten dem Rezensenten die Möglichkeit gegeben, Puttkammers Ausführungen auch von der aktenkundlichen Seite zu überprüfen.

Am Anfang der Beziehungen Hitlers zu Raeder waren diese von einem gegenseitigen kühlen Achtungsverhältnis getragen. Der Volkstribun, der, ehe er sich 1938 mit dem Eichenlaub der Generale schmückte, im Kreise seiner Offiziere recht gehemmt bewegte, besaß große technische Kenntnisse auf dem Gebiete des Marinewesens. Trotzdem war sein Interesse sehr einseitig, wie er überhaupt trotz des angelernten technischen Wissens kaum die Gegebenheiten etwa der Kampfkraft eines Schiffes in die Erfordernisse der Strategie einzubauen wußte. Die See war ihm zeitlebens ein unheimlicher Faktor, und gegenüber seinem späteren Großadmiral äußerte er sich einmal: „Auf dem Lande bin ich ein Held, aber zur See ein Feigling.“ Hitlers kontinentales Denken führte auch zu seinem Lieblingsplan, dem berühmten Flottenabkommen mit England, das übrigens, wie Puttkammer anführt, keineswegs das alleinige Verdienst Ribbentrops, sondern die Frucht der stillen und sachlichen Vorverhandlungen britischer und deutscher Marinekommissionen war. In Baumaßnahmen der Kriegsmarine mischte sich Hitler erst 1937 ein, als sich herausstellte, daß die seinerzeit so berühmten Neubauten der „Westentaschenkreuzer“ sich als unzulänglich erwiesen. Im Ernst rechnete Raeder nie mit der Möglichkeit eines tatsächlichen Konflikts mit England, wohl aber frühzeitig Göring, der bis in die Krisenjahre des zweiten Weltkrieges der schärfste Gegner der Marineleitung war und blieb. In der völligen Verkennung der Bedeutung der Torpedoflugzeuge und einer Marineluftwaffe wurde noch vor Kriegsbeginn der ohnehin kleinen Kriegsmarine durch Görings Eifersucht, aber auch durch seine großspurige Versicherung, daß er unter Umständen die „britische Flotte um ihre Inseln jagen würde“, ein wichtiges Kampfinstrument versagt.

Als am 3. September 1939 entgegen allen Voraussagen Ribbentrops der britische Botschafter die Kriegserklärung überreichte, standen Raeder und seine Marine vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Immerhin gelang es der U-Bootwaffe, die erst im Aufbau begriffen war, einige respektable Anfangserfolge zu erringen, und der zeitweilige Einsatz der streng geheimgehalten, noch technisch unausgereiften magnetischen Minen brachte die englische Flotte nach Churchills eigenen Aussagen in arge Verlegenheit.

Der erste Zusammenstoß Raeders mit Hitler erfolgte nach der Selbstvernichtung des Panzerkreuzers „Graf Spee“ nach einem unglücklichen Gefecht im Südatlantik. Raeder war der Auffassung, daß die „großen Schiffe" weitreichende Störunternehmungen durchzuführen hätten, wobei vielleicht der Gedanke mitgespielt haben mag, nicht wie im ersten Weltkrieg durch monatelanges Liegen im Einsatzhafen Mißstimmung bei den Besatzungen gegenüber der siegreicheren U-Bootwaffe zu erzeugen. Hitler, dem es mehr um das Prestige dabei ging, stand diesen Gedanken ablehnend gegenüber, und es sollte sich noch viel später zeigen, daß er bereit war, radikale Konsequenzen aus dem scheinbaren Versagen der schweren Einheiten zu ziehen.

In einem einzigen Unternehmen aber sollte die Marine in direkter Berührung mit ihrem obersten Befehlshaber überraschend Einblicke in die Krisen des Hauptquartiers erhalten. Großadmiral Raeder hatte bereits am 10. Oktober 1939 auf Grund eingelangter Nachrichten auf eine bevorstehende Besetzung Norwegens durch britische Streitkräfte hingewiesen und vorgeschlagen, unter Umständen die Besetzung dieses Landes zu veranlassen. Hitler war von diesen Plänen wenig begeistert, da er sich viel mehr mit dem Westfeldzug beschäftigte .13'1 Erst als über Rosenbergs Vermittlung Quisling in Berlin erschien, gab Hitler žinen Geheimbefehl über die etwaige Besetzung Norwegens durch die drei Wehrmaditsteile. Erst verschiedene Zwischenfälle im Februar und März 1940 lösten die Operation Weserübung" am 9. April aus. Es ist heute eine feststehende Tatsache, daß die deutschen Landungen nur um wenige Stunden den britischen Aktionen zuvorkamen. Die Marine erlitt dabei schwere Verluste, Die Krisenmeldungen rissen nicht ab, und Göring verlangte mehr als einmal für sich die erste Rolle in diesem Feldzug, Hitler hatte bereits den Befehl gegeben, die Räumung Narviks durch den Übertritt der Gruppe Dietl nach Schweden zu vollziehen — ein Befehl, der angesichts des scheinbaren Wirrwarrs von Jodi überhaupt' nicht weitergegeben wurde. Das Ergebnis des Feldzuges, den England angesichts der Katastrophe im Westen abbrechen mußte, war wohl die ungeheure Stärkung der deutschen Position, aber eine Schwächung der Marine, die sie nie mehr überwinden konnte. Die norwegische Bastion, von der Hitler bis zum Jahre 1944 immer wieder glaubte, daß dort die „zweite Front“ entstehen würde, fraß unheimliche Mengen an Menschen und Material.

Noch einmal, im Westfeldzug, schienen Raeders Streitkräfte zu einer kombinierten Landungsoperation verwendet zu werden: der vieldiskutierte Plan „Seelöwe“ zur Landung in England hatte eine kurze Lebensdauer, nämlich vom 15. August bis 21. September 1940. Ob technisch die Landung überhaupt möglich gewesen wäre, bezweifelten schon damals die Fachleute. Göring jedenfalls glaubte, durch die Luftschlacht um England die ihm ohnehin unliebsame Marineleitung ausschalten zu können und erlebte in der konzentrischen Jagdabwehr der RAF und im Auftauchen eines neuen unheimlichen technischen Gerätes, das auch für die Marine tödlich werden sollte, seine schwerste Niederlage. Denn der Fortschritt der britischen Kurzwellentechnik und die verschiedenen Ortungsgeräte ließen den seit 1940 verstärkt anlaufenden U-Bootkrieg trotz großer Anfangserfolge immer mehr zu einem riskanten Unternehmen werden. Anfänglich bewährte sich noch unter der Führung von Dönitz die berühmte Taktik, zusammengefaßte U - Boot - Einheiten gegen den Feind zu führen. Als aber im zunehmenden Maße die technische Hilfe der USA und nach deren Kriegseintritt die Langstreckenflugzeuge mit ihren Radarsuchgeräten jede Quadratmeile des Meeres unter Kontrolle bekamen, stiegen die Verluste der U-Boote zu einem untragbaren Maß. Raeder, der 1941 vergeblich versucht hatte, durch eine eindrucksvolle Denkschrift Hitler vom Rußlandfeldzug abzuhalten, erlebte noch die Katastrophe der „Bismarck" — nicht zuletzt eine Folge der durch Göring betriebenen Vernachlässigung einer eigenen Marineluftwaffe. Hitler, der sich mehr und mehr gegen die schweren Schiffe aussprach, billigte deshalb das Rücktrittsansuchen Raeders, und glaubte in dem jüngeren Admiral Dönitz einen geeigneten und energischeren Nachfolger gefunden zu haben. Aber auch Dönitz war nicht imstande, Wunder zu wirken. Er versuchte nur, mit der ihm eigenen Zähigkeit und Anpassung, durch ständige Anwesenheit im Hauptquartier, die Belange der Marine, die längst nicht mehr eine Hilfswaffe für die verzweifelte strategische Situation des Landheeres geworden war, persönlich zu vertreten.

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