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Des Landes letzte Zuflucht

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Ein Fremder kommt auf dem Wiener Stubenring an einem imposanten, massigen Gebäude vorbei. Er bemerkt, daß die Fassade mit einer langen Reihe steinerner Soldatenköpfe geschmückt ist, welche offenbar Waffengattungen und Nationalitäten des alten Österreich repräsentieren. Unterhalb des Daches erhebt sich ein riesiger belli-koser Doppeladler über einem Schwerterbündel, und vor dem Eingangstor steht das Reiterdenkmal des Feldmarschalls Radetzky. Der Fremde irrt: in diesem Gebäude befindet sich nicht das Landesverteidigungsministerium. Früher, in der Monarchie, ist

es hier gewesen. Heute sind in dem schönen, weitläufigen Bau andere Ministerien untergebracht. Es ist symbolisch für die geänderten Zeiten und d^, Rangfolge, die man heute den Dingen einräumt, daß es die Ministerien für Handel und für Soziale Verwaltung sind, dieweil die Landesverteidigung „ums Eck“ auf dem Franz-Joscphs-Kai haust.

Sie befindet sich dort in einem neuen Haus oder vielmehr, wie man später beim Eintreten bemerkt, in einem alten mit einer neuen, auf modern-glatt hergerichteten Fassade, die unbeschwert von Soldatenköpfen ist und von militärischer Tradition; Handel und soziale Verwaltung bedürften dieser eigentlich weniger als die Landesverteidigung. Man schätzt militärische Tradition in Ländern mit sehr modernen Armeen, zum Beispiel in England, wo man die Fußregimenter der kleinbürgerlichen Yeomanry, die Agincourt gewinnen half, ebenso hochhält wie die von der Gentry geschaffenen alten Reiterregimenter, auch wenn diese sich unterdessen auf Panzern und nicht mehr auf Rossen fortbewegen. Und in den USA hält man an den militärischen Überlieferungen von Valley Forge aus dem Aufstand der Kolonisten gegen den König von England ebenso fest, wie an jenen des Bürgerkrieges zwischen den Süd- und den Nordstaaten. Heute setzen die Yankees in Bull Run, wo der Süden siegte, ebenso ihren Stolz wie die Südstaatler in Gettysburg, wo sie eine Schlappe erlitten. Ja, sogar im sowjetischen Rußland wußte Stalin sehr wohl, weshalb er in höchster Not, als die deutsche Wehrmacht vor Moskau stand, der Roten Armee die zaristischen Offiziers- und Mannschafts-epauletten und Lampassen und das Recht, die alten Orden wieder zu tragen, zurückgab und weshalb er sich selbst den Titel eines Generalissimus verlieh. Landesverteidigung rührt durch ihre Anforderungen an die elementarsten Grundlagen der menschlichen Existenz; deshalb muß man auch auf alles zurückgreifen, das uns in der Vergangenheit zu höherer Gemeinsamkeit verbunden hat.

Nichtsdestoweniger berührt uns, wenn wir ins Innere des „alt-neuen“ Landesverteidigungsministeriums treten, die Anspruchslosigkeit, Sparsamkeit, ja Schäbigkeit, die sich hier

kundi.it, durchaus nicht unsympathisch. Es paßt zu einem Ressort, das von der Mehrzahl seiner Bediensteten geradezu als berufliche Tugend verlangt, daß sie sich einschränken und auf Komfort verzichten können: von den Soldaten. Später erzählt in diesem Haus ein jeder, der nur irgendwie die Gelegenheit dazu hat, daß die Landesverteidigung mit vier Prozent vom gesamten Bundesbudget das am schlechtesten dotierte Ressort des österreichischen Staates ist. Bei den gleichfalls neutralen Schweizern und Schweden ist der Anteil der Landesverteidigung am Staatsbudget drei- bis

viermal größer als bei uns. Die Gründe hierfür sind zahlreich. Einer davon ist vielleicht, daß die Schweizer und Schweden schon seit Jahrhunderten den Krieg nicht im Land gehabt haben. Sie wissen, wieviel von ihrer Wohlhabenheit sie diesem Umstand verdanken. Und sie sind bereit, es sich etwas kosten zu lassen, damit das weiter so bleibe und der Krieg weiterhin von ihrem Land ferngehalten werde. Wir hingegen haben zwei Weltkriege mitgemacht, und sie haben uns fürchterlich viel gekostet. Daher möchten wir jetzt am liebsten von gar nichts etwas wissen, was mit Kriegführung zu tun hat. Wir möchten in Ruh' gelassen werden und nicht wieder einmal mit den Kommißstiefeln an unseren Füßen sterben müssen. Es wird schon nichts passieren, und wenn, dann haben wir wenigstens unterdessen unbeschwert gelebt. Das ist zwar nicht sehr logisch, aber wir sind nun einmal so. Wenn das Schlamassel da ist, sind wir viel eher bereit, Opfer zu bringen, um es loszuwerden.

Bereits in der Organisationsstruktur des Verteidigungsministeriums zeigt sich, daß hier gespart wird. In anderen Ländern ist das Heeresministerium ein ziviler Verwaltungskörper wie jedes andere Ministerium. Das Militär aber ist ein Organismus für sich, mit einer eigenen obersten Leitung und eigenen Verwaltung, und untersteht nur in beschränktem Maß und indirekt dem Ministerium. Bei uns ist das anders. Wenn man vom Bundesminister Dr. Schleinzer, dem Staatssekretär Rösch, dem Chef der Präsidialdirektion, Dr. Steiner, sowie dem Heereschefingenieur B j e 1 i und einer Anzahl von Beamten und Vertragsbediensteten absieht, ist das Ministerium organisatorisch und personell identisch mit dem obersten Armeekommando und dem Generalstab und allen möglichen anderen militärischen Stellen.

So ist der Chef der Ministerial-sektion II — welcher die Personalangelegenheiten des Heeres mit allen seinen menschlichen Beständen und Reserven obliegen —, der Generalmajor R ü h 1 i n g, ein alter Dragoner aus dem Bundesheer der Ersten Republik. In sein Ressort fallen unter anderem so ernste Dinge wie Disziplinar-angelegenheiten und so angenehme

wie Belobigungen und Auszeichnungen — die zu Unrecht jetzt keine speziell militärischen mehr sind, sondern die gleichen, die man für recht zivile Verdienste um den Staat erhalten kann.

Vermutlich die ausgedehnteste und eine der wichtigsten Sektionen des Ministeriums ist die dritte. Ihr untersteht praktisch alles, was mit den militärischen Operationen des Heeres im taktischen Sinn zusammenhängt: Karten- und Feldmessungswesen, Organisation der Bewaffnung und Ausrüstung, Garnisonierungen, Landesbefestigungen, die Mobilmachungsabteilung, die

militärische Ausbildung, die Planung des Heeresaufbaues, der militärische Luftschutz, die Flugstreitkräfte, Flugplätze, der Wetterdienst und der Nachrichtendienst, mit dem auch unsere Militärattaches im Ausland verbunden sind. Der Chef dieser riesigen Sektion ist derzeit ein noch „junger Mann“: der General der Infanterie, S e i t z. Mit seinem braunen Allwettergesicht und seiner Wortkargheit erinnert er einen eher an einen Berg-

führer oder Skilehrer oder eben einen Offizier der Gebirgstruppe (von der er auch herkommt; er trägt noch immer ihr Edelweißabzeichen auf der Uniformkappe) — nicht aber würde man ihm zutrauen, vom Schreibtisch aus diese riesige, vielgliederige und bedeutungsreiche Organisation ständig zu lenken.

Generalmajor M i 11 a c h e r ist der Mann der Ziffern und Zahlen und aller materiellen Fakten des Heeres. Er nennt sein Departement die „Materielle Sektion“ — und nicht die der Versorgung, weil bei diesem Wort dem Österreicher Lainz und andere Altersversorgungsheime oder Sinekuren einfallen. All das ist diese Sektion nicht. Ihre Aufgaben verlangen von ihrem Leiter, daß er die liebevolle Gebefreudigkeit einer Amme mit den materiellen Ressourcen des Präsidenten eines riesigen Industriekonzerns, der technischen Findigkeit und Beschlagenheit eines Edison und der Sparsamkeit eines Schotten vereinige. Er muß unzählige materielle und technische Bedürfnisse der Armee von selber erkennen, er muß weiter die Notwendigkeit zur Befriedigung der noch zahlreicheren Anforderungen überprüfen, er muß alle verlangten oder von Firmen angebotenen Materialien vor ihrer Anschaffung auf ihre militärische, technische und auf ihre wirtschaftliche Eignung in bezug auf Preis-und Lieferkonditionen prüfen. Er muß von jedem der derzeit rund dreitausend Vehikel der Armee wissen, wie verläßlich es ist und wann seine Lebensdauer zu Ende ist. Ein Alptraum des Sektionsleiters sind die fehlenden und nie wieder aufzutreibenden Ersatzbestandteile für die seinerzeit von den Alliierten gespendeten Hilfslieferungen, die häufig damals schon „tote Serien“ und aus der Produktion gezogen waren. Der Generalmajor weiß auf den Schilling und Groschen genau, was die zwei Kilogramm wiegende Tagesverpflegung eines Mannes kosten darf, und daß die Verpflegung einer Brigade durchschnittlich fünftausendmal soviel wiegt und kostet, denn eine jede der neun Brigaden des österreichischen Heeres hat durchschnittlich 5000 Mann. Er muß die Fahrzeuge einer jeden dieser Brigaden mit 45 bis 50 Kubikmeter Treibstoff pro Tag versorgen.

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