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Deutsche in Rumänien

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Man wird heute in Bukarest und auch weiter im Osten, in Konstanza, mit einiger Überraschung feststellen, daß die deutsche Sprache ausreicht, um sich verständlich machen zu können. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen heute in Rumänien deutsch sprechen oder zumindest verstehen, ganz abgesehen von den Gebieten Banat und Siebenbürgen, wo nach wie vor Deutsch als Muttersprache besteht. Die rumänische Volksrepublik ist auch an die Lösung des Problems ihrer Minderheiten mit erheblichem Raffinement herangegangen, indem man nach dem Schockeffekt der Kriegszeit und unmittelbaren Nachkriegszeit gleichsam auf dem Kompensationsweg die Pflege der jeweiligen Sprache und Kultur nicht nur ermöglichte, sondern mit beträchtlichen Geldern unterstützte und damit eine Art Vergütung für die gerade bei den freien deutschsprachigen Bauern besonders schmerzliche Kolchosierung anbot. Die Banater, die Siebenbürger und alle insgesamt 400.000 Deutschsprachigen mußten sich also von ihrem alten materiellen Erbe trennen, .erhielten aber eine recht erhebliche Hilfe für die Erhaltung der Kultur in ihrer eigenen Sprache.

Man lernt wieder Deutsch

Diese Pflege beschränkt sich nicht auf die Gebiete der Minderheiten, sondern reicht über das ganze Land, denn es gibt außer im Banat und in Siebenbürgen auch in Bukarest deutsche Schulen, und allen Familien wird, wenn sich in der eigenen Stadt keine solche Schule befindet, internatsweise eine Erziehung der Kinder in deutscher Sprache ermöglicht. Freilich — die politische Orientierung ist nicht anders als in den rumänischen Schulen. Jedenfalls trägt diese Haltung der Rumänen gegenüber der deutschen Minderheit dazu bei, daß auch von den Rumänen selbst außerordentlich viel Deutsch gelernt wird. Man kann sich also mit,.sehr .vielen jüngeren Menschen in deutscher Sprache verständigen, was zum Beispiel, in Ungarn keffteiWlfs’ der FS11 ist. wie man mir von orientierter Seite bestätigte, befindet sich die Verbreitung der deutschen Sprache in Rumänien nicht nur nicht im Schwinden, sondern in starkem Zunehmen.

Die deutschsprachigen Schriftsteller sind, davon konnte ich mich konkret überzeugen, den rumänischen gleichgestellt, und dies auch dadurch, daß sie in deutscher Sprache im eigenen Land, und zwar in ansehnlicher Auflage, gedruckt und verbreitet werden. Bei der Honorierung wird, da sie nach Umfang des Werkes erfolgt, die immer noch geringere Auflage als bei den rumänisch Schreibenden nicht wesentlich fühlbar.

Eine deutschsprachige Tageszeitung, „Neuer Weg”, und eine zweimonatlich erscheinende deutsche Zeitschrift, „Neue Literatur”, geben eine publizistische Möglichkeit — natürlich nur im Sinne der gewünschten politischen Richtung. Aber man hört etwa: „Immerhin, wir haben jetzt endlich eine eigene Zeitschrift, eigene Verlagsmöglichkeiten im Land, das gab es früher nicht!” Die

Rumänen waren mit viel Geschick dabei, die wichtigsten Autoren in möglichst individueller Weise in ihr System einzubauen. Die Bücher des jetzt 84jährigen Adolf Menschendörfer wurden wieder gedruckt, und es erschie- ndfi ‘ drei neue Erzählungen. ‘Ebenso liegen fünf Bände Erzählungen von dem, scbwerkranken 62jährigen Erwin Wittstock vor und mehrere Werke des 63jährigen Oscar Walter Cisek.

Wenn man dem 61jährigen, in Bukarest lebenden Lyriker Alfred Mar- gul-Sperber, der einst zum Kreis um Karl Kraus zählte, gegenübersitzt, wird sehr viel gemeinsame Tradition lebendig. Sperber besuchte in Wien das Piaristengymnasium, lebte eine Zeit- lang in Prag und war mit Max Brod in Verbindung, besuchte Hofmannsthal, kennt Johannes Urzidil — man fühlt die menschliche Gemeinsamkeit, und doch, alles geschieht hier in jener besonderen Situation, die jeder kennen muß, der sich auf Forschungsreisen im kulturellen Leben der Satellitenstaaten bewegt. Alfred Margul-

Sperber und Emmerich Stoffel, Chefredakteur der „Neuen Literatur”, weisen darauf hin, daß es insgesamt etwa 22 deutschsprachige Prosaautoren, 22 Lyriker und 10 Kritiker gebe, darunter sei auch die jüngere Generation sehr bemerkenswert vertreten, wobei die Namen Paul Schuster, Anton Breitenhofer, Franz Storch, Hedi Hauser und Franz Heinz genannt wer den. Natürlich darf man sich nicht im unklaren darüber sein, daß — und ich habe mich davon überzeugt — diese neue deutschsprachige Generation, die bereits unter den bestehenden Verhältnissen herangewachsen ist, das neue System als durchaus heimatlich empfindet und vom marxistischen Standpunkt her argumentiert. Doch hat man den Eindruck, daß diese Generation ehrlich um die Lösung der Probleme ringt und nach bestem Wissen vorgeht, nach einem Wissen, das wohl in der Theorie sehr weit und präzis ausgebaut ist, aber in der Erfahrung begreiflicherweise eben sehr viel Wichtiges nicht enthält. Die Auseinandersetzung mit der westlichen Lebensform steht dieser jüngeren Generation noch bevor.

Zwei wichtige Zentren der Kultur der Minderheit sind die deutschsprachigen Theater von Temes- var und Hermannstadt. Ich hatte Gelegenheit, eine Aufführung von Schillers „Don Carlos” in Temes- var zu sehen und mit dem Direktor

Johann Szekler zu sprechen. Seit 195 3 gibt es in Temesvar erstmalig ein deutschsprachiges staatliches Theater, während früher, wie man mir erklärte, dort nur Saisonbühnen gespielt hatten. Dem Ensemble von 34 Personen steht ein Haus mit 3 86 Plätzen zur Verfügung, wobei drei bis vier Abende pro Woche angesetzt werden, die übrigen sind dem ungarischen Ensemble vorbehalten. Tatsächlich aber treten die deutschen Schauspieler jeden Abend auf, da in 60 umliegenden Orten gastiert wird, wobei oft neunhundert Personen eine Vorstellung be suchen und die Karten lange vorher ausverkauft sind. Die Aufführung des „Don Carlos “war in der Sprechkultur von vorbildlichem Niveau. Es muß hier unendlich viel Arbeit geleistet worden sein, die deutsche Sprache so rein zu erhalten Und ihr Jene herbe

Klarheit zu geben, die man dort, wo sie eine Selbstverständlichkeit bedeutet, so oft vermißt. Die Darstellung war gut abgerundet, zwei, drei eigenartige Talente ließen aufhorchen. Sehr viele junge Schauspieler waren zu sehen, Leute, die aus Laienspielgruppen engagiert wurden und ihre eigentliche Ausbildung erst auf der Temes- varer Bühne selbst erhielten. Auch Hermannstadt verfügt über ein eigenes deutschsprachiges Theater, doch ist das Ensemble kleiner, etwa vierundzwanzig Schauspieler, und es wird nur an zwei bis drei Tagen gespielt, aber ebenfalls reichlich in der Umgebung gastiert. Der deutsche Spielplan umfaßt hauptsächlich Klassiker, „Minna von Barnhelm”, „Kabale und Liebe”, „Iphigenie”, „Die Räuber”, auch Anzengrubers „Meinhidbauer”, unter den neueren Bert Brecht. Einer der größten Erfolge war „Don Carlos”, bei dem man übrigens ohne weiteres die berühmte Textzeile „Geben Sie Gedankenfreiheit” spricht — ohne daß, wie etwa m Warschau, eine besondere Reaktion des Publikums erfolgte.

Das „Schiller-Haus” in Bukarest

In Bukarest selbst gibt es zwar kein deutsches Theater, aber ein sogenanntes Kulturhaus, das „Schiller- Haus”, darin alle Kurse, Lesungen, Vorführungen in deutscher Sprache stattfinden. Es handelt sich um ein großaufgezogenes Volksbildungshaus mit vierzehnköpfigem Personal und 36 Mitarbeitern, das von täglich rund 500 Personen besucht wird. Dort gibt es vom Tanznachmittag über den Schneiderkurs bis zur Dichterlesung und Laienspielgruppe so ziemlich alles, was in die Thematik der Freizeitgestaltung fällt. Es enthält eine eigene deutschsprachige Bibliothek von 12.000 Bänden, wobei als meistausgeliehene Autoren Franz Werfel, Stephan Zweig, Thomas Mann, Hermann Hesse und, in deutscher Übersetzung, Galsworthy genannt wurden. In den Wettbewerben der Bukarester Kulturhäuser, • so berichtet die Leiterin Angela Preis mit Stolz, habe letzthin die deutsche Laienspielgruppe den ersten Preis gewonnen — ein Beweis, sagte man, daß absolute Anerkennung der deutschen Sprache herrsche.

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