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Dialog mit Mißverständnissen

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„Einmischung der Kirche in die Politik” — ein Vorwurf, der allenthalben, im Osten wie im Westen, gerne erhoben wird. Allerdings, wenn die Kirchen den Politikern nach dem Munde reden, sind sie gerne gehört und benutzt, beziehen sie jedoch eine andere oder eine unabhängige Position, dann trifft die Kirche der Vorwurf „klerikaler Einmischung”, totaler Inkompetenz und Schlimmeres. Dieses Schicksal erfährt gegenwärtig in der Bundesrepublik die evangelische Kirche Deutschlands mit ihrer Denkschrift zum Oder-Neiße-Problem. Und die gleiche Erfahrung macht die polnische katholische Kirche mit ihrem Brief an die deutschen katholischen Bischöfe im eigenen Lande.

Der Vernunft eine Gasse In Wahrheit muß man beides eng zusammen sehen: Beides ist der Versuch, über die Enge von Macht- und Interessenpolitik hinweg, der Vernunft und dem Realismus den Weg zu ebnen, hinweg auch über die Ost- West-Trennungslinie. Nicht von ungefähr wird in allen diesen kirchlichen Dokumenten der Kommunismus gar nicht angesprochen und diskutiert. Denn die polnische Existenzfrage an Oder und Neiße, mit der die deutsche Politik konfrontiert ist, würde sich auch ohne Kommunismus nicht minder hart stellen. Das Bestehen kommunistischer Regierungen in Osteuropa, zumal in Polen, bietet der aktuellen Politik oft ein billiges Alibi für eigene Unzulänglichkeit: der westlichen Politik das Alibi, zu sagen, es sei doch nichts zu regeln, solange der Kommunismus eine Sperre bilde — der polnischen Politik, den dort regierenden Kommunisten das Alibi, es sei der Antikommunismus der Deutschen, der sie zu sogenannten „Revanchisten” mache. Ein ungutes, ungewolltes Zusammenspiel unfruchtbarer Kräfte, die nur Spannung erzeugen, wo Entspannung der einzige Weg ist.

An diesem Punkt nun setzte die Initiative der Kirchen an, über die wirklichen und die künstlichen Barrieren hinweg. Nach der evangelischen Denkschrift, war es die i katholische Kirche, zu der sich ! 95 Prozent des polnischen Volkes be- 1 kennen, die ihr Wort zu sagen versuchte. Dabei kann man den versöhnlich getönten Brief der polnisehen Bischöfe an die deutschen nicht trennen von dem, was sie vorher zu den eigenen polnischen Landsleuten zu sagen hatten. Denn beides sind nur die verschiedenen Seiten der gleichen Sache, um die es geht. Am 1. September, bei den 20-Jahr-Feiern der polnischen Kirchenverwaltung in Breslau, sagte Kardinal Wyszynski, als er von den archäologischen Ausgrabungen unter den Fundamenten der Breslauer Kirchen sprach: man wisse, daß diese Steine, Spuren der Vergangenheit, die Seele Polens atmeten, daß das „kein ehemals deutsches Eigentum sei, ja niemals gewesen sei…”

Nationalismus?

Diese Sätze haben in Deutschland befremdet, weil sie nationalistisch klangen. Dabei übersah man oft, daß es der polnischen Kirche, die sich mit der Nation identifiziert, darum ging, den vielen Millionen Polen, die heute in den Oder-Neiße-Gebieten leben, das Gefühl zu geben, es sei nicht nur politisch, sondern auch historisch gerechtfertigt, was geschah. Aber schon am 1. September in Breslau sprach der dortige Erzbischof Kominek auch ein Wort, das weniger oder gar nicht beachtet wurde: „Wir wünschen ehrlich, daß die polnische Wirklichkeit der Westgebiete nicht nur alle Glieder unseres Volkes eint, sondern den Weg zu Verständigung und Frieden mit unseren Nachbarn bahnt — vor allem mit jenen, denen der nicht von uns heraufbeschworene Lauf der Kriegsereignisse diese Gebiete nahm.”

Innen- kontra Außenpolitik?

Das nun war auch der Grundton des Briefes, den die in Rom versammelten 36 polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder richteten, jenes Briefes, von dem jetzt die polnische Regierung behauptet, er habe die nationalen Interessen Polens verletzt. In Wahrheit brauchte die polnische Regierung — die über eine Woche lang dazu schwieg — fast zehn Tage dazu, um abzuwägen, was ihr größer erscheint: das innenpolitische Risiko einer Stärkung der Kirche und ihres Kardinals — oder aber, der außenpolitische Gewinn eines Gesprächfadens, der sich bisher zwischen den Regierungen in Bonn und Warschau nicht bilden konnte.

Gewiß, die polnischen Bischöfe hatten im Sinn der Vaterunserbitte von gegenseitiger Vergebung gesprochen, aber sie hatten sehr hart und deutlich dargelegt, warum Polen auf der Oder-Neiße-Grenze besteht.

Neun Tage Schweigen

Neun Tage hatte die polnische Partei- und Staatsführung benötigt, um herauszufinden, daß damit 36 polnische Bischöfe angeblich die nationalen Interessen Polens verletzten. In Wahrheit brauchten Gomulka und seine Mitarbeiter — wie schon oben dargelegt — Zeit, um abzuwägen, was größer ist: das innenpolitische Risiko einer Stärkung der Kirche oder der außenpolitische Gewinn eines Gesprächsfadens, den die Regierungen in Bonn und Warschau bislang nicht zu knüpfen vermochten. Gomulkas Furcht vor besagtem Risiko, vermischt mit seinem Ärger über die „klerikale Einmischung” in .das wichtigste Problem polnischer Außenpolitik, gewannen die Oberhand gegen die Argumente jener Funktionäre, die dazu rieten, wenigstens differenziert mit einem „Einer- seits-Anderseits” zu antworten.

Noch am 6. Dezember ließ das Warschauer „Amt für Religionsangelegenheiten” inoffiziell verlauten, man betrachte den Brief des polnischen Episkopats an den deutschen als Fortsetzung der Linie, die von den Bischöfen bei den 20-Jahr-Feiern im September in Breslau bezogen worden sei. Das Organ der italienischen Kommunisten „Unitä” hatte sich am 1. Dezember von seinem Warschauer Korrespondenten berichten lassen, die Botschaft der polnischen Bischöfe setze sich zwar in ihrem versöhnlichen Ton Mißverständnissen aus, doch habe das Dokument „auf jeden Fall einen unleugbaren politischen Wert in seiner Substanz”. Im Zentralorgan der KPÖ „Volksstimme” las man am 4. Dezember die Schlagzeile: „Starker Widerhall des polnischen Bischofsappells — aber Bonn schweigt.”

Noch zögerte man in Warschau, denn die Antwort der deutschen Bischöfe lag noch nicht vor. Schließlich konnte man den eigenen Episkopat schwerlich attackieren, falls die deutsche Antwort weitergehen und in der Oder-Neiße-Sache noch eindeutiger ausfallen würde als die evangelische Denkschrift. Erst nachdem diese „Gefahr” am 7. Dezember durch die Veröffentlichung des Antwortbriefes der deutschen Bischöfe gebannt war, wurde die halbamtliche Zeitung „Zycie Warszawy” angewiesen, über die Bischöfe beider Länder herzufallen. Sie tat es mit allen Künsten der Verdrehung und des Verschweigens.

Das Wort im Mund umgedreht

Kein Wort in der Polemik, daß die Bischöfe auf das „elementare Sicherheitsbedürfnis” und die „Existenzfrage” ihres Landes an Oder und Neiße gepocht hatten, statt dessen der Vorwurf, sie hätten der polnischen Staatsräson zuwidergehandelt. Kein Wort davon, daß der polnische Brief auch an die Bischöfe der DDR gerichtet war, statt dessen die Behauptung, der Brief habe sich an jene „deutschen Bischöfe gerichtet, die in Symbiose mit der Bonner Regierung leben und auf der Grundlage der antipolnischen Politik des Revisionismus stehen”. Der Ruf der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, den kalten Krieg einzustellen, wird verdreht zu einer einseitigen Zusicherung an die Deutschen.

Begünstigt wurde dabei der Warschauer Querschuß — das sei nicht übersehen — auch von deutscher Seite. Worauf stützte Professor Roegele zum Beispiel im „Rheinischen Merkur” seine Behauptung, der polnische Brief enthalte eine „Distanzierung von Potsdam”? Was versprach sich Roegele davon, als er im Zweiten Deutschen Fernsehen der Initiative der polnischen Bischöfe antikommunistische Absichten zuschrieb?

Nur in einem Punkt kann die Warschauer Polemik eine gewisse Berechtigung für sich buchen. In der Beschwerde, daß die polnischen Bischöfe bis zum letzten Augenblick (selbst bei einem Besuch in der polnischen Botschaft in Rom am 30. November) ihre Regierung nicht informierten.

Zawieyski stellt klar

Gegen die Mißdeutungen, die der Brief der polnischen Bischöfe erfuhr, hat inzwischen das Sekretariat des polnischen Episkopats unzweideutig festgestellt, daß die „Unantastbarkeit der Westgrenzen Polens” den Ausgangspunkt des Briefes bildete und daß im übrigen der Brief als religiöses, nicht so sehr als politisches Dokument zu werten sei. Dennoch wurde die Kampagne gegen die Bischöfe in der polnischen Öffentlichkeit heftig fortgesetzt, auch im Sejm, der gerade zur Budgetdebatte versammelt war. Um so bedeutungsvoller war es, daß — nach anfänglichem Schweigen — die kirchentreue katholische Abgeordnetengruppe „Znak” im Sejm einen öffentlichen Versuch unternahm, die Dinge ins rechte Lot zu bringen, und der Maßlosigkeit der Kampagne entgegenzuwirken.

Der ‘ „Znak”-Abgeordnete Jerzy Zawieyski, ein katholischer Schriftsteller, der — wie Gomulka — Mitglied des Staatsrates ist, vor einem Jahr in Rom mit dem Papst verhandelte und Kardinal Wyszynski in persönlicher Freundschaft verbunden ist, betrat am 14. Dezember die Parlamentstribüne. Seine Rede, offenbar mit dem Kardinal abgestimmt, wurde sogar auf der ersten Seite des Parteiorgans „Trybuna Ludu” wiedergegeben. Hier ein Auszug aus seiner Rede:

„Die polnische Kirche hat sich große Verdienste um die Vereinigung der Oder-Neiße-Gebiete mit dem Mutterland erworben. Der polnische Episkopat hat sich im Verlauf der ganzen 20 Jahre oft gegen die revisionistischen deutschen Kreise in der Bundesrepublik gestellt, die das Polentum dieser Gebiete in Frage stellen. Am deutlichsten hat sich das kürzlich im Verlauf der Breslauer Feiern im September gezeigt. Dieser Standpunkt ist unverändert und einheitlich mit dem ganzen polnischen Volk. Lebhaft ist im polnischen Volk der Wunsch, frühere Feindschaft zu überwinden und die gegenseitigen Beziehungen im Geiste des Vertrauens und der Freundschaft zu ordnen … Die Auslegungen eines Teils der westdeutschen Presse, die ein Abgehen von den Grundsätzen und dem Geist der Potsdamer Konferenz suggerieren und damit die Hoffnung auf Unterschiede in der polnischen Meinung verbinden, beruhen auf Mißverständnis oder bösem Willen. Auch die Antwort des deutschen Episkopats kann in Polen nicht als Fortschritt zu einer Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen anerkannt werden … Indem wir die entstandenen Einwände wie auch die Erbitterung wegen einiger Formulierungen des polnischen Bischofsbriefes verstehen, meinen wir zugleich, daß die Polemik in dieser Angelegenheit schnellstens beendet und die Solidarität aller Teile der polnischen Meinung bestätigt werden muß. Die ganze polnische öffentliche Meinung muß sich zusammen mit Regierung und Episkopat bemühen, daß diese Vorgänge und die daran geknüpften Polemiken nicht im Lichte einer Spaltung hinsichtlich unserer lebenswichtigsten Sache interpretiert werden — einer Sache, in der Regierung, Episkopat und ganzes Volk 20 Jahre lang völlige Solidarität erwiesen haben. Deshalb stellen wir mit ganzem Ernst und gestützt auf 20jährige Erfahrung fest, daß alle Erwartungen revisionistischer Kreise auf eine Dissonanz in Polen in dieser Sache völlig vergeblich sind. Die Einheit des polnischen Volkes in dieser Sache stützt sich ebenso auf unsere Nationalinteressen, wie auf die Überzeugung, daß die Sicherheit ganz Europas und der Weitfriede vom deutschen Volk erfordern, die unumkehrbaren Tatsachen anzuerkennen und von der Tendenz abzulassen, eine die Welt beunruhigende militärpolitische Rolle in diesem Bezirk Europas zu spielen. Auf diesem Weg liegt auch die Perspektive der Entspannung und Versöhnung zwischen unseren Völkern.”

Diesem wohlabgewogenen, besorgten Ruf kann man nur wünschen, daß er nicht ungehört verhallt.

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