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Deutsch sprechen — Österreicher sein

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Diplomatenmemoiren präsentieren sich In verschiedenem Gewand, sie sind das eine Mal amüsante Milieuschilderungen oder persönliche Rechtfertigung, das andere Mal diplomatisch-politische Geschichtsschreibung oder — meist sehr spät — publizierte Tagebücher. Jederzeit müssen sie eine gewisse Zurückhaltung beobachten, wie es auch beim Botschafter Clemens Wildner in seinem Buch „Von Wien nach Wien” der Fall ist, das bloß schildert, „soweit es möglich und in diesem Rahmen angezeigt erschien”. Wildner, der durch 42 Jahre auf 17 Posten in elf Staaten und vier Kontinenten seine konsularische und diplomatische Laufbahn zurücklegte, somit reichste Erfahrungen sammeln konnte, hält sich in seinen Erinnerungen, gleich wertvoll für die jüngste Geschichte Österreichs wie für die Diplomatie-Geschichte, an kein Schema, er ist ein ebenso gewissenhafter Chronist wie ein unterhaltender Erzähler, zugleich ein ungemein scharfer Beobachter und Kritiker, der stellenweise Staat und Gesellschaft eine richtige Kapuzinerpredigt hält.

Die Erinnerungen beginnen nach einem kurzen Auftakt in Breslau noch in der Zeit, als während des ersten Weltkrieges in Konstantinopel der k. u. k. Botschafter Markgraf Pallavicini die österreichisch- ungarische Großmacht vertrat, und als dort die Konsuln noch die Konsular- gerichtsbarkeit ausübten. In der Folge führte der Dienst den Autor in buntem Wechsel nach Deutschland, Polen, Ungarn, in die Türkei, nach Griechenland, Persien, Afghanistan, Ägypten, in die arabischen Staaten, nach Brasilien und schließlich nach Madrid. Die Höhepunkte dieses bewegten Diplomatenlebens stellen die in Köln und Budapest verbrachten Jahre von 1925 bis 1938 dar. die hauptsächlich das Buch füllen und neue Beiträge zur Entwicklung des Nationalsozialismus und zum Anschluß Österreichs liefern. Von den zahlreichen bedeutungsvollen Diplomatengesprächen seien jene mit Vertretern Großbritanniens und Frankreichs unmittelbar vor Hitlers Einmarsch in Österreich hervorgehoben, die auf den rätselhaften Gang der hohen Politik ein seltsames Licht werfen. Ein englischer Diplomat erklärte: „In der Hoffnung auf einen langen frieden« habe England,, ,,Mine militärischen Rüstungen vernachlässigt, es sei gegenüber Deutschland hoffnungslos ins Hintertreffen geraten … Österreich müsse aushalten.” Frankreichs Gesandter war nicht klüger: „Wir und die Engländer sind mit unseren militärischen Rüstungen nicht im entferntesten fertig, wir haben ja eben erst angefangen.”

„Von Wien nach Wien” bietet eine eindrucksvolle Personenschau von 1917 bis 1960. Vom bereits erwähnten Markgrafen Pallavicini hören wir, er sei 1918 als Außenminister in Erwägung gestan den: „Es ist jedenfalls bedauerlich, daß Kaiser Karl seinen Entschluß … Pallavicini zum Minister des Äußeren zu ernennen, im letzten Augenblick wieder abänderte.” Von den großen Akteuren umstürzender Zeiten ziehen am Leser vorüber: Atatürk, Horthy mit Ungarns letztem überragendem Außenminister Känya, Hitler, Franco und Adenauer, „der große Staatsmann, wie er in solchem Format nur alle hundert Jahre einem Volke beschie- den ist”. Es folgen die Schrittmacher des Anschlusses: Dr. Riedl, der nach Mataja „nicht mehr die ihm aufgetragene Politik der Regierung vertreten, sondern auf eigene Faust großdeutsche Politik gemacht hat”, Glaise, der nach Deutschland reiste, um „mehr oder weniger getarnte Anschlußvorträge zu halten”, Dr. Schober, „alles eher als ein Staatsmann”, der mit Dr. Curtius „mit seltenem Dilettantismus und, was das Schlimmste war, ohne jede diplomatische Vorbereitung” die Zollunion in die Welt setzte. Auf der Gegenseite zeichnet Wildner — nichts übersehend — die Verteidiger Österreichs: Dr. Seipel, der in Beurteilung des Nationalsozialismus klar voraussah („Es waren prophetische Worte”), Dr. Dollfuß, „Symbol eines freien, unabhängigen und gegen die Vergewaltigung von außen streitenden Österreich”, Dr. Schuschnigg, der gleich einem geschlagenen Feldherrn harten Tadel hinnehmen muß, doch wird (Seite 195) zugegeben, daß die Fehler weniger in Österreich lagen als bei den Großmächten: „Das Tragische ist, daß es in jener kritischen Zeit nur einer einfachen militärischen Demonstration des Westens mit einem energischen diplomatischen ,Nein’ bedurft hätte …” Dieser ungerüstete Westen hat eben Österreich einfach fallen lassen, und man steht immer wieder vor der Frage, ob das isolierte und weitgehend abgerüstete Österreich unter solchen Umständen seinem Schicksal noch eine andere Wendung hätte geben können. Neben den Staatsmännern und Politikern werden auch die industriell-wirtschaftlichen Kreise vorgeführt, nicht nur im „Allgewaltigen der I. G. Farben, Geheimrat Düisberg”, sondern auch mit allen nur denkbaren Parallelen zu unserem Wohlfahrtszeitalter im abstoßenden Protzentum der Neureichen.

Ein besonderer Wert des in jeder Beziehung aktuellen Buches liegt darin, daß es keiner strittigen Frage ausweicht. Wer sich dafür interessiert, wie man über Monarchie und Demokratie, über Minister, Berufspolitiker, Koalitionen, über Parteibuchbeamte und Beamtenethos, über Minderheiten und vieles andere noch so oder so denken kann, der wird anregendste und freimütige Darlegungen finden. Der wahrheitsfanatische Autor nimmt auch den eigenen Beruf, ja sich selbst nicht aus, wenn es darum geht, aus dem Vergangenen zu lernen. Gewissenhaft werden Fragen des Metiers untersucht, Outsiders im diplomatischen Dienst, Protokollprobleme, Botschafterinflation, Reisediplomatie. Die Gesellschaft wird in ihrem nicht immer erfreulichen Wandel seit vier Jahrzehnten bis zu ihrem Abgleiten in die Cocktailparty- Atmosphäre seziert: „Ich nenne die Cocktailparty den Tod des gesellschaftlichen Lebens und das Grab der schöngeistigen Konversation.” Daß viele Späne fliegen,

wo viel gehobelt wird, darf nicht wundernehmen, und so manche Leser werden es unangenehm empfinden, Wahrheiteu der Vergangenheit schwarz auf weiß zu lesen, die sie lieber nicht mehr gedruckt sehen wollten, da sie sich im vorgehaltenen Spiegel selbst erkennen. Auf anderem Gebiet werden es viele dem Autor danken, daß er einen weiten Blick hinter die Kulissen des Außendienstes ermöglicht und Vorurteile zerstören hilft, die gerade dem Diplomaten zu Unrecht entgegengebracht werden. Alles in allem lassen die Erinnerungen den bleibenden Eindruck zurück, daß Clemens Wildner auch in heikelsten und schwierigsten Lagen immer ein Vertreter des besten österreichischen Beamtentums geblieben ist, daß er sich niemals auch nur einen Schritt von seinem Vaterland entfernt hat. Auf Seite 191 findet sich das politische Selbstbekenntnis: „Wann werden unsere Politiker endlich den Mut auf- bringen, ohne billige Effekthascherei und ohne Spekulation auf einige Wählergruppen zu sagen: Ja, wir sprechen deutsch, aber wir sind Österreicher und fühlen uns als Österreicher und wollen nichts anderes sein. Österreich wurde bereits im Jahre 1866 aus der deutschen Schicksalsgemcinschaft ausgeschlossen, und die politische Entwicklung der folgenden hundert Jahre hat logisch zu der Idee Österreich geführt. Und wem dieses Konzept nicht paßt… wir halten ihn nicht.”

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